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Sven Stricker schreibt gerne in Potsdamer Cafés.
© Sebastian Gabsch

Porträt über den Potsdamer Schriftsteller Sven Stricker: Der Selbstüberlister

In der Serie „Potsdamer Schreibtische“ stellen die PNN Autorinnen und Autoren aus Potsdam vor. Heute: Sven Stricker, der am liebsten in Potsdamer Cafés schreibt und dabei keinen Akku braucht

Potsdam - Wenn es laut ist, kann sich Sven Stricker am besten konzentrieren. Je mehr Geräusche desto besser. Dann ist er gezwungen, alles Störende auszublenden, sich ganz in sein Schreiben zu vertiefen. Der Potsdamer Autor und Hörspielregisseur überlistet sich gerne selbst, wie er sagt. Und verlegt seinen Schreibtisch deswegen in den öffentlichen Raum, vorzugsweise in Potsdamer Cafés. Etwa in das Elflein in der Charlottenstraße, ins Banzai Ecke Friedrich-Ebert-Straße oder auch in das Kumpir-Restaurant Belmundo.

Manchmal – wenn es mit dem Ausblenden gerade nicht so klappt – findet der 46-Jährige dort auch Inspirationen für seine Bücher. So wie in seinem aktuellen Roman „Mensch, Rüdiger!“, der im August erscheint und aus dem er am morgigen Samstag im Rahmen von „Brandenburg liest“ in der Villa Quandt einige Szenen vorab präsentiert. 

Offener Blick, offenes Lächeln

Darin beobachtet einer der beiden Protagonisten zwei junge Leute, die offenbar zu einem Date verabredet sind. Die Kommunikation verläuft quälend, am Ende trennen sich die beiden ernüchtert, ein zweites Date ist nicht in Aussicht. „Das war quasi wie für mich inszeniert“, sagt Stricker. Er hat ein offenes Lächeln, das immer auch ein bisschen neugierig wirkt. „Ich habe das dann einfach mitgeschrieben, es sollte eben Teil der Geschichte sein.“

Überhaupt schreiben sich seine Geschichten ab einem bestimmten Zeitpunkt fast von alleine, wie er erzählt. Figuren entwickelten ein Eigenleben, das er als Autor nur noch zu Papier bringt. Als ein Mensch, der sich zwar gerne selbst austrickst, aber doch lieber die Kontrolle über sein Tun behält, sei das gar nicht so leicht auszuhalten, so Stricker. „Deswegen habe ich auch erst zwei Krimis geschrieben“, sagt der Autor, der im Ruhrgebiet groß geworden ist und seit acht Jahren in Potsdam wohnt. In dem Genre hätten die Figuren nämlich nicht ganz so viel Raum aus der Reihe zu tanzen, schließlich müsse ein Fall gelöst, ein Strukturgerüst eingehalten werden.

Autor und Hörspielregisseur

Entstanden sind die beiden Krimi-Romane aus Hörspielen, die Stricker geschrieben hat. Denn hauptberuflich arbeitet er als freier Hörspielregisseur, ein Beruf der ähnlich funktioniert wie der eines Filmregisseurs – nur dass der visuelle Teil wegfällt. In den Beruf ist er vor fast zwanzig Jahren „reingerutscht“, wie er sagt. Nach einem Studium der Literaturwissenschaften in Essen absolvierte er ein Volontariat beim Spiele-Hersteller Ravensburger Interactive und war danach dort als Redakteur für das Hörspiel- und Kinderliederprogramm zuständig. 

„Irgendwann habe ich dann auch mal Regie geführt und bin eben hängen geblieben“, erzählt Stricker, der Vater einer 7-jährigen Tochter ist. Seit 2001 ist er freier Wortregisseur und Bearbeiter. Er gewann bereits mehrmals den Deutschen Hörbuchpreis, unter anderem 2009 für seine Bearbeitung und Regie des Romans „Herr Lehmann“ von Sven Regener.

Zusammenarbeit mit Bjarne Mädel

Diese Arbeit habe ihn schließlich auch zu seinem ersten Roman geführt. Für die Geschichte muss er zu einem kleinen Exkurs ausholen. „Unter anderem Florian Lukas und Bjarne Mädel haben damals das Hörspiel eingesprochen und ich wollte gerne wieder mit den beiden zusammenarbeiten“, so Stricker. Im Jahr 2011 veröffentlichte er dann sein erstes selbst erdachtes Hörspiel „Böses Ende“. Die beiden Schauspieler Lukas und Mädel sprachen es ein und noch viel wichtiger: Die Vorlage für den ersten Roman war geschaffen.

