Tag von Potsdam: Der Tag, der das Ende einläutete
Der "Tag von Potsdam" ging in die Geschichtsbücher ein. Über die Bedeutung des Tages wird aber bis heute verbittert gestritten. Der Historiker Thomas Wernicke und Schauspieler René Schwittay diskutierten über diesen Tag, der sich zum 82. Mal jährte.
Potsdam - Diesen Tag wird Potsdam niemals loswerden. „Er wird uns erhalten bleiben“, so drückte es Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) am Samstag aus, als er die Matinee im Foyer des Hans Otto Theater eröffnete. Gemeint ist der „Tag von Potsdam“, der sich am vergangenen Samstag zum 82. Mal jährte. Um die Deutung dieses Tages, einem symbolischen Festakt für den kurz zuvor – am 5. März 1933 – neu gewählten Reichstag, wird in Potsdam bis heute erbittert gestritten. Auch im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau der Garnisonkirche. Dort nämlich fand der Staatsakt – symbolträchtig auf den Tag genau 62 Jahre nach der ersten Reichstagssitzung von 1871 – statt. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten sollte dort in die Tradition des preußisch-deutschen Kaiserreichs gestellt werden. Dort reichten sich Hitler und der greise Reichspräsident Hindenburg, der in seiner preußischen Generalfeldmarschall-Uniform – die Augenzeugen zufolge schon etwas spannte – gekommen war, die Hand. Nicht nur einmal, zum Abschied, vor der Kirche, wie das legendär gewordene Foto des New-York-Times-Fotografen Theo Eisenhart belegt, sondern zweimal. Das erste Mal schon in der Kirche, davon aber gibt es kein Foto.
Die Karriere diese Bildes, so der Potsdamer Historiker Thomas Wernicke, habe erst etwas später begonnen. Gemeinsam mit HOT-Schauspieler René Schwittay diskutierte er am Samstag Auszüge aus den drei wohl bekanntesten Augenzeugenberichten zu diesem Tag. „Die Potsdamer Komödie“ nannte etwa der französische Botschafter André François-Poncet die Veranstaltung in seinem Text aus den 1940er-Jahren, in dem, so Wernicke, so gut wie alles stimmt. „Der Gedanke, eine Regierung könnte lügen, geht nicht leicht in die Köpfe der Deutschen hinein“, notierte François-Poncet – und analysiert, wie systematisch die Nazis mit Panikmeldungen gegen die Kommunisten gehetzt hatten. Am Tag von Potsdam waren „selbstverständlich keine Kommunisten anwesend, sie sitzen alle im Gefängnis“. Dass die Opposition bei der Wahl am 5. März trotz allem eben fast annähernd so viele Stimmen bekam, die Mehrheit für die Rechten eben nur eine hauchdünne war, hält François-Poncet für bemerkenswert. Erschüttert berichtet er von den Morden, dem Verschwinden politischer Gegner in den Tagen nach der Wahl, von der Hausdurchsuchung bei Albert Einstein und auch von ersten Gerüchten über Konzentrationslager.
Hitler erkannte die Wirkungskraft
Ob es nun Joseph Goebbels’ Idee war, oder Hitlers, oder Zufall, dass dieses Vorspiel zur konstituierenden Sitzung des neuen Reichstags, die später am Tag in der Berliner Kroll-Oper stattfand, in der Garnisonkirche seinen Ausgang nahm – „für die Preußen eine Art Heiligtum“ –, ist für François-Poncet egal. „Hitler erkannte sofort die Wirkungskraft“, schreibt er. Die Kirche sei ein großes Symbol für die romantische Fantasie der Deutschen, und Weimar quasi die Antithese zum preußischen Potsdam. Und mit der Weimarer Republik habe Hitler hier abgerechnet.
Klar ist: Goebbels war erst wenige Tage vor dem 21. März Propagandaminister geworden. Besonders viel Zeit, sich um eine Inszenierung zu kümmern, hatte er nicht. Kaum mehr als eine Woche blieb ihm, um das Potsdamer Projekt umzusetzen, das ja irgendwie auch die Existenz seines neu geschaffenen Medienministeriums legitimieren sollte. „Am Tag vorher ließ er sich vom Potsdamer Polizeipräsidenten herumführen und sich alles erklären“, sagt Wernicke. Später sollte Goebbels – nachträglich – in sein Tagebuch schreiben, dass hier „erstmals im nationalsozialistischen Sinne gefeiert“ wurde. Dazu gehörte offenbar auch das Christlich-Preußische: Alle Potsdamer Kirchenglocken läuteten ganze 20 Minuten lang, weiß Wernicke. Klar ist dem Historiker auch: Die Nazis selbst instrumentalisierten später, bei den Olympischen Spielen 1936, Potsdam als „Stadt Friedrichs des Großen und Geburtsstätte des Dritten Reiches“.
Trotzdem hält etwa der Potsdamer Historiker Martin Sabrow insbesondere den berüchtigten Handschlag als Symbol politischer Verführungskraft für ziemlich hohl – weil es eben nicht um eine Versöhnung alter Größe und junger Macht gegangen sei, sondern eigentlich um eine Konkurrenz um die Vorherrschaft innerhalb des rechten Lagers. Auch Wernicke hält ihn vor allem für eine Geste der Höflichkeit. Allerdings, könnte man einwenden, geht es bei der Wirkungsmacht von Symbolen eben nicht darum, wie substanziell sie sind. Symbole – und besonders starke Bilder – funktionieren eben auch losgelöst von Tatsachen.
Denn gezähmt war Hitler nicht
Der zweite Text des Vormittags, „Die Deutschen und ich“, in dem der britische Journalist Delmer Selfton 1962 seine Erinnerungen unter anderem an den Tag von Potsdam niederschrieb, blieb etwas allgemein: „Die Deutschen haben es noch nie zugelassen, dass die Uhren weitergehen“, heißt es bei ihm etwa. Damit bezog er sich auf Kommentatoren, die mit Hitlers Machtergreifung einen Stillstand befürchteten. Sprich: Die Entwicklung kam für ihn nicht überraschend.
Spannender war schließlich der letzte Text von Alexander Stahlberg, einem Cousin Henning von Tresckows. Er war nach dem Staatsakt im Hause von Tresckows zum Essen eingeladen. Dort gab es nur ein Thema: Was bedeutet dieser Tag? Nur eines schien den Adligen dort sicher: Noch einmal werde man Hitler nicht in Cutaway und Zylinder – also bürgerlich-adelig gezähmt – erleben. Dass er an diesem Tag in diesem Aufzug erschienen war, wertete man hier – tragischerweise, so Schwittay – als kleinen Triumph. Denn gezähmt war Hitler keineswegs – im Gegenteil. Der Tag, wie auch immer man ihn deuten mag, verlieh ihm in der Rückschau Auftrieb, oder um es mit Wernicke zu sagen: „Wenige Wochen später war alles vorbei, die NSDP einzige gültige Partei geworden.“ Insofern ist es gut, dass dieser Tag bleibt, dass er zum Anlass genommen wird, die Machtergreifung und mediale Inszenierung der Nazis noch einmal neu zu durchdenken. Schade, dass zur Matinee am Samstag nur eine Handvoll alter Männer gekommen waren.
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