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Havemann
© Ullstein

Politisches Buch: Ein Blick in die Schränke

Florian Havemann rechnet mit dem Vater ab – und den übrigen DDR-Dissidenten der „vorletzten Stunde“.

Florian Havemann, Künstler und Laien-Verfassungsrichter im Land Brandenburg legt eine Familiengeschichte der besonderen Art vor. Der 1952 in Ostberlin geborene Sohn des Physikers, antifaschistischen Widerstandskämpfers, DDR-Staatsfunktionärs, Stalinisten und späteren Oppositionellen Robert Havemann rätselt mehreren Generationen von Havemännern hinterher. Doch bald kommt er zu dem Auslöser seines Buches. Es ist der Vater, der ihn mit Liebesentzug bestrafte, in dessen Leben zahllose Geliebte, Geltungssucht und Alkohol eine wichtigere Rolle spielten als die eigenen Kinder, vor allem als der Sohn Florian.

Eine Familienabrechnung von über tausend Seiten, welcher Leser wird sich darauf einlassen, selbst wenn der Name Havemann den Buchumschlag ziert? Voyeure und Anekdotensammler erfahren jetzt endlich, warum der knapp zuvor in Ungnade gefallene Robert Havemann am geschichtsträchtigen 21. August 1968 unauffindbar blieb. Sie erfahren, in welchem Schrank sich der eigentlich feige Wolf Biermann am gleichen Tag versteckte, in welchem Jahr und an welchem Tag Margot Honecker zum vermutlich letzten Mal mit dem Liedermacher schlief.

Dabei lässt es Florian Havemanns Demontagefuror aber nicht bewenden. Wem – Ost wie West – die Vorstellung einer wirklichen Opposition in der späten DDR schon immer auf die Nerven fiel, kann sich jetzt endgültig bestätigt, sehen. Was im Buch des Sohnes als „Dissidenten der vorletzten Stunde“ präsentiert wird und zu den Füßen des Gurus Robert Havemann kauerte, ist ein Haufen verkrachter Existenzen.

Subjektive Gründe für ein solches Buch lassen sich viele denken. 1968, noch nicht volljährig, protestiert Florian Havemann, gemeinsam mit den Kindern anderer DDR-Prominenter, gegen die Panzer in Prag und verschwindet danach für mehrere Monate in DDR-Zuchthäusern. Vorzeitig entlassen, steht Bewährung in der Produktion an; zu Hause umgibt ihn eine völlig zerrüttete Familie. Der Vater und dessen Freund Wolf Biermann quittieren seine anschließende Flucht in den Westen mit Unverständnis und Ablehnung. Biermann schickt ihm das Lied vom „verlorenen Sohn“ hinterher, das Florian zu Recht als Kainsmal empfinden muss. Die im Lied ebenso enthaltene Trauer erschließt sich vielleicht nur dem Unbeteiligten. Biermanns Ausbürgerung 1976 erfährt im Buch eine eigenwillige Ausdeutung und kann den Riss nicht mehr kitten. Im Jahre 1978 erscheint im „Spiegel“ die erste Generalabrechnung des Sohnes mit seinem Übervater. Erich Fried, eine der wenigen Personen, die Florian Havemann mit ungeteilter Hochachtung beschreibt und den er auch selbst zitiert, schrieb damals vom unerträglichen Versagen des Vaters, das einen mehr „selbstzerstörerischen als befreienden“ Text befördert habe. Man fragt sich , warum der damals „konfliktbesessene“ und „zwanghaft erbarmungslose Sohn“ knapp 30 Jahre später mit noch heftigerer Vehemenz loslegt, warum er neben seinem Vater und Wolf Biermann, der sich gut selbst verteidigen kann, eine ganze Folgegeneration von DDR-Oppositionellen in den Dreck zu ziehen sucht. In der knappen Mitte des Buches findet der Generalangriff statt: Nach seinem Weggang 1971 sieht Florian einen Vater zurückbleiben, der in seiner Sicht zunehmend vereinsamt, die meisten seiner Freunde verliert, immer mehr dem Alkohol verfällt, keine intellektuell ebenbürtigen Menschen mehr um sich hat. An deren Stelle treten das theologische Leichtgewicht Rainer Eppelmann und andere zweifelhafte Gestalten. Havemann „der früher mit Leuten wie Brecht, Johnny Heartfield, Wieland Herzfelde, Stefan Heym, Fritz Cremer und Ronald Paris Kontakt hatte, lernt dann nur noch so großartige Künstler wie die Malerin Bärbel Bohley kennen, den Möchtegern- Schriftsteller Jürgen Fuchs“. Alle in Florian Havemanns Abrechnung nicht namentlich aufgeführten Personen, die trotz Stasi-Blockade und Hausarrest zu Robert Havemann Kontakt hielten, können sich ausrechnen, zu welcher Kategorie von Versagern und gesellschaftlichem Bodensatz sie in diesem Bild geraten müssen. Katja Havemann, Ehefrau und politische Gefährtin der letzten Jahre, bleibt in Florians Buch eine Unperson.

Immer, wenn einem Florian Havemann auf seinen Endlosschleifen um die Familiengeschichte und das eigene Leben sympathisch werden könnte, wenn er seine privaten Sehnsüchte und Fantasien offenbart und den Künstler in sich zeigt, sorgt er mit dem nächsten Schwung der Abrechnungskeule für Ernüchterung. Was treibt den mittlerweile mehr als erwachsenen Sohn, nach der ersten Abrechnung vor 30 Jahren, nun zum potenzierten Vatermord? Sind es wirklich nur erhoffte Publizität und die neuen Freunde aus PDS-Kreisen, die als Kronzeugen von Behauptungen, Vermutungen und Gerüchten auftreten?

Robert Havemann passt auf kein Podest und ist sicher nicht allen seinen Kindern ein guter Vater gewesen. Fast alle, die sich in den beiden letzten Jahrzehnten der DDR mit ihm trafen, wussten das. Sie spürten aber, welche Kraft darin steckte, den „ich geh ja aufrecht aber leicht geduckt“-Gestus der kritischen Salon-Intellektuellen zu überwinden, ins Freie zu kommen und sich auf neue Menschen einzulassen. Die letzten Jahre seines Lebens, bis zu seinem Tod im Jahre 1982, waren Robert Havemanns produktivste und folgenreichste Zeit. Es hat seinen guten Grund, wenn das wichtigste Archiv der DDR-Bürgerbewegung mit den Namen Matthias Domaschk und Robert Havemann verbunden ist. Die Leute, die dort arbeiten und zu dieser Geschichte gehören – Florian Havemann kennt sie alle – stricken an keinen Heldenlegenden.

Gegen Intervention und Kritik an seinem erneuten Vatermord schirmt sich Florian Havemann mit schlagenden Argumenten ab: „Ich schreibe dies Buch Havemann für mich. Es ist dies ein egoistisches, ein vollkommen egozentrisches Buch, ein ungerechtes sicher und ein für viele verletzendes auch.“

Vielleicht hätte er es wirklich lieber nur für sich selbst schreiben sollen. Wer von uns hat nicht auch seine tausend Seiten privater Mordfantasien mindestens im Kopf, kennt aber auch die guten Gründe, sie dort zu lassen.

– Florian Havemann: Havemann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 896 Seiten, 28 Euro.

Wolfgang Templin

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