Trump-Biografie: Ein Mann unserer Zeit
„Niemals genug“: Michael D’Antonio ordnet Donald Trump in eine Sittengeschichte der USA ein. Eine Rezension.
Am kommenden Donnerstag werden die Republikaner Donald Trump zum Abschluss ihres Parteitags in Cleveland, Ohio, als ihren Präsidentschaftskandidaten 2016 nominieren. Die Zweifel, die seine Kandidatur von Anfang an begleitet hatten, werden dort nicht mehr zu hören sein. Von der Convention sollen Signale der Geschlossenheit und der Siegesgewissheit für die Wahl im November ausgehen.
Das ist eine erstaunliche Entwicklung. Vor gerade mal drei Monaten erwarteten viele professionelle Beobachter, dass Trumps Bewerbung und, mehr noch, der Krawall-Stil seines Wahlkampfs die Republikaner spalten werden. Dass er Gegenkräfte mobilisiere, weil Konservative, die sich um die Wahl als Gouverneure, Abgeordnete, Senatoren bewerben, ihre Chancen unter diesem Spitzenkandidaten und seiner Rhetorik schwinden sehen. Weshalb mit einem konfliktreichen Verlauf des Parteitags zu rechnen sei, Kampfabstimmung inklusive. Trump hat sich durchgesetzt und fast alle seiner – nach wie vor vorhandenen – Widersacher verstummen lassen. Wer rätselt, warum ihm solche Wendungen gelingen, kann nun auch auf Deutsch nachlesen, mit welchen Methoden der Egomane sich zeit seines Lebens behauptet hat.
„Me Generation“: die Kultur des Narzissmus
Michael D’Antonios Buch, das im September 2015 unter dem treffenderen Titel „Never Enough. Donald Trump and the Pursuit of Success“ („Niemals genug. Donald Trump und das Streben nach Erfolg“) in den USA erschien, liegt nun – in einer stellenweise überhasteten Übersetzung – auf Deutsch vor. Er hat keine klassische Biografie geschrieben, in der er die Persönlichkeit seines Interesses durch die entscheidenden Lebensabschnitte begleitet. Das wäre auf weniger als der Hälfte der 544 Seiten zu schaffen gewesen. D’Antonio bettet Trumps Lebenslauf in eine Sittengeschichte der Vereinigten Staaten ein.
Der Vorteil dieser Herangehensweise: Trump tritt uns nicht als Ausnahmefigur der amerikanischen Gesellschaft entgegen, sondern als Verkörperung wichtiger sozialer, technischer und ökonomischer Entwicklungstrends der vergangenen Jahrzehnte: der Aufstieg der selbstbezogenen „Me Generation“, die Kultur des Narzissmus, die neue Dimension der Selbstdarstellung im Internet und den sozialen Medien. Trumps permanente Eigenwerbung folgt durchaus der nationalen Übung. Erst seine schamlose Übersteigerung dieser Kulturtechnik sprengt die Grenzen des Konsenses – aber nicht zwangsläufig zu seinem Nachteil.
Trump ist beruflich bei Weitem nicht so erfolgreich wie Bill Gates, Steve Jobs oder Warren Buffett. Dennoch ist er „berühmter“ als sie – sofern man Berühmtheit daran misst, wie lange und wie intensiv sich Amerikas Medien schon an ihm abarbeiten. Lehrreich sind D’Antonios Beispiele, wie Trump die Medien nun schon seit vier Jahrzehnten zwingt, sich mit ihm zu befassen. Und wie er im Gespräch jede Frage zu dem Thema zurücklenkt, das ihn allein zu interessieren scheint: Trump. Welche Bücher haben ihn beeinflusst? „Ich liebe es zu lesen. Ich habe, wie Sie wissen, selbst einige Bestseller geschrieben …“ – und schon ist er bei seinen eigenen Büchern, voran „The Art of the Deal“ (1987). Nahtlos leitet er zum Fernsehen über und zu seiner Sendung „The Apprentice“, die eine „Number One Show“ gewesen sei.
Sex auf über 10 000 Höhenmetern
Trump ist keineswegs der geniale Geschäftsmann, als der er sich vorstellt. Vier seiner Casino-Gesellschaften meldeten Bankrott an. Die Fluggesellschaft Trump Shuttle war ein Misserfolg. Als Privatperson stand er kurz vor dem Offenbarungseid. Er ist jedoch ein Paradebeispiel dafür, dass selbst negative Publizität für das Vorankommen immer noch besser ist als gar keine. Trump hat verinnerlicht, was für das breite Publikum zu einer guten Story gehört: Sex, Geld und Machtkämpfe. Ob es um seine zweite Ehefrau Marla Maples geht, mit der er über Jahre ein Verhältnis hatte, während er noch mit Ivana verheiratet war, oder um seine aktuelle, Melania – Trump sonnt sich in Zitaten, dass die eine den Sex mit ihm als den besten ihres Lebens empfand (Marla) und dass die andere offenbart, mit ihm erstmals Sex auf über 10 000 Höhenmetern gehabt zu haben, natürlich in einem Privatjet (Melania).
