Jüdisches Filmfestival: Die Unerkannte
Das jüdische Filmfestival entdeckt im Filmmuseum das zweite Gesicht der Hollywoodbeauty Hedy Lamarr.
Sie gilt im Vergleich zu ihren exilierten Kolleginnen als die große Unbekannte: Hedy Lamarr, bürgerlich Hedwig Eva Maria Kiesler, geboren am 9. November 1914 in Wien. Ihre 13 Jahre zuvor in Berlin geborene Schauspielkollegin Marlene Dietrich ist bis heute die weitaus Bekanntere, obwohl – und das mag überraschen – ihr Schaffen weitaus weniger Bedeutung für das Leben in der Gegenwart hat.
Am Samstagabend führt der Filmhistoriker und Kulturwissenschaftler Frank Stern (Universität Wien) im leider nicht einmal zur Hälfte gefüllten Filmmuseum in den Dokumentarfilm „Geniale Göttin – Die Geschichte von Hedy Lamarr“ (im englischen Original: „Bombshell – The Hedy Lamarr Story“) der Regisseurin Alexandra Dean aus dem Jahr 2017 ein. Stern betont, dass Lamarr bereits vor ihrer Emigration in die Vereinigten Staaten als Schauspielerin durchaus Erfolg hatte – unter anderem sorgte sie mit dem tschechoslowakisch-österreichischen Film „Ekstase“, der 1932 gedreht wurde, für einen handfesten Skandal, da darin eine der ersten Nacktszenen der Filmgeschichte zu sehen ist.
Hedy Lemarrs Leben jedoch verzeichnet gleich mehrfach Brüche. Gleichsam vor ihrem herrschsüchtigen und eifersüchtigen Mann, dem Wiener Rüstungsfabrikanten Fritz Mandl (der Zeit seiner Ehe mit der Schauspielerin versuchte, alle Kopien des Films „Ekstase“ aufzukaufen, was ihm nicht gelang), als auch vor den Nazis floh die jüdische Schauspielerin über Paris und London in die Vereinigten Staaten von Amerika.
Bereits in London wurde sie von dem Leiter der MGM-Filmstudios, Louis B. Mayer, entdeckt, einem ebenfalls aus Europa in die USA emigrierten Juden, der in London Ausschau nach emigrationswilligen Schauspielerinnen und Schauspielern hielt, die er zu Dumpingpreisen verpflichten konnte. Hedwig Kiesler bot er 125 Dollar die Woche – sie verlangte 500 und bekam sie. Fortan nannte sie sich Hedy Lamarr und wurde – wie der österreichische Regisseur Max Reinhardt sie bezeichnete – die „schönste Frau der Welt“.
In dieser Tatsache mag die zweite Verwerfungslinie ihrer Biografie begründet sein, denn Lamarr war nicht nur Leinwand-Femme fatale, sondern ebenfalls Erfinderin. Sie erfand nicht nur eine Art Instant-Coca-Cola in Würfelform, sondern auch jene Technologie, auf der heute Bluetooth, GPS und Wi-Fi fußen. Als überzeugte Antifaschistin und von Kindesbeinen an Technologieinteressierte wollte sie ihren Beitrag im Kampf gegen den Nationalsozialismus leisten und erfand mit dem Komponisten George Antheil eine nicht störbare Radarkontrolle für Torpedos, die der deutschen U-Boot-Übermacht Einhalt gebieten sollte. Allein: Das US-Militär zeigte wenig Interesse. Auch als öffentliche Person engagierte sie sich gegen den Nationalsozialismus, indem sie beispielsweise für Kriegsanleihen warb.
Der Film „Bombshell – The Hedy Lamarr Story“, der im Original mit Untertiteln gezeigt wird, rekonstruiert Lamarrs Leben anhand verloren geglaubter Interview-Bänder und lässt seine sowohl kluge als auch charmante Protagonistin über weite Strecke selbst zu Wort kommen.
In Hollywood – auch Stern betont dies nachdrücklich – litt sie unter ihrer Rolle. Eines ihrer bekanntesten Zitate verweist auf die Ambivalenz ihrer Hollywood-Karriere: „Jedes Mädchen kann glamourös sein. Du musst nur stillstehen und dumm dreinschauen.“ Lamarr, deren Schönheit Walt Disney 1937 in seinem „Schneewittchen“ verewigte, wird als Erfinderin hingegen kaum ernst genommen: Frauen seien schön oder intelligent, so das Narrativ dieser Jahre.
Tatsächlich gibt es bis heute – so Stern – keine wirklich gute Biografie, die das komplexe Leben Hedy Lamarrs angemessen zusammenfasst. Der Film „Bombshell“ leistet auf diesem Gebiet Pionierarbeit. Er arbeitet nicht nur mit Filmausschnitten und Zeitdokumenten, sondern lässt Lamarrs Kinder und Enkelkinder genauso zu Wort kommen wie prominente Schauspielkollegen, etwa den Schauspieler, Produzenten und Regisseur Mel Brooks. Dadurch rekonstruiert er das Leben der Schauspielerin und Erfinderin eindrücklich und fügt dem „schönen Gesicht“ ein zweites hinzu – ein „geniales“.
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„Geniale Göttin – Die Geschichte von Hedy Lamarr“ läuft im Rahmen des Filmfestivals Berlin & Brandenburg noch einmal am morgigen Dienstag im Filmkunst 66, Bleibtreustraße 12 in 10623 Berlin
Christoph H. Winter
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