zum Hauptinhalt
Frauen stärken. Wie schon in Neuss will Bettina Jahnke auch in Potsdam Frauen fördern.
© Andreas Klaer

Interview mit Bettina Jahnke: „Die Quote muss stimmen“

Bettina Jahnke, die designierte Intendantin des Hans Otto Theaters, über die erste Spielzeit als Blinddate, Haltung im Kulturbetrieb, Welpenschutz und Frauen an der Spitze.

Frau Jahnke, als wir das erste Mal mit Ihnen sprachen, sagten Sie: Das Theater in der Schiffbauergasse müsste um 180 Grad gedreht werden – damit es sich wieder der Stadt zuwendet. Wie soll Ihnen das gelingen?

Das ist ein Prozess, den es zu erforschen gilt. Wir haben versucht, in unserer Spielplangestaltung und unserer Werbekampagne, mit der wir die Spielzeit eröffnen werden, auf die Stadt zuzugehen. Durch spezielle Reihen und Formate, wie zum Beispiel die Bürgerbühne, werden wir die Zuschauer direkter ansprechen und zum Mitspielen einladen. Die erste Spielzeit ist erstmal ein Blinddate. Für beide Seiten. Das Publikum und ich, wir lernen uns gegenseitig kennen. Um dann herauszufinden, was die Stadt als Theater braucht. Das wird sich erst in der zweiten, dritten Spielzeit zeigen.

Was genau verstehen Sie unter dem Begriff Bürgerbühne?

Die Bürgerbühne ist ein Format, bei dem die Theaterpädagogen mit den Teilnehmern die Themen der Stadt und ihrer Bürger aufgreifen und spielerisch umsetzen. Es geht nicht darum, ein fertiges Stück nachzuspielen und aus den Bürgern kleine Schauspieler zu machen, sondern eher darum, aus dem biografischen Material, das die Bürger mitbringen, einen Abend zu stricken.

Was hat das in Neuss gebracht?

Auf jeden Fall neues Publikum. Das ist ja immer der Wunsch, der dahintersteht: Publikumsschichten zu erreichen, die sonst nicht ins Theater gehen, sich vom Theater nicht angesprochen fühlen. Und mich persönlich berührt diese Unmittelbarkeit sehr, wie sich die Spieler auf der Bühne verhalten. Wir Profis tun ja immer so, als wären wir jemand anderes, die Spieler in der Bürgerbühne sind einfach. Das ist wirkliche Authentizität. Eine unheimliche Bereicherung für das Theater. In Neuss waren die Bürgerbühne-Vorstellungen immer ausverkauft.

Sie sagen, Sie stellen sich die Frage: Welches Theater braucht die Stadt. Können Sie die Frage schon beantworten?

Nein. In der ersten Spielzeit zeigen wir, was wir im Gepäck haben, machen ein Angebot und schauen, wie die Stadt darauf reagiert.

Aber indem Sie ein Angebot für Potsdam schaffen, setzen Sie sich ja auch schon mit Potsdam auseinander.

Ja. Aber viel mehr geht es uns um die Zeit, mit der wir uns auseinandersetzen – oder um das Thema, das wir uns vornehmen.

Ihr erstes Spielzeitmotto lautet „Haltung“.

Ja. Wir wollen uns erst einmal mit dem Zeitgeist auseinandersetzen. Die Ur-Potsdamer Themen, die Zusammenarbeit mit freien Gruppen der Stadt, das möchte ich mir nicht gleich in der ersten Spielzeit anmaßen. Ich kann den Potsdamern jetzt nicht sagen, was Potsdam ist. Dazu ist die Stadt viel zu heterogen. Wir müssen uns erst einmal eingrooven.

Sehen Sie Ihr Theater auch als Ort, der Haltung einfordern oder mitformen will?

Das Wort Haltung ist ja ein bisschen unmodern geworden. Haltung heißt für mich, Verantwortung für seine Zeit zu übernehmen, sich in seiner Zeit, seiner Gesellschaft zu positionieren. Ich sehe unser Theater da schon in der Pflicht. Wir wollen ein Ort sein, an dem verschiedene Haltungen gelebt werden können. Ich meine damit auch meine persönliche Haltung, wie ich das Haus leiten will, wie wir uns als Team nach innen und nach außen aufstellen wollen.

Und, wie möchten Sie Ihr Haus leiten?

Demokratisch. Mit einer großen Meinungsvielfalt, und auf alle Fälle im Team. Auf keinen Fall so wie diese langsam absterbenden Regiepatriarchen. Das ist eine Art, ein Haus zu leiten, die sich überholt hat. Das gesamte Team und auch die Zuschauer in die Prozesse am Theater einzubinden, das ist mein Anspruch.

Partizipation ist ein schönes Stichwort, aber was heißt das konkret? Wie weit soll die Mitgestaltung des Ensembles gehen? Bis zur Spielplangestaltung?

Es ist meines Erachtens unmöglich, mit allen Mitarbeitern einen Spielplan zu gestalten oder das Ensemble 300 Stücke lesen zu lassen. Das tun die Dramaturgen. Es geht vielmehr um eine Art Gesprächskultur und flexible Kommunikationsstrukturen: dass wir begründen, warum wir was machen und die Entscheidungsprozesse transparenter gestalten.

