"Rechts" ist näher, als man denkt: Eine Seuche dringt überall ein
Michela Murgia polemisiert – und zeigt dabei, wie leicht es ist, Faschist zu werden.
Was für ein Auftakt: „Ich schreibe gegen die Demokratie an, weil sie seit ihren Anfängen ein heillos fehlerhaftes Regierungssystem ist. Es stimmt nicht, was Winston Churchill gesagt hat: Die Demokratie sei die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den andern Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind. In Wahrheit ist sie schlicht und einfach die schlechteste und nichts weiter …“
So beginnt Michela Murgias böse und messerscharfe 100-Seiten-Polemik „Faschist werden. Eine Anleitung“ – ein Start wie das Erdbeben, das Filmmogul Samuel Goldwyn seinen Drehbuchautoren empfohlen haben soll, mit einer weiteren Anweisung: „Und dann langsam steigern“. Genau das macht Murgia, so überzeugend, dass einem das Lächeln über diesen Anfang bald gefriert.
Feinde werden - erfunden
Dass die Demokratie einfach schrecklich zeitraubend ist mit ihren Aushandlungsprozessen, dass sie Führung nur auf Zeit erlaubt, also den Handelnden die Hände bindet, dass sie sich von Dissens statt Konsens nährt – wie kompliziert! –, dass sie teuer ist – die vielen Abgeordneten! –, ja dass sie sogar ihren Feinden gegenüber lebensgefährlich tolerant ist: Wer das über viele Seiten liest, zweifelt irgendwann selbst daran, im Streit mit einem Fan des Autoritären noch gute Argumente zu finden. Allein das demokratische Menschenbild! Schließlich sei der Mensch deshalb zur dominanten Spezies geworden, weil er alle andern jage und unterwerfe.
Wie konnte die Demokratie so unter Legitimationsdruck geraten? Murgia erklärt es, ironisch natürlich, mit dem historischen Abstand. Eine junge Demokratie wäre immun, erst recht nach Krieg und Bürgerkrieg, „doch einer, sagen wir, siebzig Jahre alten Demokratie ist ein Großteil ihres historischen Gedächtnisses abhandengekommen“. Und sie werde „ausreichend ausgezehrt und korrumpiert sein, um nach und nach immer gewichtigere prinzipielle Kompromisse mit anderen Regierungsformen einzugehen“. Ein fruchtbarer Acker für den Faschismus, auf dem dann gedeiht, was man von ihm kennt: die Erfindung von Feinden – wie einst sind die ärmsten Teufel dafür am geeignetsten, Flüchtlinge zum Beispiel –, die Verächtlichmachung politischer Gegner oder wissenschaftlicher Autoritäten, die Verherrlichung des einfachen „Volks“, dem konkret aber nur Brosamen und Spiele geboten werden. Und statt strikter Kontrolle der Medien wie einst empfiehlt es sich, in den Socials einfach ein Grundrauschen von Banalität zu schaffen, in dem alle Information von Wert einfach untergeht.
Delegitimierung der Demokratie
Murgia – die auch Romane veröffentlicht hat – analysiert scharf, was gerade in demokratischen Gesellschaften passiert – mit ein paar Dellen: Das Kapitel darüber, wie faschistischer Menschenfang unter Ungebildeten funktioniert, ist nicht frei von eigener Herablassung, der Abschnitt über Frauen und Faschismus hätte dringend eine Bemerkung über den italienischen Arbeitsmarkt gebraucht, dessen struktureller Sexismus noch den deutschen in den Schatten stellt – Murgia selbst kommentiert schließlich herrlich trocken unterm Hashtag #tuttimaschi („alles Männer“) die fast hundertprozentig männliche Öffentlichkeit Italiens.
Mit dem, was Murgia alles unter Faschismus packt, mutet sie ihrem Publikum einiges zu, erst recht einem deutschen, dessen inneres Lexikon das Wort eher als linke Verbalinjurie verzeichnet. Diese Zumutung ist aber höchst lehrreich. Neben Beispielen aus der langen Ära Berlusconi, in der die Delegitimierung demokratischer Institutionen begann, verweist das Buch auf autoritäre Tendenzen in der kurzen Zeit von Matteo Renzi als Ministerpräsident und Vorsitzender des sozialdemokratischen Partito Democratico: Der wollte, erfolglos, die Gesetzgebung angeblich verschlanken, indem er die zweite Parlamentskammer entmachtete. Murgia benennt, ohne ihn zu nennen, auch Renzis paternalistisches Politikverständnis. Statt einer Reform des Niedriglohnsektors versprach er Niedriglöhnern einfach 80 Euro mehr. Sein erstes Versprechen, mit dem er sich als Heilsbringer empfahl, das bisherige politische System zu „verschrotten“, gehört für Murgia neben Ausdrücken wie „zum Teufel jagen“ oder „entsorgen“ ins Wörterbuch des Faschisten.
Teste Dich selbst!
Geht das zu weit? Murgias Polemik, in Italien im vergangenen Jahr beim renommierten Turiner Verlag Einaudi erschienen, lässt keinen Zweifel daran, wo sie den Faschismus verortet: nicht in demokratischen Parteien wie Renzis PD, sondern im Regime, das der aktuelle Innenminister Matteo Salvini und de facto starke Mann der Regierung gerade in Rom installiert und das auch anderswo in und um Europa üblich wird.
Das wirkliche Problem sei aber, herauszufinden, wer dabei hilft, anders: „wie viel Faschismus in denen steckt, die sich für antifaschistisch halten“. Ans Ende ihrer Polemik hat Murgia dafür 65 Testsätze zur Selbstprüfung gestellt, etwa: „Das sind keine Flüchtlinge, sondern Asyltouristen“, „Es wäre besser, ihnen bei sich zu Hause zu helfen“ oder „Uns lassen sie so etwas in ihrem Land nicht durchgehen“. Wer kennt das nicht längst – von Freundinnen, Verwandten, Kollegen? Nicht alles sei Faschismus, schreibt Murgia, „aber der Faschismus hat, wenn wir nicht ständig wachsam sind, die fabelhafte Eigenschaft, alles zu durchseuchen“.
Michela Murgia: Faschist werden. Eine Anleitung. Aus dem Italienischen von Julika Brandestini. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2019. 112 S., 7 €.
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