Der erschien 2013 bei Rowohlt Polaris unter dem Titel „Schlecht aufgelegt“ und handelt von zwei Callcenter-Mitarbeitern, die versehentlich ein Verbrechen mit anhören. Auch hier nutzte er seine Selbstüberlistungstaktik. Das Krimi-Genre als Strukturvorgabe, das Hörspiel als erstes Storyboard. „Bei einem Hörspiel von 54 Minuten ist der Plot sehr reduziert“, erklärt Stricker. „Man beschränkt sich dabei sehr auf das Wesentliche.“ Der Roman erlaubte ihm Nebenhandlungen hinzuzufügen, die Figuren besser kennenzulernen. Der Genre-Welt des Krimis werden Farben und Fleisch hinzugefügt, wie Stricker es ausdrückt. Dabei hat er wieder sein neugieriges Lächeln im Gesicht. „Trotzdem habe ich hier immer den festen roten Faden, zu dem ich zurückkehren muss“, so der Autor. Auch beim zweiten Roman bleibt er in der Welt des Krimis, „Sörensen hat Angst“ erscheint im Dezember 2015 im Rowohlt-Verlag.

Nervenaufreibender Roman

Irgendwann traut er sich dann aber doch und verlässt das vertraute Terrain. „Mensch, Rüdiger!“, eine Tragikomödie über zwei Männer, die eigentlich mit ihrem Leben abgeschlossen haben, entsteht. „Für mein Nervenkostüm war die Umstellung gar nicht gut“, sagt Stricker und lacht. „Am Morgen nicht zu wissen, was ich am Abend geschrieben haben werde, hat mich wahnsinnig gemacht.“ 

Trotzdem wollte er den Genrewechsel unbedingt. Um sich nicht auf die Rolle des Krimiautors festschreiben zu lassen, aber auch, um andere Themen literarisch zu bearbeiten. Die Fragen, warum Menschen sich entschließen, ihrem Leben ein Ende zu setzen, was sie bewegt und was eine Sinnkrise mit ihnen macht, haben ihn angetrieben bei diesem Projekt. Überhaupt ist die Frage nach dem Sinn ein Thema, das ihn umtreibt. „Ich frage mich immer, wie ich mit dieser oder jener Situation umgehen würde“, so Stricker. „Wie sich das anfühlen würde. Für mich, aber auch für meine Umwelt.“

Lernen, Kontrolle abzugeben

Um bei „Mensch, Rüdiger!“ zumindest ein grobes Gerüst zu haben, schrieb er das erste Kapitel und den Schluss zuerst, der Weg dazwischen blieb zunächst unklar. „Für mich war das wirklich ein Experiment“, sagt er. „Ich habe die Kontrolle komplett abgegeben.“

Wirklich komplett? Nicht ganz. Denn Selbstüberlister, der Stricker ist, findet er auch im Unbekannten noch Wege, um sich selbst zu disziplinieren. So beginnt er seinen Schreibprozess in den Cafés grundsätzlich ohne den Laptop in die Steckdose zu stecken. „So weiß ich, dass ich zweieinhalb Stunden Zeit habe zu schreiben, danach ist der Akku leer.“ 

Inspiration kommt beim Schreiben

Sein Motto: Auf Inspiration muss man nicht warten, sie kommt beim Schreiben. Und durch Geräusche. Die helfen ihm nicht nur bei der Konzentration, sondern sind auch ein wesentlicher Teil seiner Regiearbeit – und auch in seinen Romanen wird „das akustische Setting abgeklopft“, wie er sagt. Dabei lässt er durch kleine Beschreibungen – wie „die Lautstärke um ihn herum explodierte“ – Bilder entstehen, die sofort den Seelenzustand des Protagonisten klar machen. 

In diesem Fall: Überforderung. Stricker schreibt sehr klar, fast alltäglich. Besonders die wörtliche Rede zeichnet sich durch Realitätsnähe aus, nie klingt sie hölzern. Ein Aspekt, der Stricker sehr wichtig ist. „Mich stört das extrem, wenn ich Romane als Hörspiele adaptiere und die Dialoge so doll nach Schriftsprache klingen“, sagt er.

Wissen, was die Figuren nicht tun

Die Erfahrungen aus dem jahrelangen Bearbeiten von Literatur helfen ihm sehr beim Schreiben. Auch bei der Figurenentwicklung, deren Charakter er klar vor sich haben muss. „Ich muss immer wissen, was sie nicht machen würden“, erklärt er. „Das brauche ich, um sie laufen zu lassen.“ So sei Rüdiger aus „Mensch, Rüdiger!“ zum Beispiel niemand, der sich bei einer Party in den Mittelpunkt stellen würde. Also keiner, der Freude an lauten Geräuschen hat.

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Im Rahmen von „Brandenburg liest“ liest Sven Stricker am morgigen Samstag gegen 23.15 Uhr in der Villa Quandt.

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ZUR PERSON: Sven Stricker wurde 1970 in Tönning geboren und wuchs in Mülheim an der Ruhr auf. Seit 8 Jahren wohnt er in Potsdam und arbeitet seit 2001 als freier Wortregisseur. In dieser Funktion gewann er mehrmals den Deutschen Hörbuchpreis. Sein erster Krimi „Schlecht aufgelegt“ erschien 2013, sein zweiter „Sörensen hat Angst“ im Dezember 2015. Sein dritter Roman, die Tragikomödie „Mensch, Rüdiger!“ erscheint am 18. August.

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