Ausstellung: Der Blick hat sich gedreht
Neue Perspektiven: Das Ethnologische Museum Dahlem zeigt höfische Kunst aus dem Königreich Benin. Die Austellung gilt als Testlauf für das Humboldt-Forum.
Plötzlich sind wir Europäer mal die Exoten. Wilde, langhaarige Kerle mit zotteligen Bärten, diese Portugiesen, die seit dem 15. Jahrhundert als Handelspartner und Waffenbrüder (Feuerwaffen!) des westafrikanischen Königreichs Benin in Erscheinung treten. Oder die englischen Kaufleute in ihren karierten Anzügen und Tropenhelmen, die sich vier Jahrhunderte später anschicken, die koloniale Ausbeutung des bis dahin unabhängigen, vom Sklavenhandel profitierenden Landes zu organisieren. Auch der Blick der Künstler aus Benin auf uns ist die Sicht aus einer elaborierten Kultur heraus auf das Fremde. Unabhängig davon, ob die Besucher aus Europa als Teil der kosmischen Ordnung oder als verabscheuungswürdige Eindringlinge wahrgenommen und dargestellt worden sind.
Es ist vielleicht die größte Sensation dieser sensationellen Ausstellung, dass sie nicht nur das seit hundert Jahren in Europa kanonisierte Bild der Hochkunst aus Benin fortschreibt. In einer konzertierten Aktion von Museen in Wien, Paris – die beiden bisherigen Ausstellungsstationen –, Berlin und Chicago sowie der staatlichen Museums- und Denkmalverwaltung in Nigeria wurden zwar über 300 Meisterwerke der Benin-Kunst zusammengetragen, ja ganze Ensembles wiedervereint: die berühmten Gedenkköpfe der Könige und Königsmütter, Reliefplatten aus Bronze, beschnitzte Elefantenzähne, Perlenkronen, hölzerne Kistchen, Ritualschwerter.
Doch erzählt werden soll endlich einmal die ganze Geschichte: von der politischen und kulturellen Blüte des Königreichs im 15. Jahrhundert bis heute, wo das einst sagenumwobene Königtum (nicht zu verwechseln mit der westlich benachbarten Republik Benin) im multiethnischen Staat Nigeria aufgegangen ist, als Institution kultureller Selbstvergewisserung jedoch noch immer eine wichtige Rolle spielt. So hat der heutige Oba (König) von Benin, Omo N’Oba Erediauwa, ein Würdenträger ohne Staatsmacht, Leihgaben zur Ausstellung und ein Vorwort zum Katalog beigesteuert.
In das postpostkoloniale Panorama passt der Versuch, Benin als Teil der afrikanischen und europäischen Geschichte zu deuten. „Wir zeigen“, so Mitkuratorin Paola Ivanov, „dass Geschichte nicht von einem Zentrum gemacht und von der Peripherie erlitten wird.“ Der Blick der Völkerkunde hat sich geweitet. Und endlich in beide Richtungen gedreht: von Europa nach Afrika – und zurück.
In Europa galt die Hofkunst aus Benin lange Zeit ausschließlich als die Antike Afrikas. Als nach der Zerschlagung und Ausplünderung des Königreichs durch die Briten 1897 ein Wettlauf europäischer Völkerkundemuseen um das Beutegut einsetzte, waren Ethnologen und Liebhaber verblüfft, auf Dinge zu stoßen, die teils über 500 Jahre alt waren. Vieles wurde schon im niedergebrannten Palast des Oba von Benin unter den Militärs und Abenteurern aufgeteilt und ist seither in Privatsammlungen verschwunden. Rund 2400 als Kunstwerke deklarierte Kult- und Ritualobjekte nahmen die Briten 1897 mit nach London, von wo sie in den Folgejahren über den Kunsthandel in alle Welt zerstreut worden sind. Knapp 600 davon erwarb Felix von Luschan auf Auktionen für das Berliner Völkerkundemuseum. 413 dieser Objekte werden seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vermisst. Sollten sie je wieder auftauchen, wird man unweigerlich zu fragen haben, wohin sie jenseits formaljuristischer Positionen gehören: nach Berlin oder Benin.
Nigeria könnte das 1897 Geraubte mit vollem moralischen Recht weltweit zurückfordern. Der zur Ausstellungseröffnung nach Berlin gereiste nigerianische Kulturminister Prinz Adetokunbo Kayode kündigte entsprechende Pläne seiner Regierung an: „in einer sehr diplomatischen und zivilisierten Art.“ Man sei nicht vorrangig an Rückgaben interessiert, sondern an internationaler wissenschaftlicher Zusammenarbeit, um zunächst ein Inventar aller einst im Palast befindlichen Stücke zu erarbeiten. Die Kunst aus Benin sei zwar Teil der panafrikanischen Identität – doch genauso ein Beitrag zur Weltkultur, der in Ausstellungen wie dieser verbreitet werden müsse.
Welche Massen Kunst aus Afrika mobilisieren kann, erfuhren die Berliner Museen vor vier Jahren bei einer Ausstellungstournee durch Brasilien mit über einer Million Besuchern. Trotz aller Kriegsverluste ist das derzeit in Dahlem ansässige Ethnologische Museum noch immer eine erste Adresse in Sachen Afrika. Künftig sollen die außereuropäischen Bestände aus Dahlem, wo die 2005 neu eingerichtete Afrika-Dauerpräsentation jährlich nur 55000 Besucher anzieht, im Humboldt-Forum am Schlossplatz zu bestaunen sein. Die für Berlin erweiterte Benin-Ausstellung ist ein Testlauf dafür.
Die Grundfrage, die sich auch am Schlossplatz stellen wird, bleibt: Präsentiert man außereuropäische Kultobjekte und Gebrauchsgegenstände, die wir uns angewöhnt haben als Kunstwerke zu bezeichnen, ausschließlich im ästhetischen Kontext? Oder bringen erst historische und soziologische Informationen das aus seinem meist kultischen Zusammenhang gelöste Einzelstück zum Sprechen? Die Benin-Ausstellung versucht beides. Und liegt damit liebenswürdig quer zum Zeitgeist. Man durchschreitet einen Parcours atemberaubender, perfekt hinter Glas inszenierter Spitzenstücke und muss viel lesen, um wenigstens die Grundzüge einer komplexen, über die Jahrhunderte gewandelten höfischen Kultur zu verstehen.
Felix von Luschan, der Aufbauhelfer der Berliner Afrika-Bestände, verglich die zumeist in feinstem Messingguss ausgeführten Gedenkköpfen und Reliefplatten aus Benin bezeichnenderweise mit der Kunstfertigkeit des italienischen Renaissancejuweliers Benvenuto Cellini. Eine paternalistische Sicht. Das Fremde rückt näher, wenn man es sich einverleiben kann. Inzwischen weiß man es besser. In der Fremde bin ich der Exot.
Ethnologisches Museum Dahlem, Eingang Lansstraße, bis 25. Mai. Der Katalog (Snoeck Publishers Gent) kostet 39,90 €.
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