Lit:Potsdam im Schirrhof: Ein gescheiterter Dialog zwischen Peter Sloterdijk und Kübra Gümüşay
Von der Schwierigkeit in den Dialog zu finden: Während der Philosoph Peter Sloterdijk und die Netz-Aktivistin Kübra Gümüşay scheitern, zeigten Matthias Brandt und Christian Petzold bei Lit:Potdam, wie leichtfüßig Austausch unter Gleichgesinnten geht.
Potsdam - Es gehört zum Reiz von Festivals, das scheinbar Unvereinbare auf engstem Raum zusammenzubringen. Und dem Publikum, bestenfalls, das Gefühl zu vermitteln, auf geheimnisvolle Weise gehöre das inhaltlich, visuell oder sonstwie Widerstrebende am Ende dann doch zusammen. Das Literaturfestival Lit:Potsdam gab dazu am Donnerstagabend die Probe aufs Exempel: Zunächst waren da in der brütenden Nachmittagshitze auf dem Schirrhof der Philosoph Peter Sloterdijk und die Netz-Aktivistin Kübra Gümüşay zu erleben. In der untergehenden Sonne dann der Autor-Schauspieler Matthias Brandt im Gespräch mit dem Regisseur Christian Petzold.
Was kann Sprache, was soll sie, wo hört sie auf?
Die grobe Klammer war natürlich mit dem Festivalrahmen bereits vorgegeben: Alle Geladenen setzen sich mit Sprache auseinander, mit geschriebener zumeist. Was kann sie, was soll sie, wo hört sie auf? Das waren vor allem die Themen von Sloterdijk und Gümüşay. „Über die Wahrheit“ war das Panel etwas großspurig übertitelt – und tatsächlich erwies sich dieser recht vage inhaltliche Rahmen als so weit, dass die beiden Beteiligten kaum zueinanderkamen.
Gümüşay, deren 2020 erschienenes Buch „Sprache und Sein“ es inzwischen auf die Spiegel-Bestsellerliste geschafft hat, stellte zunächst in einer Lesung einige wesentliche Kernthesen vor: Wir sehen nur, was wir auch benennen können. Es gibt jene, die die Welt benennen (die „alten weißen Männer“), und jene, die benannt werden (als „Muslime“, „Gutmenschen“, „Kopftuchfrauen“). Letztere werden zu Objekten von Diskursen, anstatt Diskurse selbst zu führen. Muslimische Frauen wie Gümüşay – jene, die Kopftücher tragen zumal – gehören dazu. Alle sprechen über sie, aber sie selbst kommen kaum zu Wort. Und wo sie doch zu Wort kommen, hört man nicht, was sie eigentlich sagen. Man hört, was man hören will. Aus dieser Enge gilt es sich zu befreien, könnte man verknappt Gümüşays These zusammenfassen. Über wirklichen Dialog.
Die Ironie des Abends
Es gehört zur Ironie dieses ersten Gesprächs, dass eben jener Dialog auf dem Podium in keiner Weise stattfand. Peter Sloterdijk hatte offensichtlich keine große Lust, Gümüşays Angebot zum Dialog aufzunehmen – oder ihre Themen waren inhaltlich einfach ein paar Schritte zu weit weg von dem Manuskript, mit dem Sloterdijk hier angetreten war: ein noch unveröffentlichter Auszug aus dem erst im Oktober erscheinenden Buch „Den Himmel zum Sprechen bringen: Elemente der Theopoesie“.
Die Grundthese, so Sloterdijk: Die Religion müsse heute erstmals in der Geschichte keinen Staat, keine Gesellschaft begründen, „sie ist zum allerersten Mal richtig frei“. Deren Funktion sei es heute schlichtweg, funktionslos zu sein. „Durch die Eroberung der Nutzlosigkeit kommt man dem Himmel näher.“ Allerdings, eine Begleiterscheinung dieses Idealzustands: dafür fehle einem dann die Sprache.
Zum Thema Religion hätte es vermutlich auch aus Sicht der Muslimin Gümüşay einiges zu sagen gegeben; doch dazu kam es nicht. Stattdessen dozierte Sloterdijk eloquent über den „iconic turn“, die Umkehrung von der Sprachwelt in die Bilderwelt des Internetzeitalters, in der „alles zu einem Kultobjekt werden kann“. Gümüşay musste sich im Vorbeigehen für den „anmutigen Sprechgesang“ ihrer Stimme loben lassen und blieb, eine denkwürdige Illustration der These Gümüşays, Publikum vor dem Monolog des Benennenden, des Alten Weißen Mannes. Ebenso wie die Moderatorin Dilek Üşük.
Zwei Gleichgesinnte: Christian Petzold und Matthias Brandt
Wie unkompliziert Dialog dagegen unter Gleichgesinnten aussehen kann, machten Matthias Brandt, der diesjährige Writer in Residence des Festivals, und Christian Petzold im Anschluss vor. Eine Moderation brauchte es hier nicht, die beiden kennen und mögen sich seit Jahren. Sie haben vier Filme zusammen gemacht. Der letzte war „Transit“ nach dem Roman von Anna Seghers – ein „Lebensbuch“ für beide, wie sich herausstellt. Petzold entdeckte den Roman und die Autorin über seinen Mentor Harun Farocki – und fand über sie nach langer Vorliebe für anglo-amerikanische Autoren „zurück zur deutschen Literatur“.
Brandt fand darin etwas widergespiegelt, was seine Familie stark prägte, aber zuhause nie Thema war: wie es ist, im Exil zu leben. Brandts Mutter war Norwegerin, sein Vater Willy Brandt flüchtete vor den Nazis nach Schweden. Matthias Brandt erweist sich als hervorragender Moderator, bescheiden, neugierig, kenntnisreich – und lässt der Literatur Anna Seghers das erste und auch das letzte Wort des Abends. Und als es langsam dunkel wird und die Rede davon ist, dass das rettende Schiff nach Lissabon gesunken sei, da meint man in der Stimme Matthias Brandt die Vergeblichkeit zu hören, die der ganzen Geschichte, dem Film eingeschrieben ist. Wie hatte er gesagt? „Kino schaut dem Leben beim Sterben zu.“
Lit:Potsdam findet bis zum 9. August statt. Die Veranstaltungen sind ausverkauft, aber beim Brandenburgischen Bücherfest, am 9. August von 13 bis 18 Uhr im Treffpunkt Freizeit, ist der Eintritt frei.
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