Sie wollen Meinungsvielfalt schaffen. Wie macht man das im Theater?

Ein Stadttheater ist erstmal für alle da. Oliver Reese als Leiter des Berliner Ensembles kann sagen: Wir machen nur zeitgenössische Dramatik, die anderen Häuser machen den Rest. Aber das können wir als Stadttheater uns nicht erlauben. Da entsteht automatisch Meinungsvielfalt. Wir machen 23 Stücke in der Spielzeit, und nicht allen werden alle 23 gefallen. Das aber zuzulassen, und es auch auszuhalten, wenn eines mal mit 60 Prozent Negativbewertung durchgeht, darauf kommt es an. Wichtig ist zu sagen: Ja, das hat alles seine Berechtigung.

Gab es oder gibt es Gespräche mit Ihrem Vorgänger? Wie muss man sich diesen schwierigen Übergang vorstellen? Spricht man darüber, was nicht funktioniert hat?

Darüber möchte ich eigentlich nicht vor der Presse reden. Prinzipiell reden wir miteinander, aber die Situation ist schwierig, weil der Weggang nicht ganz freiwillig war. Es gibt viel emotional vermintes Gelände. Aber wir kennen uns seit 20 Jahren und haben ein professionelles Umgehen miteinander. Letztlich sind sich alle einig, dass es um das Haus, die Stadt und das Theater geht. Und unter den Mitarbeitern gibt es eine große Offenheit. Viele haben ja bereits mehrere Intendanten erlebt – aber bisher noch keine Intendantin. Das ist schon ein Thema am Haus. Viele hatten noch nie eine Frau als Chefin.

Wie ist Ihr eigener Umgang damit? Mit der Rolle, seit 60 Jahren die erste Frau auf dem Intendantenposten hier zu sein?

Da ich seit neun Jahren Intendantin bin, ist das für mich in der täglichen Arbeit kein Thema. Das ist inzwischen Normalität.

Im Rahmen der MeToo-Debatte wurden die Probleme von Frauen im Theater viel diskutiert, auch von uns als Zeitung. Wie erleben Sie das als Intendantin: Verändert sich da strukturell gerade etwas?

Ich glaube, dass durch die Debatte ein Kulturwandel stattfinden wird. Und ich glaube, dass wir Intendantinnen – viele sind wir ja noch nicht in der Theaterwelt – wirklich etwas ändern werden. Denn weibliches Führungsverhalten ist mehrheitlich ein anderes, warum auch immer. Lisa Jopt vom Ensemblenetzwerk hat den schönen Begriff der Theaterfolklore geprägt. Und zu dieser Folklore gehört eben die Besetzungscouch. „Ja, Mädel, da musst du durch.“ Das wird jetzt auf den Prüfstand gestellt.

Pro Quote Film hat kürzlich Untersuchungen darüber veröffentlicht, wie viel und worüber Frauen in Filmen reden. Sind das auch Dinge, die Sie als Theaterfrau beschäftigen?

Auf jeden Fall. Ich habe es in Neuss gemacht und ich mache es in Potsdam: Ich fördere Frauen. Auf der Bühne, indem ich ihnen gute Rollen gebe, große Rollen. Gemeinsam mit meinen Dramaturgen suche ich auch explizit Stücke für Frauen aus. Und ich fördere junge Regisseurinnen. Die Quote muss stimmen. Mindestens 50:50. Dafür muss man auch manchmal Umwege gehen. Ich fahre viel rum und schaue mir Arbeiten von Frauen an. Die Männer machen auch von alleine Karriere. Das Netzwerk ist männlich. Deswegen achte ich auf Frauen besonders. Und wer künftig was von und mit Frauen sehen will, kann nach Potsdam gucken.

Womit wird Potsdamer Theater noch überregional auf sich aufmerksam machen?

Da müsste ich jetzt auf den Spielpan vorgreifen, den wir am 23. Mai vorstellen wollen. Aber wir werden auf jeden Fall versuchen, politisch relevante Stoffe und neue Formate auf die Bühne zu bringen, verschiedene Handschriften auszuprobieren.

Neue Formate, was heißt das? Stückentwicklungen?

Ja, auch.

Auch schon in der ersten Spielzeit?

Ja. Wir wollen uns auf alle Fälle dem performativen Bereich und den Stückentwicklungen öffnen, auch der freien Szene. Wir wollen auch in Richtung Doppelpass etwas entwickeln, das ist ein Fonds, der Kooperationen zwischen freier Szene und Stadttheatern fördert. Dementsprechend haben wir auch unser Team zusammengestellt.

Dazu gehört auch Christopher Hanf, der im Team von Tobias Wellemeyer Formate wie den „Refugees Club“ mitprägte. Welche Formate werden Sie übernehmen?

Ich sage nur: 23. Mai! Ich bitte um ein bisschen Geduld.

Aber „Rio Reiser“ wird übernommen?

Ja, er wird im neuen Spielplan sein.

