Kultur: Der Sehhelfer
Künstler und Stadtindianer Lothar Krone führt durch den Tag der offenen Ateliers 2017
Herr Krone, Sie bieten am morgigen Sonntag am Tag der offenen Ateliers in Potsdam einen Kunstparcours an, Titel: „Ich sehe was, was du nicht siehst.“ Was sehen Sie denn, was wir anderen nicht sehen?
Die Idee war, die offenen Ateliers in Potsdam mit Kunstwerken im öffentlichen Raum zu verbinden, mit denen ich mich schon lange beschäftige. Es wird zwei Touren geben. Die erste beginnt mit einer Exotin, Gosha Nagashima. Eine Künstlerin, im Kaschmir geboren, mit einem indischen Vater und einer polnischen Mutter, die in Tokio studiert hat. Eine Weltbürgerin also, die seit einiger Zeit in Potsdam wohnt. Ihr Atelier ist in einem Hinterhof der Dortustraße 55. Das Ambiente dort ist traumhaft, eine richtige Entdeckung. Sonst läuft man da immer nur vorbei. Dann geht es zu Fuß weiter zu Mehmet Aksoy, einem renommierten türkischen Künstler, auch ein Weltbürger, von dem am Platz der Einheit das Denkmal für den unbekannten Deserteur steht. Das Besondere daran ist, dass das Denkmal zur Wendezeit eigentlich für die Stadt Bonn gemacht wurde. Das wirbelte ordentlich Staub auf.
Man warf Aksoy vor, ein Vaterlandsverräter zu sein?
Das Denkmal wurde an einem einzigen Tag in Bonn gezeigt, auf einem Tieflader, es gab eine riesige Demo darum herum. 1990 bekam das Denkmal dann von Bonns Partnerstadt Potsdam regelrecht Asyl. Seither steht es am Platz der Einheit gleich neben der anderen Erinnerungsstätte aus DDR-Zeiten, dem Mahnmal für die Opfer des Faschismus. Im Prinzip eine Klagemauer mit Flammenschale. Aksoy dagegen arbeitet mit einer Leerstelle. Der Deserteur ist die Leerstelle im Stein. Inzwischen identifizieren sich alle möglichen Gruppierungen mit dem Denkmal, von den Gewerkschaftern über Kirchen bis zur Linken und Ultralinken.
Spüren Sie weitere Leerstellen auf?
Ja, am Staudenhof zum Beispiel, wo es mit unserem Rundgang dann weitergeht. Dort gibt es DDR-Plastiken zu sehen, unter anderem eine nicht mehr vorhandene: „Die Wasserharfe“ von Christian Roehl sieht man nur noch als Fragment, als Rohre, die aus einer Wand kommen. Es fehlt der Brunnen. Der Bogen, der dazugehörte, steht inzwischen in Potsdam-West. Dann geht es weiter zu einer DDR-Plastik von Hans Klakow, ein lange verstorbener Künstler, der vor allem seine Kinder und Enkel gezeigt hat. Das atmet den Charme der 1950er-Jahre der DDR, aber er war einfach einer, der Kinder mochte. Dann gehts es ins Holländische Viertel, wo ich besonders das Atelier von Christin Lau und Beate Wätzel interessant finde. Christin Lau macht Mode und hat 2015 den Designpreis bekommen. Sie zeigt in ihrer Galerie inzwischen auch die renommierte Fotografin Beate Wätzel, die zum Beispiel direkt nach den Attentaten 2015 einen Blick über Paris fotografierte.
Sind auch Orte dabei, die sonst nicht zugänglich sind?
Wir besuchen zum Beispiel das Privatatelier von Stephan Velten. Er malt zu Hause, ein für Potsdam sehr wichtiger Künstler, der im vergangenen Jahr eine große Personalausstellung im Waschhaus hatte. Der erste Rundgang endet dann bei Micky Vocke. Das ist eine neoklassizistische Villa, die rekonstruiert wurde. Da hineingelassen zu werden, ist in sich schon ein Erlebnis: Innen erinnert das fast an das Neue Museum von David Chipperfield auf der Museumsinsel.
Was sind die Leerstellen im zweiten Rundgang?
Das Marquisat ist eine Leerstelle. Das ist das Gartenhaus, wo Voltaire und Lessing sich trafen und Lessing seine „Miss Sara Sampson“ schrieb. Das Marquisat ist zu DDR-Zeiten abgerissen worden. Aber der Künstler Rainer Sperl hat sich zwei Säulenstümpfe aus dem Stadtschloss genommen und darauf zwei Gedenkplaketten aus Bronze angebracht. Porträts von Lessing und Voltaire, gerahmt von Spolien aus dem Stadtschloss. Ein bronzenes Buch, ein Tintenfass und eine Feder gehören auch dazu. Das Traurige daran ist, dass die Steinteile dieser Installation zwar noch da sind, aber alles aus Bronze schon das zweite Mal geklaut wurde.
Inwiefern spielt der Künstler Lothar Krone, der Stadtindianer, auf den Rundgängen eine Rolle?
Überhaupt nicht. Es geht mir nicht um meine Kunstanschauung. Es sind sogar einige Dinge dabei, wo ich geschluckt habe, die aber trotzdem interessant sind. Mit der Ausstellung auf die Sie anspielen, „Stadtindianer statt Indianer“, wollte ich 2015 zeigen, was künstlerisch in der DDR möglich war. Auch für Künstler wie mich mit eher dissidentischem Hintergrund. Ich bin kurz vor der Wende 1989 als Indianer angemalt durch Potsdam gelaufen. Da sieht man sehr schnell, wer wirklich freundlich ist, und wer nur so tut.
Ist 2017 für die Potsdamer Kunst insgesamt ein gutes Jahr?
Die Frage müssen Sie sich selber beantworten. Ich habe eine gewisse Abneigung gegen Kunsterklärungen. Im Sans Titre bin ich zu einer Ausstellungseröffnung mal mit einem Bischofsstab aufgetreten, der Kunstkritiker als „Hirte“ mit seiner Herde. Meine Rede schloss dann so ungefähr mit den Worten: Nehmen Sie sich den Stab selbst, Sie sind alle Kritiker.
Wird es beim Parcours auch solche performativen Einlagen von Ihnen geben?
Nein, überhaupt nicht. Ich werde für die zweite Tour Mühe haben, meine Wundblasen kühl zu halten.
Das Interview führte Lena Schneider
Lothar Krone, 1952 in Potsdam geboren, war erst Bühnenarbeiter und Theatermaler am Hans Otto Theater und ist seit 1986 freischaffender Künstler. Seit 2000 arbeitet er auch als Autor.
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