Eine so exzessive Beschäftigung mit sich selbst, wie Trump sie an den Tag legt, gilt in den USA nicht mehr als Anzeichen für eine Krankheit. Sie wird, das ist die Quintessenz von D’Antonios Buch, inzwischen als Stärke betrachtet. Und so ist die Erkenntnis, dass Trump nicht nur als Geschäftsmann, sondern auch in seinen privaten Beziehungen mehrfach scheitert, nur noch ganz normaler Teil einer Story. Insofern darf Amerika sich nicht wundern, dass einer wie Trump trotz aller Warnsignale so erfolgreich sein kann.
Müsste die Öffentlichkeit nicht viele der kleinen und großen Episoden aus Trumps Leben als Alarmsignale empfinden? „Be a killer“ taucht als zentrale Lehre aus der Kindheit auf: rücksichtslos sein, sich gegen andere durchsetzen, „ein Killer“ sein. Der Vater investiert so viel Zeit in seine Baufirma, dass der Sohn, wenn er mit ihm Kontakt haben möchte, nur die Möglichkeit hat, ihn am Wochenende auf Baustellen zu begleiten.
Was Donald von ihm an Praktiken lernt, klingt eher nach Betrug als nach vertrauenswürdigem Geschäftssinn. Baumaschinen werden von einer Trump- Firma billig gebraucht erworben und einer anderen Trump-Firma zu überteuerten Stundenpreisen geliehen – die diese wiederum gegenüber öffentlichen Kassen als Kosten des sozialen Wohnungsbaus geltend macht. Bewohner, deren Mieten aus öffentlichen Kassen bezahlt werden, kann man ruhig vernachlässigen – sie haben mit Beschwerden schlechte Aussichten. Und Politiker sind erpressbar, je näher ein Wahltag rückt. Die Baubranche im Großraum New York ist ein Haifischbecken. Erfolg ergibt sich aus den richtigen Verbindungen, teils zur Politik, teils zum organisierten Verbrechen, sowie der grenzwertigen Nutzung von Steuervergünstigungen.
Die Technik des Behauptens, des halben Zurücknehmens und dann doch wieder Beharrens, ist geblieben
Dieses Agieren in Graubereichen, in denen die Unterschiede zwischen Recht und Unrecht, zwischen wahr und unwahr verschwimmen, wird bei D’Antonio allmählich zu einer typischen Eigenschaft Trumps. Er hat sich um den Militärdienst in Vietnam gedrückt? Unerheblich. Trump tut so, als sei seine Schulzeit in der militärisch geführten Jungenschule „Military Academy New York“ gleichwertig mit einer militärischen Karriere. Dorthin gekommen war er, weil er die Kew-Forest-Schule nahe dem Elternhaus nach der siebten Klasse wegen schlechten Betragens verlassen musste. Und warum soll von Belang sein, ob die erste Ehefrau Ivana nun wirklich Mitglied des tschechoslowakischen Ski-Olympiateams war, wie Trump anfangs behauptet hatte, oder vielleicht nur Ersatzkandidatin, oder ob sie vielleicht nur im selben Skigebiet trainiert hat?
Die Technik des Behauptens, des halben Zurücknehmens und dann doch wieder Beharrens oder Bezweifelns, je nachdem, wie es passt, ist geblieben. Nur die Themen haben gewechselt: Nun geht es darum, ob Barack Obama wirklich in den USA geboren ist oder in Wahrheit ein illegaler Präsident ist; und ob man Muslime nicht besser grundsätzlich als Terrorverdächtige behandelt.
Wer sich die Zeit nimmt, lernt viele neue Facetten von Donald Trump kennen. Freilich müssen sich Leser stellenweise durch lange und nicht auf Anhieb verständliche Erläuterungen von Firmenverschachtelungen und Geschäftsmodellen arbeiten. Erzählstränge werden nicht immer konsequent zu Ende geführt, etwa bei der Beziehung zu Marla Maples. Und ein aufmerksames Lektorat hätte nicht stehen lassen, dass Präsident Bill Clinton „seines Amts enthoben“ wurde. Das mindert aber nicht den Wert der Leistung D’Antonios, uns Donald Trump als Produkt unserer Zeit vorzuführen.
– Michael D’Antonio: Die Wahrheit über Donald Trump. Econ Verlag, Berlin 2016. 544 Seiten, 19,99 Euro.