Malte Welding über Deutschland ohne Nachwuchs: Ein Plädoyer für Kinder, trotz allem
1,3 Kinder im Schnitt: Warum bekommen die Deutschen so wenig Nachwuchs? Malte Welding beschreibt in seinem Buch "Seid fruchtbar und beschwert euch!" die Ursachen. Eine Rezension
In der Exportweltmeisterschaft halten wir mit China bestens mit, dafür rutschen wir in einer etwas wichtigeren Statistik ab: Die Deutschen bekommen noch weniger Kinder als die Chinesen. Es braucht hierzulande also nicht mal ein Gesetz, um zu verwirklichen, was in China die Staatsführung angeordnet hat. „Die deutsche Kein-Kind-Politik ist erfolgreicher als die chinesische Ein-Kind-Politik“, schreibt der Autor und Kolumnist Malte Welding in seinem Buch „Seid fruchtbar und beschwert euch!“.
Es ist die vorweggenommene Gegenrede zu „Regretting Motherhood“ (Frauen, die bereuen, Mütter geworden zu sein) und „Social Freezing“ (dem Einfrieren von Eizellen). „Ein Plädoyer für Kinder – trotz allem“, und einer der schönsten Sätze des Buchs lautet: „Wenn man ein Kind bekommt, begegnet man seiner großen Liebe.“ Welding wirkt beseelt vom Elternglück, aber er missioniert nicht, er diagnostiziert einfach mit Verstand und dem manchmal leicht sarkastischen Ton eines genervten Stationsarztes die deutsche „Epidemie der Kinderlosigkeit“.
Die Statistik kommt von der CIA - und die muss es ja wissen
Warum wollen so viele Menschen Kinder und bekommen doch keine? Die gefühlte Wirklichkeit mag anders aussehen, wenn man nachmittags durch Prenzlauer Berg, aber auch andere Teile Berlins streift und an einem Spielplatz vorbeikommt. Die medizinischen Möglichkeiten, um Paaren ihren Kinderwunsch zu erfüllen, werden schließlich auch immer besser. Und dann ist da noch Annegret R., die mit 65 Jahren Vierlinge austrägt. Alles nur Schlaglichter. Die entscheidende Zahl heißt: 1,3. So wenige Kinder bekommen die Deutschen im Schnitt. Das bedeutet Platz 218 von 224 erfassten Ländern – laut einer Statistik der CIA, und die muss es ja wissen.
Kinder seien den Deutschen fremd geworden, meint Welding und sieht überall Ursachen. In der Arbeitswelt, die Kontinuität belohnt und alle bestraft, die einmal kurz aussteigen oder kürzertreten. Mütter vor allem, aber eben auch die wachsende Zahl von Vätern, die mehr Zeit für ihre Familie haben wollen.
In der Politik mit ihren unzähligen familienpolitischen Maßnahmen, die jedoch nicht von großer Weisheit zeugen, sonst stünde Deutschland eben nicht auf Platz 218. Manche Maßnahmen orientieren sich immer noch am Modell des Alleinversorgers. Das Elterngeld lohnt sich eher für die, die vorher schon einige Gehaltsstufen erklommen haben und fördert daher eine Hauptursache für Kinderlosigkeit: das Aufschieben. Die Versuchung, nur ans Hier und Jetzt zu denken, auf einen Zeitpunkt zu warten, an dem es dann doch irgendwie passt, ist eine der größten Fallen auf dem Weg zum Elternsein. Gerade bei Akademikerinnen kommt dieser Zeitpunkt einfach nicht – deshalb bleiben so viele von ihnen kinderlos.
Der Markt braucht beide Geschlechter
Der Zeitgeist bekommt von Welding auch nicht das Gütesiegel kinder- und familienfreundlich. Wie auch, wenn die öffentliche Darstellung von Eltern zwischen Helikoptereltern und Rabeneltern pendelt. Als ob Eltern dazu auffordern: Pack’ mich in eine Schublade, ich hab es bestimmt verdient. Welding widerspricht mit seiner Elternerfahrung: „Man macht alles falsch, glaubt man. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr viel höher, dass man alles richtig macht. Nur eben nicht perfekt.“
Die Wertschätzung fehlt jedoch, für Kinder, für Eltern allgemein, für arbeitende Mütter. Dass zum Beispiel in den USA mehr Kinder geboren werden, liegt auch an der Wertschätzung für die „Working Moms“, die Mütter, die arbeiten. In Deutschland sollen Frauen mehr arbeiten und Männer genauso viel wie bisher, denn „der Markt braucht beide Geschlechter an der Arbeits- und Konsumfront“. Aber so klappt es eben nicht mit Kindern.
Wenn es um Lösungen geht, wirkt Welding etwas hilflos, das darf er freilich auch angesichts der Größe des Themas. Auch Welding kommt wie viele andere erst einmal bei der Soziologin Jutta Allmendinger heraus und ihrer Forderung nach Familienarbeitszeit, der 32-Stunden-Woche für beide, Väter und Mütter. Woher soll der Druck dafür kommen? Das System reproduziert sich selbst, weil diejenigen, die die Bedingungen festlegen, es nicht anders kennen, und viele auch nicht anders wollen. Sie wollen leistungsbereite, ständig erreichbare Mitarbeiter.
An einem guten Rentensystem sind alle interessiert, weil jeder entweder mal Rentner wird oder schon einer ist. Aber mehr für Kinder tun? Da lästert Welding: „Deutschland ist Twilight City, das nicht Facebook, nicht Google und nicht Amazon erfunden hat, sich aber bis heute vom Auto abhängig macht (zwei Drittel aller Neuwagen werden von über 60-Jährigen gekauft, viel Spaß mit der Zukunft).“
Sein Wünsch-dir-was reicht dagegen von staatlichen Babysittern bis hin zu dem schönen Modell, dass Eltern zusammen mit anderen Eltern arbeiten und Kinder jederzeit aus dem Nachbarzimmer kommen, „um sich bei den Eltern mit Wärme und Geborgenheit aufzuladen“. Das funktioniert vor allem im Home Office, und hier sieht er längst noch nicht alle Möglichkeiten ausgereizt.
Aus Welding spricht der Großstadtbürger, dessen Eltern weit weg wohnen und nicht eben mal einspringen können, wenn das Kind in der Nacht Fieber bekommen hat. Das macht alles anstrengender. Aber es ändert nichts an der Erfüllung. Seine Antwort an eine Facebook-Bekannte, die sich für den Fall des Kinderkriegens um sinkende öffentliche Präsenz und ein Abrutschen in die Pipikaka-Sprache sorgte: „Kinder sind Zellen aus deinem Körper und dem deines Partners, die irgendwann sprechen lernen. Wenn du ein spannenderes Thema in deinem täglichen Umfeld hast, gratuliere ich dir sehr herzlich.“
Malte Welding: Seid fruchtbar und beschwert euch! Ein Plädoyer für Kinder – trotz allem. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 208 Seiten, 13,99 Euro.
Friedhard Teuffel