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Der britische Schriftsteller John le Carré in seinem Haus in London. Er starb am 12.12. 2020 im Alter von 89 Jahren.
© Kirsty Wigglesworth/AP/dpa

Zum Tod des Schriftstellers John Le Carré: Ein Leben auf der Flucht

Einmal Spion, immer Spion, auch als Schriftsteller: Zum Tod von John Le Carré, dem Großmeister des Spionage-Romans. Ein Nachruf.

Als John Le Carré vor knapp einem Jahrzehnt in Berlin eine Laudatio auf den Ullstein Verlag hielt, sprach er von der „deutschen Muse“, die ihn in Oxford Deutsch studieren ließ. Und er erinnerte sich, wie es eine der prägendsten Erfahrungen seines Lebens war, im August 1961 am Checkpoint Charlie zu stehen „und das Bollwerk des Kalten Krieges aus der Asche des heißen Kriegs emporwachsen“ zu sehen.

John Le Carré war zu dieser Zeit, in den frühen sechziger Jahren, in der Bundesrepublik tätig, an der Britischen Botschaft in Bonn, offiziell als Zweiter Sekretär - vor allem aber als Agent, der häufig Deutsche nach Berlin begleitete, die der britische Geheimdienst im Visier hatte.

Denn nachdem er in den fünfziger Jahren seine Militärzeit beim Nachrichtendienst der britischen Armee abgeleistet hatte, heuerte ihn nach seinem Studium zunächst der britische Inlandsgeheimdienst an, der MI 5. Danach wechselte er zum MI 6, der Auslandsabteilung, wurde wegen seiner guten Deutschkenntnisse nach Bonn geschickt und später nach Hamburg, wo er den Titel eines britischen Vizekonsuls trug.

Prägend war diese Erfahrung beim Bau der Mauer natürlich auch deshalb, weil Le Carré im Anschluss daran seinen zu diesem Zeitpunkt dritten Smiley-Roman „Der Spion, der aus der Kälte kam“ schrieb, angeblich in nur fünf Wochen. Mit diesem Roman wurde John Le Carré weltberühmt.

Smiley: "Ein atemberaubend gewöhnlicher Mensch

Er ermöglichte es ihm, seinen Dienst 1964 zu quittieren und sich ausschließlich dem Schreiben zu widmen. Mit George Smiley hatte Le Carré eine literarische Figur geschaffen, die mehr war als bloß ein Agent zwischen den Fronten des Kalten Kriegs.

Smiley ist ein großer, sympathisch wirkender Melancholiker wie beispielsweise Raymond Chandlers Philip Marlowe, aber eben auch ein unglamouröser, dicklicher, mausgrauer und treuer Diener im Dienste seiner Majestät, weit entfernt von der Welt eines James Bond: ein „atemberaubend gewöhnlicher Mensch, der eine Menge Geld für wirklich miserable Anzüge ausgibt“, wie es in einem der Smiley-Romane seine Ehefrau über ihn sagt - um ihn dann für einen Rennfahrer zu verlassen.

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Doch natürlich lebt „Der Spion, der aus der Kälte kam“ nicht nur von der Hauptfigur, sondern auch von seiner literarischen Qualität, von der Ambivalenz von Gut und Böse, den gutbösen Grauzonen. Und er lebt nicht zuletzt von seiner Authentizität, dem Wissen, dass Le Carré sich in seiner siebenjährigen Agententätigkeit angeeignet hatte.

So sagte er später einmal in einem Interview: „Einmal ein Spion, immer ein Spion – ich glaube, das ist vollkommen richtig. Und ich weiß nicht, ob ich ein Schriftsteller bin, der Spion wurde, oder ein Spion, der schließlich Schriftsteller wurde.“

Philip Roth bewunderte Le Carrés Roman "Ein blendender Spion"

Von George Smiley, das ist bei Autoren mit so einer einmal liebgewonnenen, überdies so viel Anklang findenden, häufig verfilmten Figur häufig der Fall, kam John Le Carré nicht so leicht los. Nachdem er mit dem großartigen Roman „Dame, König, Ass, Spion“ und dem Nachfolger „Eine Art Held“ ihn eigentlich schon in Rente geschickt hatte, ließ er ihn Ende der siebziger Jahre das erste Mal aus seinem „dubiosen Ruhestand“ holen und Anfang der neunziger Jahre mit „Der heimliche Gefährte“ ein weiteres Mal.

Dabei war Le Carré schon früh daran gelegen, von den reinen Spionageromanen wegzukommen, zum Beispiel mit dem politischen Thriller „Eine kleine Stadt in Deutschland“. Darin verarbeitete er seine Zeit an der Botschaft in Bonn und zeichnet unter anderem den Aufstieg eines Rechtspopulisten. Oder mit dem Bildungsroman „Der wachsame Träumer“, der 1972 erschien, ohne größeren Nachhall zu hinterlassen.

