Krimi auf Kreta 1944: Die Entführung des Generals
Patrick Leigh Fermors Bericht seines spektakulären Coups ist nun auf Deutsch erschienen. Eine Rezension
Selten wurde die Wehrmacht so vorgeführt: 1944 entführten britische Geheimdienstoffiziere und griechische Partisanen den deutschen Oberbefehlshaber Kretas und brachten ihn mit einem U-Boot nach Afrika. Planer und Leiter des spektakulären Coups war Patrick Leigh Fermor – Engländer, Geheimdienstagent und später weltberühmter Reiseschriftsteller.
Bisher gab es nur ein paar schmale Bändchen über diese unglaubliche Geschichte, darunter die Aufzeichnungen von Fermors Mitverschwörer William Stanley Moss „Ill met by moonlight“. Seine Erinnerungen waren die Grundlage für den gleichnamigen Film aus dem Jahr 1957, der längst vergessen ist – trotz Dirk Bogarde in der Hauptrolle. 2011 starb Patrick Leigh Fermor. Postum ist jetzt sein eigener Bericht über die Entführung des Generals Heinrich Kreipe erschienen. Leigh Fermor hatte den Text 1966 für eine englische Anthologie geschrieben, die ihn aber nur in sehr gekürzter Form druckte. Die vollständige Version liegt jetzt der Öffentlichkeit vor.
Mit schwarz gefärbten Haaren, Bart und kretischer Tracht
Die 160 Seiten lesen sich wie ein Krimi. Am 26. April 1944 ist Kreipe mit seinem Dienstwagen auf dem Heimweg in seine Privatvilla. In der Nähe von Heraklion stoppen Leigh Fermor und eine Handvoll Partisanen die Limousine, überwältigen den General und seinen Fahrer und geben sich, verkleidet mit deutschen Uniformen, selbst als Kreipe und Fahrer aus. Sie passieren zahlreiche deutsche Kontrollen mit dem geknebelten Befehlshaber auf dem Rücksitz und entkommen in die Berge. Die Deutschen schäumen. Die Entführer bringen den General über den höchsten Gipfel Kretas auf die Südseite der Insel, übernachten in Höhlen und bei befreundeten Partisanen. Doch es läuft viel schief und die Deutschen mobilisieren jeden Mann, um den General zu finden, sie durchkämmen Dörfer und Gebirge und besetzen Strände. Erst nach 18 Tagen gelingt die Flucht übers Meer.
Das alles war möglich, weil viele Dutzend Kreter halfen und Leigh Fermor jedes Dorf und jeden Ziegenstall kannte. Er war schon 1942/43 für den britischen Geheimdienst auf der Insel unterwegs, um den kretischen Widerstand zu organisieren. Mit schwarz gefärbten Haaren, Bart und kretischer Tracht war er in dieser Zeit selbst ein halber Kreter geworden. Leigh Fermor war Ende 20 und liebte solche Abenteuer. 1932 war er in England wegen eines Mädchens von der Schule geflogen. Statt in die Armee einzutreten, wanderte er zwei Jahre lang nach Konstantinopel. Bei den eigenwilligen Kretern, die an einem Tag feierten und am nächsten Tag trotz Raki entschlossen kämpften, fühlte er sich zu Hause.
„Die Widerstandsbewegung war geboren, als der erste deutsche Fallschirmspringer auf kretischem Boden landete“, schreibt Leigh Fermor. Sie wurzelte „im Kampf gegen den Feind und dem Wunsch, Freunden zu Hilfe zu kommen, schloss alles ein, was es an Kräften des Guten gab, arbeitete mit allen, die zum Anführer geboren waren, allen, die Mut hatten, die selbstlos und weise waren“. Leigh Fermors Pathos und Bewunderung wirkt ein wenig aus der Zeit gefallen. Doch die Mythen über den Widerstand gegen die Venezianer, gegen die Türken und zuletzt gegen die Deutschen gehören für Kreter bis heute zum festen Bestandteil ihrer Identität.
Die Deutschen hatten Kreta 1941 besetzt und sich durch drakonische Strafmaßnahmen unbeliebt gemacht. Besonders General Friedrich-Wilhelm Müller war verhasst. Eigentlich sollte er entführt werden. Doch Müller wurde plötzlich durch Heinrich Kreipe abgelöst, der wesentlich freundlicher auftrat. Ob man ihn trotzdem entführen sollte, war unter britischen Geheimdienstleuten und Partisanen umstritten. Leigh Fermor und einige jüngere Partisanen sorgten sich um die Folgen für die Kreter, wenn die deutschen Besatzer derart gedemütigt würden. In Kreipes Limousine ließ er einen Brief zurück, in dem er deutlich zu machen versuchte, dass allein die Briten die Sache ausgeheckt hätten und die Kreter unschuldig seien.
1972 traf Kreipe in einer griechischen Fernsehshow auf seine Entführer
Wie sich zeigte, waren die Sorgen berechtigt. Einige Wochen nach der Entführung kehrte General Müller zurück und ließ sechs Dörfer niederbrennen und die Bewohner ermorden. Leigh Fermors Bericht ist deshalb auch eine Beichte und vermutlich auch deshalb ein so großes Loblied auf Kreta und den kretischen Widerstandsgeist. Die Kreter hätten den Briten alle Fehler verziehen, resümiert er am Ende. Es sei eben Krieg gewesen, und im Krieg werde geschossen und getötet, das sei die gängige Haltung. 1948 wurde Leigh Fermor Ehrenbürger der Stadt Heraklion. In der Feier zur Verleihung der Ehrenbürgerschaft wurde seine „Sorge und Weitsicht“ hervorgehoben, mit denen er versucht hatte, den Besatzern keinen Vorwand für Vergeltungsmaßnahmen an den Kretern zu liefern, schrieb Hans Prescher 2007 in seinem Buch „General Kreipe wird entführt“.
1972 traf Kreipe in einer griechischen Fernsehshow auf seine Entführer. Alle freuten sich über das Wiedersehen mit dem „Herrn General“, es wurden Schultern geklopft und gemeinsam von alten Zeiten geschwärmt. Von Schuld oder Reue war keine Rede. Auch nicht von Wiedergutmachungsforderungen.
– Patrick Leigh Fermor: Die Entführung des Generals. Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié. Dörlemann Verlag, Zürich 2015. 303 Seiten, 25 Euro.