Ihr Vorvorgänger Uwe Eric Laufenberg war sehr erfolgreich in der Stadt unterwegs, haben Sie das auch vor?

Perspektivisch schon. Wir haben uns schon in Golm und am Schlaatz umgesehen, um mögliche Projekte auszuloten. Aber erst einmal sollen die Zuschauer zu uns kommen, bevor wir zu ihnen kommen. Mein Ziel ist die Belebung der Schiffbauergasse, und ich kann sie nicht beleben, wenn das Haus verwaist.

Laufenberg setzte stark auf Gäste, Wellemeyer auf sein eigenes Ensemble. Und Sie?

Erst einmal soll das neue Ensemble zum Zuge kommen. Ich kann mir später auch vorstellen, hier oder da mit einem prominenteren Gast zu arbeiten. Ich bin da offen und habe keine Berührungsängste.

Ist das Hans Otto Theater auskömmlich finanziert?

Gute Frage, ich würde spontan sagen: Nein! (lacht) Es darf immer mehr sein. Aber es ist ganz gut aufgestellt. Nichtdestotrotz wünscht man sich immer, dass man mehr Luft hätte, um vielleicht mal ein Festival zu machen oder in die Stadt hineinzugehen.

Wie groß ist der Druck, die Auslastung zu steigern?

Im Moment nicht so groß. Im Moment sagt man mir: Machen Se mal. Ich denke, der Druck wird in der zweiten, dritten Spielzeit kommen, wenn der Welpenschutz vorbei ist.

Die Auslastungszahlen sind in den letzten Jahren immer wieder kritisiert worden. Wie bewerten Sie die die Potsdamer Auslastungszahlen?

Bei der Auslastung ist natürlich noch Luft nach oben. Aber man kann niemanden zwingen, ins Theater zu gehen. „Rio Reiser“ ist gute Unterhaltung, aber es darf daneben auch andere Stücke geben, bei denen das Theater vielleicht nur halb gefüllt ist. Wir sind ja kein Musicalhaus.

Woran misst sich Erfolg für Sie am Theater? Zuschauerzahlen? Gute Kritiken?

Wenn in der Stadt darüber geredet wird und das Theater damit zum Stadtgespräch wird. Ob positiv oder negativ. Das gilt es dann auszuhalten.

Sie scheinen Irritationen zu mögen. Über Potsdam haben Sie gesagt, es sei „irritierend schön“.

Wenn man wie ich die letzten Jahre in NRW gearbeitet hat, ist das schon erstaunlich schön hier. Da fragt man sich, wo die Reibungspunkte liegen. Wo ist der Schatten? Denn den gibt es hier natürlich auch. Das geht bei der Wohnungssuche meiner Schauspieler los, die hier bezahlbaren Wohnraum suchen – und nicht finden.

Suchen Sie beim Blick auf die Schattenseiten auch die Nähe zu anderen Protagonisten Potsdams? Sie haben sich bereits beim Rat für Kunst und Kultur gezeigt.

Ja, unbedingt. Ich habe mich bei allen Kulturpartnern in der Schiffbauergasse vorgestellt und sehr engagierte Player kennengelernt. Wir müssen uns gemeinsam mit der Stadt überlegen, wie wir die Verweilqualität verbessern. Der neue Spielplatz, die öffentliche Toilette, die wiedereröffnete Gastronomie in der fabrik sind erste Schritte. Weitere werden folgen.

Frau Jahnke, was war für Sie die bislang überraschendste Begegnung in Potsdam?

Das war die Begegnung mit einem Taxifahrer, kurz nach meiner Vertragsunterzeichnung. Da hatten Sie in der Zeitung schon über mich berichtet. Ich fuhr mit dem Taxi zum Bahnhof, der Fahrer drehte sich um zu mir und sagte: „Willkommen in der Stadt, Frau Jahnke“. Da dachte ich mir, in dieser Stadt bist du richtig.

Das Gespräch führten Heidi Jäger, Sabine Schicketanz und Lena Schneider

+++

Bettina Jahnke wurde 1963 in Wismar geboren und studierte in Leipzig Theaterwissenschaften. Am ehemaligen „Poetischen Theater“ der Universität Leipzig brachte sie ihre ersten Inszenierungen heraus, bevor sie 1994 als Regieassistentin und Regisseurin ans Staatstheater Cottbus (Intendant Christoph Schroth) ging. Zwischen 1998 und 2007 arbeitete Jahnke als freie Regisseurin an verschiedenen Theatern in Deutschland und der Schweiz, etwa in Magdeburg, Leipzig, Rostock, Potsdam, Esslingen und Bern. Sie war Dozentin an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig und ab 2005 Oberspielleiterin am Staatstheater Cottbus (Intendant Martin Schüler). Im Februar 2008 wurde Bettina Jahnke Intendantin des Rheinischen Landestheaters Neuss und ab der kommenden Spielzeit ist sie Intendantin am Hans Otto Theater Potsdam. Bettina Jahnke lebt in gleichgeschlechtlicher Ehe.

Heidi Jäger, Sabine Schicketanz, Lena Schneider

Zur Startseite