Oder, nach einem Ausflug in den israelisch-palästinensischen Konflikt, „Die Libelle“, mit dem autofiktionalen Roman „Ein blendender Spion“, den Philip Roth als den „besten englischen Roman seit dem Krieg“ bezeichnet hat.

Le Carré erzählt darin die Lebensgeschichte von Magnus Pym, eines britischen Spions, der im Kalten Krieg ein Spionagenetzwerk aus Ost-Agenten leitet und nach dem Tode seines Vaters Richard Pym, eines Hochstaplers, spurlos verschwindet.

In großen Zügen porträtiert Le Carré mit Richard Pym seinen eigenen Vater, einem Kaufmann und waghalsigem Finanzjongleur, Ronald „Ronnie“ Cornwell. Zu diesem hatte er bis zu dessen Tod 1975 eine traumatische Beziehung.

1931 in dem am Ärmelkanal liegenden Städtchen Poole in der Grafschaft Dorset als David John Moore Cornwell geboren, musste John Le Carré, wie er sich seit seinem Debüt als Autor nannte, schon im Alter von fünf Jahren erfahren, dass seine Mutter Olive die kleine Familie verließ.

Die Kindheit von Le Carré war eine sehr unglückliche

Seine Kindheit war unglücklich, woraus er nie einen Hehl gemacht hat „Ich weiß nicht wie oft der Gerichtsvollzieher kam. Es ist unvorstellbar demütigend für einen Jungen, wenn ihm alles weggenommen wird – sogar die Spielsachen. Ich schämte mich und fühlte mich schmutzig.“

Doch diese Kindheit, auch das gestand er einmal, führte dazu, dass er mit der Zeit immer besser wurde im Erfinden seiner selbst – und die Zeit seiner Agententätigkeit tat dazu ihr übriges. „Ich bin ein Lügner, zum Lügner geboren, gezüchtet und trainiert von einer Industrie, die mit Lügen ihr Brot verdient, als Erzähler darin geübt“.

Nachdem er sich 1948 und 1949 in Bern in der Schweiz für ein Sprachenstudium eingeschrieben hatte, kehrte Le Carré zurück nach England, um 1956 in Oxford sein Studium abzuschließen. Es folgte die Arbeit als Lehrer am Eton College und schließlich der Eintritt beim MI 5 und die Entsendung nach Bonn, wo er anfing literarisch zu schreiben und mit dem ersten Smiley-Roman „Schatten von gestern“ debütierte.

2017 schrieb er noch einmal einen Smiley-Roman

Der Fall des Eisernen Vorhangs schien John Le Carré, der in seinen Romanen so gut die bleierne Atmosphäre der fünfziger bis achtziger Jahre eingefangen hatte, den endgültigen Zerfall des britischen Imperiums, seines zentralen Stoffes beraubt zu haben. Doch so wie die politischen Krisen auf dem Globus zahlreicher wurden, die Globalisierung ihre Untiefen immer offensichtlicher offenbarte, so fand Le Carré Roman für Roman stets ein neues Thema.

In „Der Nachtmanager“ setzte er sich auf die Spur von Waffen- und Drogenhändlern, in „Unser Spiel“ beschreibt er den Freiheitskampf der Kaukasausvölker, in „Der ewige Gärtner“ die Ausbeutung des afrikanischen Kontinents. Und in einem Roman wie „Marionetten“ wandte er sich dann dem sogenannten Krieg gegen der Terror der nuller Jahre zu.

Nicht jeder seiner Romane des Spätwerks ist eine Meisterleistung, mancher davon wirkt wie eine routinierte Fingerübung. Doch für Le Carré waren diese Bücher immer auch Geschichten in eigener Sache, um sich selbst, die ewigen Traumata der Kindheit vom Leib zu halten. Denen wollte er nicht einmal in seinen vor vier Jahren veröffentlichten Memoiren entscheidend auf den Grund gehen. Sein Leben, das im Gegensatz zu dem von Smiley, ein glamouröses war, beschreibt er darin als eine „Abfolge von Fluchten“.

Als Konsequenz dieser Selbstbeschreibung ließ er kurz darauf Smiley noch einmal auferstehen, mit „Das Vermächtnis der Spione“, einem kongenial reifen Prequel zu seinem Weltbestseller „Der Spion, der aus der Kälte kam“. Am Samstagabend ist John Le Carré, der Großmeister des Spionageromans, in Truro in der südenglischen Grafschaft Cornwall gestorben. Er wurde 89 Jahre alt.

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