Von Lena Schneider: Der Knecht im Nacken
Ingo Berk lässt „Fräulein Julie“ zu einem durchaus gegenwärtigen Albtraum werden
Links ein Herd, rechts ein Kühlschrank. Vorne ein Paar Stiefel. Hinten ein alles beherrschender Kronleuchter. Die Alltagsgegenstände schweben im schwarzen Bühnenraum des Schlosstheaters als hätten sie nichts miteinander zu tun. Puzzelteile verschiedener Lebenswelten, unverbunden und, wie sich im Laufe des Stücks herausstellt, unvereinbar.
„Ein naturalistisches Trauerspiel“ nannte August Strindberg sein wohl bekanntestes Stück „Fräulein Julie“. Naturalistisch ist die Bühne von Magda Willi zwar im Detail – auf dem Herd köchelt in der Tat was, der Flieder scheint wirklich zu duften –, aber die von Strindberg akribisch beschriebenen Bühnenanweisungen stellt sie nicht nach, sondern zitiert sie. Herd und Kühlschrank der Dienstbotenwelt, die Stiefel des abwesenden Grafen und der Leuchter der Herrschaftsebene. Alles andere ist verschluckt vom Schwarz , aus dem die Schauspieler auftauchen wie Traumgespinste aus dem Unterbewussten. Regisseur Ingo Berk ist nicht Naturalist, eher Symbolist.
Worum geht es? Fräulein Julie (Caroline Hanke) ist eine Grafentochter, die in der Mittsommernacht ihren Diener Jean (René Schwittay) in dessen Küche verführt und es danach – jetzt ist sie „eine Gefallene“ – so bitter bereut, dass sie bereit ist, sich das Leben zu nehmen. Der Kernkonflikt des „Gefallenen“-Dramas hat heute, gelinde gesagt, seinen Stachel verloren. Sex mit Angestellten füllt keine Dramen mehr sondern allenfalls Klatschspalten und Jungfräulichkeit steht auch nicht mehr so hoch im Kurs wie 1889. Was Ingo Berk nicht abhält, auch 2009 im Moment von Julies „Deflorierung“ bedeutungsschwanger Blütenblätter aus dem Bühnenhimmel rieseln zu lassen und dem Kronleuchter vor Schreck sogar das Licht ausgeht. Hier läuft dem Symboliker die sonst wohltemperierte Emotion, kurz nur, aus dem Ruder.
Ein ziemlich angestaubtes Stück – ginge es nicht, wo es um Verlangen geht, auch stets um Macht und hier konkret um jenen anarchischen, zeitlosen Moment, wenn Machtverhältnisse sich umkehren. Strindbergs Machtkämpfe, behauptet Berk, könnten überall und jederzeit spielen. Seine Protagonisten tragen zeitgenössische Kleider, aus dem Off tönt leise Ravemusik. Strindbergs distanzierte Höflichkeitsformeln, mit denen er den Diener schwadronieren und das Fräulein kontern lässt, wirken eine ganze Zeit ziemlich befremdlich. Caroline Hankes Julie stolpert als verwöhntes Töchterchen, überreizt und nervös, im knappsten Blumenkleid und auf hohen Hacken auf die Bühne, gewöhnt ans Gefallen und ans Befehlen. „Armut muss schrecklich sein“, sagt sie und versteht davon ganz offensichtlich nichts. Von Diener Jean lässt sie sich Hand und Fuß küssen. Was Liebe ist, wissen beide nicht – was Begehren, sehr wohl. Niemand ist hier „liebenswürdig“ – Berks Charaktere sind wenn nicht wie Jean selbstverliebt, dann wie Julie oder Jeans bodenständige Verlobte Kristin (Meike Finck) zumindest selbstbezogen. Alle sehen nur, was sie vom andern wollen.
Nachdem die Blütenblätter gefallen sind, brechen die verdrehten Strukturen ins Offene. Jean erteilt jetzt die Befehle. Man weiß nicht so recht warum, aber Julie befolgt sie, widerspenstig, mit den Füßen auf dem Boden trommelnd wie ein trotziges Kind, zeternd, weinend, und, immer wieder, brüllend: „Du bist ein Hund, mit meinem Halsband!“ René Schwittay spielt diesen „Hund“ überzeugend als einen, der den Namen verdient hat: berechnend, später feindlich. Einer, den das Dienenmüssen kalt gemacht hat. „Der Ast war morsch“, befindet er am Ende und meint damit die erniedrigte, am Boden kauernde Julie, durch die er sich gesellschaftlichen Aufstieg erhofft hatte. Den Knecht in sich wird er jedoch nicht los. Seine Herrin hat er zwar in den Selbstmord entlassen, aber des Herren Stiefel putzt er weiter. In die Mündigkeit traut sich dieser Aufschneider nicht. „Mir sitzt der verfluchte Knecht im Nacken.“ Dazu braucht es den Grafen gar nicht, sondern nur die Autoritätshörigkeit im eigenen Kopf. Insgesamt doch ein durchaus gegenwärtiger Albtraum, das alles.
Nächste Vorstellung am Mittwoch, 14 Oktober, 19 Uhr, im Schlosstheater
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