Rainer Sperl stellt aus: Der Verdreher
Rainer Sperl zeigt in seiner aktuellen Ausstellung „Sperl-Spezies. Unartig – großartig“ neue Skulpturen. Ein Werkstattbesuch im Atelier des Babelsberger Künstlers.
Potsdam - „Brandlöscher“ hat er die Figur genannt, die unverkennbar ihn selbst darstellt. Ein aufrechter Mann mit einem Lächeln im Gesicht, die Augen genüsslich geschlossen, in der Hand ein Trinkgefäß. Den Korpus hat Rainer Sperl aus Anschlussstücken, wie es sie zwischen Hydrant und Feuerwehrschlauch geben mag, zusammengebaut. Gleich mehrere Stutzen und Drehventile ragen aus ihm heraus. Als müsste man ihm, den Künstler, ab und zu den Hahn zudrehen, damit er nicht überläuft mit seiner Kreativität, seinen Ideen.
Das Selbstporträt ist Teil der neuen Ausstellung „Sperl-Spezies. Unartig – großartig“, die am heutigen Samstag in der Galerie in der Schopenhauerstraße eröffnet wird. Mit einiger Verspätung. Geplant war sie für 2017, als Abschied vom alten Galerie-Domizil in der Fachhochschule. Als der Campus überraschend geräumt wurde, mussten Ursula und Rainer Sperl auch die Galerie über Nacht dicht machen. Nun aber gibt es neue Räume. Und Sperls Kreativität scheint unter dem Tohuwabohu nicht gelitten zu haben. Im Gegenteil. „Sperl-Spezies“ ist ein lustvolles „Wir sind wieder da“. Weg war Rainer Sperl natürlich nie. In seinem Kopf, in der Werkstatt, und zum Leidwesen von Ehefrau Ursula bisweilen auch im Wohnzimmer, wo sich Fertiges und Halbfertiges wie in einem Homunkulus-Wartesaal begegnen, hat das Arbeiten nie aufgehört.
Mit einem Aktmodell im Zimmer eingeschlossen
Es beginnt, als Sperl drei Jahre alt ist, damals schon malt er gerne. In der Schule auch, aber da eckt er an, wenn er zu eigenwillig ist. Er geht nach der 8. Klasse ab und macht eine Tischlerlehre. Werkeln, das liegt ihm. „Endlich konnte ich basteln“, sagt er. Im Wohnheim aber geht der Trouble weiter. Weil er sich mit einem Nacktmodell, ein Mädchen, in seinem Zimmer einschließt – „Die Jungs draußen auf dem Flur wollten alle rein und ich wollte einfach in Ruhe zeichnen“ – fängt er einen Verweis ein. Nach der Lehre wird er im Bau- und Montagekombinat Karl-Marx-Stadt eingesetzt, ein eher nüchterner Arbeitsplatz. Im Neubau für die künftige Parteizentrale malt er, der Vorarbeiter, aus Gaudi großformatige Bildgeschichten über halbfertige Wände. „Die Bauarbeiter freuten sich über jeden neuen Raum.“
Sperl ahnt, dass er die Kunst rauslassen muss und studiert schließlich. Nicht in Halle oder Leipzig, er will sich keiner Mal-Schule, keiner Doktrin unterordnen müssen. „Ich wollte Sperl bleiben“, sagt er. Er entscheidet sich für die Fachschule für angewandte Kunst in Heiligendamm. Hier lernt er malen und vergolden, Grafik, Keramik, all das, was sich jetzt in seiner Kunst findet. Die kommt aber auch nicht gleich, vorher geht Sperl als Filmarchitekt zur Defa und ist 1968 Mitbegründer des Potsdamer Kabaretts und sagt jetzt von sich: „Seit 1976 bin ich Künstler.“
Er lebt mit Frau und Schildkröte in Alt Nowawes
Als solcher hatte man in der DDR Anspruch auf eineinhalb Wohnungen. Jeden Dienstag ab 11 Uhr sitzt der Künstler also bei der Frau der Wohnungsvermittlung, ein Jahr lang. Dann endlich bietet man ihm ein verfallenes Weberhaus in Alt Nowawes an. Mit Nebengelass, was für ein Glück. Das Mauerwerk war trocken, das Dach kaputt. Aber das konnte er schließlich selbst reparieren. Heute lebt er hier mit Frau Ursula und einer Schildkröte. Und vielen Spezies aus der Werkstatt hinterm Haus.
