Zeitzeugen-Gespräch im Potsdam Museum: Die depressive Stimmung verlangte nach Antworten
Die ehemalige Galeristen Ute Samtleben berichtete in der Zeitzeugen-Reihe im Potsdam Museum über das Neue Forum.
Potsdam - „Voll fröhlicher Tatkraft, gepaart mit kritischem Geist, ausgestattet mit einem flotten Mundwerk und Schlagfertigkeit.“ So beschreibt die Schriftstellerin Sigrid Grabner im zweiten Teil ihrer Autobiografie „Im Zwielicht der Freiheit“ die Potsdamerin Ute Samtleben. Die Ausstellungskuratorin, Journalistin und Kunsthändlerin gehört zu den starken Persönlichkeiten, die in in dieser Stadt etwas bewegt haben, vor und nach der politischen Wende 1989. Besonders auf kulturellem Gebiet. In den siebziger Jahren war sie am damaligen Kulturhaus „Hans Marchwitza“, heute Potsdam Museum, für ein großes Ausstellungsspektrum verantwortlich. Mit erstaunlichem Mut holte sie immer wieder Künstler an das Kulturhaus, die von den SED-Oberen misstrauisch beäugt wurden: Heidrun Hegewald, Uwe Pfeifer, der in Berlin lebende Kambodschaner Eng Seng Thay oder auch französische Fotografen. 1981 wechselte Ute Samtleben in die Redaktion der CDU-Tageszeitung „Märkische Union“. In die journalistische Tätigkeit fällt die Zeit, als sich Bürgerrechtler in der DDR formierten, auch in Potsdam. Die Redakteurin war dabei.
Ute Samtleben wurde nun vom Förderverein des Potsdam Museums als Gesprächspartnerin von Moderatorin Susanne K. Fienhold Sheen eingeladen, die seit Januar dieses Jahres veranstaltete Zeitzeugen-Reihe „Die Friedliche Revolution in Potsdam 1989“ im städtischen Museum zu bereichern. Am Donnerstagabend war Fienhold-Sheen mit Fragen erstaunlich zurückhaltend oder sie kam erst gar nicht zu Wort. Ute Samtleben ist eben mit einem flotten Mundwerk und Schlagfertigkeit ausgestattet, dabei aber nicht uncharmant und in manchem Urteil heute milder als vor gut 30 Jahren.
"Der Starrsinn der Parteibonzen"
Die ehemalige Redakteurin berichtete über das Neue Forum, das 1989 von Bürgerrechtlern ins Leben gerufen wurde, weil, wie es in dem Gründungspapier heißt, „die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft gestört ist“. Ute Samtleben berichtete: „Der Starrsinn der Parteibonzen, während es im Ostblock anfing zu brodeln, die Fluchtwelle und Botschaftsbesetzungen, die Sprachlosigkeit der Regierung angesichts der vielen Probleme oder repressive Überreaktionen bewirkten, dass in der DDR eine depressive Stimmung herrschte. Die Situation verlangte nach neuen Antworten.“
Zu einem Kennenlernen Potsdamer Oppositioneller traf man sich im September 1989 in der Wohnung des Physikers Reinhard Meinel. „Auch in Potsdam sollte ein Neues Forum ins Leben gerufen werden, um einen demokratischen Dialog in Gang zu setzen. Es herrschte regelrecht ein Gründungsfieber“, erzählt Ute Samtleben. „Die Bude war voll. Viele kannte man natürlich schon vom Stadtgeschehen, ob Saskia und Andreas Hüneke, Rudolf Tschäpe, Detlef Kaminski, Hartmut Mechtel, Pfarrer Martin Kwaschik oder Rainer Speer. Es war eine ganz aufgeregte Stimmung an diesem Abend, denn schließlich waren solche Treffen von Bürgerbewegungen in der DDR neu und auch nicht ungefährlich Die Stasi-Spitzel waren überall.“
Die Öffnung der Grenzen
Der Aufruf „Die Zeit ist reif – Aufbruch 89“ hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Immer mehr Potsdamer wurden, wie im ganzen Land, Mitglieder des Neuen Forum. Bis Ende Oktober 1989 konnte man rund 3000 Unterschriften in der damaligen Bezirkshauptstadt zählen, die die neue Bürgerbewegung unterstützten. Ein Büro wurde dank des unermüdlichen Einsatzes des Pfarrer-Ehepaars Annette und Stephan Flade in der Friedrichs-Kirchengemeinde Babelsberg eröffnet. Im Gotteshaus auf dem Weberplatz gab es im Oktober zwei Veranstaltungen, die beide überfüllt waren. Die Reden wurden per Lautsprecher übertragen. „Später erfuhren wir, dass im Karl Liebknecht-Stadion und in den dunklen Seitenstraßen Babelsbergs bewaffnete Einsatzkräfte auf Befehl warteten, um die Versammlungen mit Gewalt aufzulösen“, berichtete Ute Samtleben.
Den 9. November 1989 erlebte Ute Samtleben im Thalia-Kino, wo Heiner Carows spektakulärer Film „Coming out“ Premiere hatte. „Ich hörte von der Öffnung der Grenzen erst danach. Man reagierte zunächst ungläubig. Doch die Nachrichten im Fernsehen und Radio brachten die Bestätigung. Am nächsten Tag, beim Besuch auf der Glienicker Brücke, waren die Menschen wie im Rausch. Alle wollten nun endlich nach Westberlin, ohne Kontrolle. Auch ich war in Euphorie, aber irgendwie auch erschöpft. Die Wochen zuvor waren ja angefüllt mit Auseinandersetzungen und hoffnungsvollen Aufbegehren.“ Am 3. Dezember 1989 forderte der Sprecherrat des Neuen Forum, zu dem Ute Samtleben gehörte, dass die Stasi die Unterlagen vernichten würde. „In einer aufgeheizten Stimmung besetzten wir in Anwesenheit des Bezirksstaatsanwalts, des Chefs der Volkspolizei die Gebäude in der Hegelallee sowie in der Puschkinallee. Die Aktenvernichtung wurde eingestellt, die Räume versiegelt.“ Man spürte in diesen Wochen auch, dass es noch eine lange Zeit braucht, ehe die Macht der Staatssicherheit zerschlagen ist.
Im Vorfeld der Volkskammerwahlen am 18. März 1990 schloss sich das Neue Forum im Februar mit den Oppositionsbewegungen Demokratie Jetzt, der Initiative für Frieden und Menschenrechte sowie dem Unabhängigen Frauenverband zum Bündnis 90 zusammen. Es erhielt aber nur 2,9 Prozent der Stimmen. SPD und die CDU machten das Rennen. Gemeinsam mit der Grünen Partei der DDR wurde die Fraktion Bündnis 90/Grüne gebildet. Für Ute Samtleben ging die spannungsvolle Zeit im Neuen Forum in den ersten Monaten zu Ende. Sie widmete sich wieder voll und ganz der Kunst und eröffnete in der Brandenburger Straße die Galerie Samtleben. Seit elf Jahren ist sie im Ruhestand.
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