Peggy Mädlers Roman "Wohin wir gehen": Die Menschen, die bleiben
Peggy Mädler erzählt in ihrem Roman „Wohin wir gehen“ von Freundschaft und Heimat Am Sonntag stellt sie ihn in der Potsdamer Villa Quandt vor.
Potsdam - Orte, an denen wir viel Zeit verbracht haben, prägen nicht selten unser Leben. Nicht immer positiv, vielleicht auch nicht immer nachhaltig, aber irgendetwas scheint immer von ihnen zu bleiben. Oder doch nicht? In Peggy Mädlers aktuellem Roman „Wohin wir gehen“ schwingt diese Frage immer mit.
Sie erzählt darin von zwei Freundschaftspaaren zweier unterschiedlicher Generationen. Da sind zum einen Almut und Rosa, die ins Böhmen der 1940er Jahre geboren werden. Rosas Mutter Ida nimmt sich nach dem Tod von Almuts Eltern beider Mädchen an und muss mit ihnen nach dem Krieg die Tschechoslowakei verlassen. Im brandenburgischen Kirchmöser wachsen sie auf, später werden sie Lehrerinnen. Während Almut sich mit dem DDR-System arrangiert, bricht Rosa irgendwann aus – sie flüchtet in den Westen. Jahre später durchläuft die Freundschaft ihrer beiden Töchter Elli und Kristine ein ähnlicher Bruch. Almuts Tochter Elli zieht des Theaterberufes wegen quer durch Deutschland, während Rosas Tochter Kristine sich um die Mutter der Freundin kümmert.
Eine verknappte, kraftvolle Sprache
Die Parallelen dieser beiden Freundschaften, mit einer Daheimgebliebenen und einer Umherziehenden ist liebevoll inszeniert. Vor allem die unterschiedlichen Gründe für die Ausbrüche, politische Enge auf der einen, Selbstverwirklichung auf der anderen Seite. Peggy Mädler braucht nicht viele Worte, um die Lebenswege ihrer Figuren zu zeichnen. In einer starken, sehr reduzierten Sprache macht sie das. Gerade durch dieses verknappte Erzählen entfaltet der Roman eine poetische Kraft, die noch lange nachhallt.
Den einzelnen Figuren kommt der Leser sehr nahe – und doch wünscht man sich, ihnen an manchen Stellen noch näher zu kommen. Gerne würde man mehr von Almut und Rosa lesen, mehr von ihrer Freundschaft, ihren Gedanken, ihren Ängsten. Gerade als Rosa ihre folgenschwere Entscheidung trifft, aus der DDR zu flüchten, würde man ihr gerne folgen. Doch dem Leser geht es wie Almut: Er wird zurückgelassen. Mit verwirrten Gedanken und dem Gefühl des Verlassenseins. Genau das mag Mädler beabsichtigt haben, eine gewisse Unbefriedigung bleibt dennoch.
Besonders die zweite Hälfte des Buches ist stark
Vielleicht auch, weil sie auf gut 200 Seiten etwas zu viel möchte. Besonders zu Beginn überschlagen sich viele kurze Biografieerzählungen, die bis zu Almuts Großelterngeneration zurückgehen. Um den historischen Kontext der Protagonistinnen deutlich zu machen, mag das wichtig sein. Doch die Konzentration auf eben diese hätte dem Roman gut getan, die Ansätze eines Mehrgenerationenromans hätte es nicht gebraucht. Was die historischen Umbrüche nach dem Zweiten Weltkrieg mit den Kindern Almut und Rosa machen, sie ihrer Heimat, der Tschechoslowakei berauben und wie sie im Osten Deutschlands neu starten, bietet Stoff genug. Das Erwachsenwerden in der DDR sowieso. Und auch die Freundschaft von Elli und Kristine, die Werdegänge der beiden, hätten dann noch mehr Platz gehabt. Die Leichtigkeit der Erzählung, die wunderbar genaue Skizzierung der Charaktere entwickelt erst in der zweiten Hälfte des Buches wirklichen Schwung.
Dabei liegt genau in ihr eine besondere Stärke. Wie Peggy Mädler mit nur wenigen Worten Beziehungen beschreibt, ist lyrisch, ihre reduzierte Romantik erfrischend. „Er schenkt ihr Blicke, die verlässlich sind, mit denen sie zunehmend zu rechnen beginnt“, heißt es an einer Stelle. Und etwas später: „Was für ein Satz: Lass uns zusammen sein. Sie versucht, sich nicht auf die Sehnsucht, die er weckt zu verlassen.“ Immer wieder möchte man Sätze wie diese wiederholen, sie in sich einsinken lassen, nie wieder vergessen.
Sätze, die man für immer behalten möchte
Andere tun richtig weh. Weil sie trotz ihres historischen Kontextes immer noch so aktuell sind. Etwa wenn Rosas Mutter Ida sich als Neuankömmling nach dem Krieg in Kirchmöser zurechtfinden muss. „Aber noch weniger will sie sich mit jenen Einheimischen hier gemein machen, die die Ankommenden als Flüchtlingspack und Schmarotzer beschimpfen, als Nichtsnutze und Dahergelaufene, weil sie selbst anscheinend nichts oder noch nicht genug verloren haben.“
Überhaupt gelingt es Peggy Mädler, die 1976 in Dresden geboren wurde, sehr gut, Parallelen zwischen der Situation in der DDR und der Gegenwart herzustellen. Wie wichtig sind Orte, was ist Heimat und sind es nicht sowieso eher die menschlichen Begegnungen, die uns formen? Das sind die Fragen, die in beiden Zeitebenen des Buches, das mit dem Fontane-Literaturpreis 2019 ausgezeichnet wurde, eine wichtige Rolle spielen. Eine eindeutige Antwort liefert Mädler nicht – dafür viele Denkanstöße.
>>Lesung am 1. September um 11 Uhr, Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47