Hier lagert Sperl alles, das ihm in die Finger kommt und vielleicht eines Tages für irgendetwas brauchbar wäre: alte Bauteile, Haushaltsgegenstände, Gerät und Geschirr, Kunst und Kitsch, Schmuck, Spielzeug, Uhren, mechanische Kleinteile, Knöpfe, Schrauben. Nähmaschinen, Schreibmaschinen, Musikinstrumente, Staubsauger, Bürostempel – Hauptsache alt. Außerdem steht hier ein Keramikbrennofen, Lasuren, Pinsel, Dosen, Werkzeuge, was Sperl so braucht, um aus Einzelteilen Kunstwerke zu bauen. „Ich weiß genau, wo was ist“, erklärt Rainer Sperl das Ordnungsprinzip. Zur Arbeitsweise sagt er: „Entweder sehe ich ein Ding und habe sofort eine Idee, was es werden könnte“. Wie bei der Schaufel mit abgebrochenen Stiel, die im Flur an der Wand lehnt. „Da muss ein Kopf drauf.“ Oder er habe erst eine Idee im Kopf, ein Thema, und wandert dann durch sein Reich, auf der Suche nach Material dafür.
Üppiger Busen und Hut
Typisch Sperl ist, dass er immer mehr Ebenen miteinander verflicht. Die Funktion eines Gegenstands, seine Herkunft, definiert er neu, kombiniert daraus Geschichten, verknüpft Mythos und Moderne, baut Wortspiele, verleiht seinen Neuschöpfungen neue Rollen und Aufgaben. Gerne auch einen doppelten Boden oder gleich mehrere Ebenen, die man als Betrachter erstmal erkennen muss.
Ein Fitzelchen Ernsthaftigkeit behält er sich dabei immer vor, verpackt es aber in seinem speziellen frech-frivolen Humor. „Mohna-Lisa“ trägt einen üppigen Busen und einen Hut, aus dem Mohnkapseln quellen. Die „Blütenkönigin“ trägt ein Kleid aus Geldscheinen. Die „Potsdamer Schlössernacht“ besteht aus einem Paar in Rokokokleidern, die Köpfe sind antike Türschlossgarnituren, mit Klinken, die aussehen wir Hörner oder Antennen. Das „Schaukelpferd“ ist ein Gaul auf einer Schaukel. Ein gezacktes Sägeblatt wird zum Bart des Teufels, und dem antiken Klammeraffen mit langem Hebel setzt er einen Hasen mit langen Ohren gegenüber – schönste Augenschmeichelei. Das Unerwartete. Das Überraschende. Das manchmal doch so nahe liegt. Dann wieder setzt er eine Nackte mit Katzenkopf liederlich in einen Sessel, das braucht keine Erklärung. „Der König macht Pause“ zeigt den Monarchen auf einer alten Pendeluhr ausruhend und tut auf den zweiten Blick weh, wenn Sperl auf zwei vergoldete Eier als Uhrpendel hinweist. Jeder bekommt mal den Spiegel vorgehalten, auch der Künstler. „Unglück der Bildhauerin“ heißt die Keramikskulptur, bei der jene entsetzt vor einem männlichen Torso steht, weil dessen Genital abgebrochen am Boden liegt.
Bis 26. August in der Sperl Galerie, Schopenhauerstraße 27, Vernissage heute um 15 Uhr. Geöffnet Mittwoch bis Sonntag 12 bis 18 Uhr
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