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Die Literatur als Fest. Zsuzsa Bánk im Gespräch mit Carsten Wist (re.) und Felix Palent vom Literaturladen am Mittwochabend im vollbesetzten Waschhaus.
© Sebastian Gabsch

Lesung im Waschhaus Potsdam: Die Hoffnung in Futur I

Zsuzsa Bánk las im Waschhaus aus ihrem neuen Roman „Schlafen werden wir später“. Publikum und Gastgeber feierten die Poesie.

Ausgerechnet die warmen Monate lässt sie aus. Dabei sind es doch genau diese, an welche die Leser von Zsuzsa Bánks Romanen – etwa „Die hellen Tage“ oder „Der Schwimmer“ – zuerst denken, wenn sie von der Autorin hören: die nicht endenden Kindersommer mit in voller Pracht stehenden Gärten, den unendlichen Sonnenuntergängen und kühlenden Seen. „Den Sommer überspringe ich“, sagt die Autorin bei ihrer Lesung aus ihrem neuen Werk „Schlafen werden wir später“ vor rund 130 Gästen am Mittwochabend im Waschhaus. November und März sind es, die im Fokus stehen – im Publikum sind kurz leise Äußerungen des Bedauerns zu hören.

Die in sich ruhend wirkende Zsuzsa Bánk liest mit warmer, klangvoller Stimme, so lebendig, dass aus 45 Minuten Lesezeit gefühlte 20 Minuten werden. Die 700 Seiten starke Neuerscheinung ist ein moderner Briefroman, die Frauen Marta aus Frankfurt und Johanna aus dem Schwarzwald, Anfang 40, seit Kindertagen befreundet, schreiben sich lange E-Mails. „Die Hälfte ihres Lebens ist ungefähr vorbei, sie fragen sich, was sie noch mit diesem angebrochenen, halbverbrauchten Leben anfangen können“, leitet Zsuzsa Bánk zu Beginn der Lesung ein. Bei Marta, dreifache Mutter und Lyrikerin, führen permanenter Zeitmangel für sich selbst und eine zerrüttete Ehe zu chronischer Übermüdung. Johanna kämpft mit ihrer Einsamkeit, ihrer Krebserkrankung und ihrem Lehrerberuf – so wird etwa die Kritzelei eines Schülers „School, Work, Death“ bei ihr zu „School, School, Death“.. Für den für beide lebensnotwendigen freundschaftlichen Austausch bleibt nur die Nacht, der Schlaf muss auf später verschoben werden – das Festhaltenwollen an der Lebenszeit, mit Blick auf Alltag und höhere Lebensziele, das also fasst der Titel des Buches in nur vier Worten zusammen. „In Futur I“, wie Gastgeber Carsten Wist vom Literaturladen Wist im anschließenden Gespräch mit der Autorin feststellt, die Zeitform der Hoffnung.

Unter das Poetische mischt sich die Beschreibung eines Zahnarztbesuchs

Auf den angenehmen Sog von Bánks Sprache voller gleichermaßen melancholischer und beglückend poetischer Wortgebilde müssen die Zuhörer entgegen anfänglicher Befürchtung auch beim neuen Roman nicht verzichten. Neu allerdings in ihrer Bibliografie ist der Einschlag der Beschreibung des Gewöhnlichen. „Mir war wichtig, in diesem Buch Alltag zu beschreiben“, so Bánk. „Ausführlich und gern“ sollte das geschehen. Und so mischt sich unters poetische „Eine Drossel hatte sich ans nachtbeschlagene Fenster gesetzt“ oder Wortschöpfungen wie „schiefbissigen, jagdverliebten Wind“ die Beschreibung eines Zahnarztbesuches oder des schnöden Einkaufs, aber auch rigide, ungewöhnlich aufbrausende Empfindungsäußerungen wie „zum Kotzen schön“. Dadurch passiert vor allem eines: Die Lebensumstände von Marta und Johanna werden authentisch, indem die ausschließlich verträumte Reflexion durchbrochen wird. Ihre Schicksale symbolisch zu sehen für die Herausforderungen, denen sehr viele Frauen in dieser Welt gegenüberstehen, fällt leicht. Die Fragen weiblichen Selbstvertrauens- und bewusstseins, der Möglichkeiten und Grenzen – sie sind so aktuell wie zu Lebzeiten von Annette von Droste-Hülshoff, die als Johannas literarisches Forschungsobjekt den Roman durchzieht.

Ohne Überforderung des Lesers schafft es Zsuzsa Bánk, die Zerreißproben der Frauen fühlbar zu machen, und es gelingt ihr, ohne den schweren gesellschaftspolitischen Überbau zu benennen, der es immer noch zulässt, dass es zum Beispiel Mütter oft in der Arbeitswelt nicht leicht haben. In aller Tiefe wird das am gestrigen Weltfrauentag auf der Bühne allerdings nicht diskutiert – eigentlich überhaupt nicht. Carsten Wist und sein Kollege Felix Palent feiern die Poesie. „Obwohl“, wie Wist schon zu Beginn augenzwinkernd anmerkt, ,Schlafen werden wir später‘ eigentlich auch ein gutes Buch zum Frauentag ist.“

Andrea Lütkewitz

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