Von Dirk Becker: Eine erfrischende Frechheit
Lukas Langhoffs Inszenierung von „Macbeth“ haut einem den geliebten Shakespeare um die Ohren
Das T-Shirt war schon Signal genug: Mit diesem König stimmt was nicht! Das Logo der Hard-Rock-Band Guns N’ Roses – zwei Revolver, von Rosen umrankt – trägt Christoph Hohmann auf seiner Brust. Darüber einen prachtvoll roten Königsmantel und auf dem Kopf eine reichlich dämlich anzuschauende Krone. Doch Hohmanns Duncan tritt mit Würde vor den noch geschlossenen Vorhang im Hans Otto Theater und lobt mit Inbrunst, Pathos und Wortgenuss seinen erfolgreichen General Macbeth. Ja, so herrlich deklamierend liebt man ihn, seinen Shakespeare, wenn man es historisch mag. Da stört es auch nicht, dass Regisseur Lukas Langhoff diesen Duncan die Worte sagen lässt, die im Original einem Hauptmann vorbehalten sind. Dann, nach erfolgreich vollbrachtem Monolog, findet Duncan den Ausgang nicht. Bevor der König, dem ein blutiges Ende droht, im Bühnenvorhang verschwindet, dreht er sich zum Publikum und sagt fast entschuldigend: „I cannot find out“.
Es waren nicht wenige Zuschauer, die während der Premiere von „Macbeth“ am Freitagabend nicht das Problem wie Duncan hatten, sondern sehr schnell den Ausgang fanden. Es waren vor allem ältere Zuschauer, die vor Langhoffs Inszenierung regelrecht die Flucht ergriffen. Denn was der Berliner Regisseur aus Shakespeares Tragödie um Versuchung, Machtgier, Mord und dessen Sühnung gemacht hat, lässt einem nicht selten die Haare zu Berge stehen. Knappe zwei Stunden reichen Langhoff, um „Macbeth“ zu einer Farce zu treiben, die dreist und anmaßend, hanebüchen und nervenzerrend, provozierend und ausufernd, die oft Genuss, oft aber auch Tortur ist. Und auch wenn man glaubt, dieser Inszenierung die fehlende Probezeit, bedingt durch einen Unfall Langhoffs, anzumerken, so ist sie doch eine erfrischende Frechheit, die am Ende neben ein paar Buhrufen vor allem viel Jubel erhält.
Alexander Wolfs Bühne ist das berüchtigte spiegelglatte Parkett, umstellt von Scheinwerfern, das mal wie ein Schachbrett, in bestimmtem Licht, wie eine riesige Blutlache wirkt. Ansonsten herrscht fast nur Leere, wie in den Menschen, die Langhoff auf die Bühne schickt. Hier treffen Macbeth und Banquo nach erfolgreicher Schlacht – in Zinkeimern schleppen sie das Blut ihrer Feinde – auf eine Rentnerin (Inge Grzyub), die mit Butterkeksen eine ausgestopfte Möwe füttert. Die rüstige Dame prophezeit den beiden eine scheinbar viel versprechende Zukunft. Macbeth soll König werden, Banquo dagegen nicht, dafür aber seine Nachkommen. Das Übel kann seinen Lauf nehmen.
Es kommt, wie es kommen muss. Duncan stirbt durch Macbeths Hand. Ein Blutrausch, der nicht auf der Bühne stattfindet, sondern per Leinwand aus einer Garderobe übertragen wird. Lady Macbeth fällt dem Wahnsinn anheim und stirbt durch eigene Hand. Macbeth selbst überlebt das Stück auch nicht. Er wird gerichtet, aber nicht, wie im Original, durch Macduff, dessen Vater Banquo Macbeth meucheln ließ. Es ist ein wahrlich erstaunliches Ende, das hier nicht verraten werden soll. Nur soviel: Langhoff treibt es auch hier sehr bunt.
Der Regisseur bleibt in seiner Inszenierung herrlich undeutlich. Er hat Shakespeare in das Heute geholt, die Bande dort auf der Bühne vielleicht zu Bankern, vielleicht Politikern gemacht. Das ist ein Verwirrspiel mit den Ebenen und möglichen Interpretationen, wenn Friedemann Eckerts Macduff minutenlang über geistreichen Sex palavert oder Macbeth ein Paket mit gekochten Nudeln nach Afrika schicken lässt. Das geht so Schlag auf Schlag und lässt einen nicht selten verzweifelt den Kopf schütteln. Und wenn man auch sehr schnell erkennt, dass man diese Anspielungen nicht allzu ernst nehmen muss, zu oft ist da das Gefühl, dass Versuchung, Machtgier, Mord und dessen Sühnung in „Macbeth“ in diesem Chaos auf der Strecke bleiben. Aber vielleicht liegt darin der Ansatz von Langhoff: Den Shakespeare, den ihr erwartet, den biete ich euch nie!Wolfgang Voglers Macbeth ist dabei ein Jammerlappen. Dieser Kerl leidet an seiner Existenz. Er würde viel lieber Putzen und den Haushalt pflegen, stattdessen wird er zu Höherem gedrängt. Sein einziger Trost: Kochen kann er gut. Vogler, dessen Gregers in „Die Wildente“ wenig überzeugte, lässt diesen Jammerlappen-Macbeth toben, dass es eine Freude ist. Anfangs zweifelnd, ein großer Kindskopf, schwankend unter einem riesigen Plüschherzen wie ein besoffener Schmetterling. Dann, nach dem Mord an Duncan, rasend vor Verzweiflung, beim Bankett in seinem Haus ein überschnappender Irrer, der tobt und gängelt, tyrannisiert und brüllt, dass die Spaghetti aus seinem Mund nur so fliegen. Nele Jungs Lady Macbeth ist ein stilles Wesen, die nur schlecht ihre Verachtung für Duncan und dessen Bagage überspielt und an ihrer Rolle als zum Mord treibende Ehefrau wie für ein Vorsprechen noch üben muss. Daneben ein grandioser Christoph Hohmann als Duncan und Bernd Geiling als ein so glatter und auf seine Karriere fixierter Banquo, so von sich überzeugt, dass er selbst im Jenseits nicht fassen kann, wie es mit ihm zu Ende gehen konnte.Natürlich lässt sich über die chaotische, so oft ins Lächerliche verzerrte Lesart von Langhoff streiten, über Sinn und Unsinn diskutieren und ob dieser „Macbeth“ nicht einfach nur eine überzogene und oberflächliche Nummernrevue bleibt, die unter anderem mit der Frage spielt, wie aktuell solch ein Stück überhaupt noch sein kann. Wer seinen historischen Shakespeare liebt, sollte diese Inszenierung meiden. Wer sich jedoch den geliebten Shakespeare mal kräftig um die Ohren hauen lassen will, der wird hier seine helle Freude haben.
Nächste Vorstellung am morgigen Dienstag, 19.30 Uhr, Hans Otto Theater
Dirk Becker
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