Chris Hinze jetzt in Glindow: Ein neuer Hafen fürs Traumschiff
Der Künstler Chris Hinze ist umgezogen und hat sein Atelier von Potsdam nach Glindow in einen Raum der Ziegelei verlegt. Bleibt die Frage: Warum?
Ein hoher Turm bei der Ziegel-Manufaktur in Glindow zeugt noch heute von der Vergangenheit des Ortes. Seit dem 15. Jahrhundert gibt es die Ziegelei, ehemals wurden die Ziegel mit Schiffen fortgeschafft. Vom Turm aus wurde die Abfahrt der Schiffe beobachtet. Wo ehemals die Schiffe ablegten, steht heute die Skulptur eines Schiffsrumpfes von Chris Hinze. Der Potsdamer Künstler hatte sie im vergangenen Jahr geschaffen und im Kunstraum Waschhaus gezeigt.
Jetzt hat Chris Hinze sein Atelier von Potsdam in einen Raum der Ziegelei verlegt. Die Ziegelei liegt abseits großer Straßen, am schönen Glindower See. „Die Ruhe hier, die habe ich gesucht“, sagt Chris Hinze. „Ich wollte raus aus der Hektik und dem Veranstaltungsbetrieb der Stadt.“ In den vergangenen neun Jahren hat Hinze zusammen mit dem Künstler Mikos Meininger das Atelierhaus Sans Titre aufgebaut. „Aber es wurde zu viel. Ich bin kaum noch zu meiner eigenen Kunst gekommen“, sagt er. Also habe er nach einem neuen Ort gesucht und ihn bei der geschichtsträchtigen Ziegelei gefunden. „Schon Fontane hat über die Ziegelei geschrieben“, sagt Hinze.
Im April hatte Chris Hinze begonnen, die Schiff-Skulptur aus Potsdam hierher, an diesen Flecken in der einnehmenden Landschaft zwischen Havel, Glindower See und Schwielowsee zu schaffen, im September stand die Installation. Auf 108 Tonnen Sand und einem Metallsockel ruht nun der Rumpf des in der Mitte gebrochenen Schiffes. Aus seiner Mitte ragen, wie schon zuvor im Kunstraum in der Schiffbauer Gasse, hohe Balken. Für Hinze ist es ein Traumschiff. Stellt man sich in die Mitte der Balken, so sieht man einen Kreis, der dort gebildet wird und durch den Kreis den Himmel. Das Weite, die Hoffnung. Der Geist des Menschen soll frei schweben, sagt Hinze, er soll „aus der Konsumwelt herausgeholt werden“.
In Glindow hat er nach der bisweilen hektischen Zeit im Kunsthaus Sans Titre erst einmal wieder gelernt, Luft zu holen und sich auf seine künstlerische Arbeit zu konzentrieren. Hilfreich sei auch, dass sich eine Galeristin gefunden habe, die ihn jetzt vertrete. Daher müsse er sich nicht mehr, wie bisher, um Verkauf und die Vermarktung seiner Kunst kümmern. Wobei Hinze diese zuvor jedoch durchaus erfolgreich selbst betrieben hat.
Hinze arbeitet multimedial und konzentriert sich dabei jeweils genau auf den Ort, an dem seine Kunst entsteht. In der Glindower Ziegel-Manufaktur schuf er 2016 aus großen Metallplatten und Audiogeräten eine begehbare Installation. Rostige, verwitterte und bearbeitete Platten zeigten die Veränderungen und die Zeitschichten, wie sie sich an dem Ort abgelagert haben. Mit den Arbeitern der Ziegelei führte der Künstler Interviews, die über Kopfhörer angehört werden konnten.
Auch andere Arbeiten Hinzes thematisieren die menschliche Wahrnehmung. Im Kunstmuseum Dieselkraftwerk in Cottbus zum Beispiel zeigte er „Transformationen“. In außenwandig rauen und innen mit glattem Plastik überzogenen Betonkugeln fanden sich die Strukturen des menschlichen Gehirns eingraviert, sichtbar gemacht mit bildgebenden Verfahren. So konnte man ansehen, was sonst nicht zu sehen ist: den menschlichen Geist, wie es im Ausstellungstext hieß.
Nicht immer war für Hinze klar, dass sich seine Kreativität in der bildenden Kunst konzentrieren würde. Zunächst liebäugelte er mit einer Karriere als Musiker. 14 Jahre war der 1969 geborene Hinze alt, als er mit Freunden die spätere Band Sandow gründete, die in der unmittelbaren Nachwendezeit einen beachtlichen Bekanntheitsgrad erreichte und auch heute noch existiert. „Rammstein war unsere Vorgruppe“, erinnert sich Hinze. Dennoch hatte Sandow keine Ambitionen, zu den ganz Großen im Rockgeschäft aufzuschließen. „Das wird auch eintönig. Immer auf Tour, der Stress. Wir wollten weiter unseren Spaß haben“, sagt Hinze heute. Sandow hat in diesem Herbst, pünktlich zum 35. Bandjubiläum, eine neue Platte veröffentlicht, die sie im November in Potsdam vorstellen.
Musik sei nun wieder zum reinen Vergnügen geworden und mache ausschließlich Spaß, sagt der bildende Künstler Hinze. Neben Musik und Skulpturen schafft er auch Tafelbilder. Auf seinen aktuellen Bildern überlagern sich viele Schichten: Es sind abstrakte Bilder, ohne Figur, ohne die sonst häufige Metapher des Schiffes. Wie bei den Metallplatten wolle er den Blick auf die zeitbedingten Prozesse und Veränderungen lenken, sagt er.
Veränderung und Bewegung, das sind auch die Gründe für die Begeisterung, die Hinze angesichts von Schiffen empfindet. Der gebürtige Cottbusser besuchte als Kind häufig den Spreewald, schipperte mit den dortigen Kähnen durch die verhangenen Wälder. Piraten in Kinderbüchern und Fernsehserien faszinierten ebenso. So wurde das Schiff für den Künstler, der nie Kunst studiert hat, zur tragenden Metapher, die er auch in von ihm gestalteten Bühnenbildern verwendete. Der Leitgedanke der Veränderung werde auch sein weiteres künstlerisches Arbeiten prägen, sagt Hinze.
Vor einigen Jahren begab er sich bei einer schweren persönlichen Krise auf eine Wanderung: „Wenn nichts da ist als das nackte Selbst und deine Klamotten, dann siehst du, wie klein du bist – aber auch, wie wunderbar die Welt ist.“ Es sei ihm klar geworden, dass er den Weg, den er begonnen hatte, weiter gehen wolle. Den Weg der Kunst. „Abseits von Konsum und immer stärkerem gesellschaftlichem Wettbewerb eröffnet der Künstler neue Perspektiven. So kann die Kunst an der Gestaltung einer neuen Welt, die sich schnell verändert, mitwirken.“ Richard Rabensaat
Richard Rabensaat
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