Bilder-Zyklus über Potsdam im Wandel: Eine Stadt kommt ins Rutschen
Seit Jahrzehnten malt Barbara Raetsch Potsdam - nun sieht sie Rot. Die Veränderungen in der Mitte der Stadt werden bei der Künstlerin zum malerischen Aufschrei. Über die Kraft ihres dramatischen Bilder-Zyklus.
Die Bibliothek scheint auf einem roten Teppich davon zu fliegen, die Fachhochschule zerbröselt und die Nikolaikirche hat Schieflage. Die sieben neuen Bilder, die Barbara Raetsch seit April gemalt hat, treffen mitten ins Herz der Stadtumkrempelung. Die Malerin steuert zu der hitzig geführten Debatte ihren Farbaufschrei bei. So ein leuchtendes Rot gab es noch nie bei ihr – obwohl sie bislang keineswegs leise im Umgang mit Farben war und auch das Rot schon vielfach befragte. Doch dieses fahnenrote Band, das in der Schwüle des Tages förmlich aus ihrem Atelier am Kanal hinaus zu drängen scheint, flattert mit grellem Getöse.
Es erzählt davon, wie eine Stadt ins Rutschen kommt. Skizzenhaft deutet die 81-jährige Künstlerin die Bebauung hinter dem Band an, die sich so rasant verändert, dass jeder Tag neue Blicke offenbart, das Skizzenhafte in sich trägt.
Barbara Raetsch, die im vergangenen Jahr krankheitsbedingt kaum zum Malen kam, scheint etwas aufholen zu müssen. Nach ihrer Serie mit den Kränen, an der sie drei Jahre arbeitete, stolperte sie förmlich in ihr neues Thema hinein. „Als ich im Frühling an dem leuchtend roten Bauzaun vorbei ging, sprang mich die Bildidee sofort an.“
Sie ging in den Keller, holte die weißen Leinwände nach oben, die noch ihr Mann – der vor 14 Jahren verstorbene Maler Karl Raetsch – aufgezogen und dort abgestellt hatte. Schneeweiß und im länglichen Format. Bestens geeignet für ihr Vorhaben. Sie kaufte eine große Tube „Cadmium rot-gelb“ und legte los. Auch wenn der Arm nach einem Sturz oft schmerzt, macht sie weiter. „Es ist wie ein Ausstoß, es muss erstmal raus“. Das jüngste Bild steht auf der Staffelei und ist noch nicht durchgetrocknet. Hier löst sich das Farbband langsam auf. Es gibt Übermalungen, Rot und Schwarz vermischen sich, zeigen den Zerfall. „Das Ruinenhafte habe ich jahrelang geübt“, sagt Barbara Raetsch, die in Pirna geboren wurde und seit 1958 in Potsdam lebt. Schon vor der Wende ließ sie das graue Antlitz der Stadt zu Gemälden werden. Das Bröckelnde, der lautlose Zerfall, bekam bei ihr eine kräftige Stimme. Sie malte Abrisshäuser, dann besetzte Häuser, schließlich Bilder mit Kränen. Bis heute schaut sie zu, wo sie sich drehen, Umbrüche vollziehen.
Auch auf ihren neuen Bildern vom Alten Markt ist noch ein Kran angedeutet. Doch nur als Hauch, so wie die weggerissenen Läden in der Friedrich-Ebert-Straße. Die Fachhochschule mit ihrer klaren Struktur ist am Anfang des Zyklus’ noch recht präsent. Obwohl sich Barbara Raetsch nicht in die politische Diskussion einmischen möchte, die es anhaltend gibt, bringt sie der Abbruch durchaus in Rage. „Es ärgert mich, dass man die Reste der DDR-Architektur ausmerzen will. Jetzt gibt es hier bald eine Straße nur noch mit Kopien.“ Sie fand zwar das Gebäude der Fachhochschule am Ende auch nicht mehr schön. „Aber es waren junge Leute in der Innenstadt und belebten sie. Der Vater vom Alten Fritz hatte einst einen ,Fassadenzwang’ angeordnet, um eintönig aussehende Häuser mit Schmuckelementen aufzuhübschen. Das hätte man an der FH-Fassade auch machen können“, sagt sie.
Mit ihrem kleinen Fotoapparat geht sie immer mal wieder vorbei, hält fest, was so schnell verschwindet. „Man muss nur das machen, was man sieht. Da ist der Aufschrei schon drin.“
Das Rot leuchte deshalb so, weil sie die reine Farbe auf weißem Grund aufträgt. „Sonst übermale ich ja viel. Wahrscheinlich hätte ich 30 Bilder mehr, wenn ich nicht so oft drübergehen würde.“ Wie auch bei den Kränen. Obwohl sie das Thema weniger dramatisch fand als das jetzige. „Da ging es um Aufbau. Selbst wenn viele eine Beziehung zum Kreuz hergestellt haben. Was nahe liegt. Auf dem Alten Markt liegen nach dem Bombenangriff 1945 sicher noch Skelette der Gefallenen.“
Noch ist der Aufschrei-Zyklus nicht abgeschlossen. „Die große Farbtube muss leer werden. Der letzte lange Rahmen steht auch noch einladend im Keller.“ Barbara Raetsch wird ein weiteres Motiv finden. Vielleicht, wenn der Bauzaun, die Mauer, ganz verschwunden ist. Und mit ihr der letzte Rest der Fachhochschule made in DDR.
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