Kultur: Das Lachen des Lakaien
Der Komiker und die Barbaren: Eine neue Biografie schildert Theo Lingens Leben in der NS-Zeit
Seinen Sound hat man noch im Ohr: das näselnde Stakkato, die hyperkorrekte Aussprache selbst sperrigster Satzungetüme. Als Kammerdiener „Johann“ führt Theo Lingen im gleichnamigen Film aus dem Jahr 1942 ein hartes Regiment. Wie ein General vor der Schlacht, so baut er sich vor den auf eine Hochzeitsgesellschaft wartenden Domestiken auf: Die Treppe einer Schlosshalle ist sein Feldherrnhügel. Von hier wirft er seine livrierten Truppen in die Schlacht, erinnert an das „Huldigungsgedicht auf das hohe Paar“ und daran, „dass heute Abend ab zehn Uhr absolute Ruhe zu herrschen hat“. Das letzte Kommando lautet: „Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, wegtreten!“ Seine Hände stecken in weißen Handschuhen, die Braue über dem linken Augen wölbt sich zum romanischen Rundbogen, samtig strahlt der mit Pomade in Form gebrachte Mittelscheitel.
Lingen hat immer wieder niedere Chargen gespielt: Diener, Kellner, Sekretäre. Auch in den groteskesten Situationen ist es ihm stets gelungen, Haltung zu bewahren. Das macht den Kern seiner Komik aus. Der Uniform des Hausbediensteten, in die er zum ersten Mal 1933 für den Film „Ihre Durchlaucht, die Verkäuferin“ geschlüpft war, sollte er bis zum Ende seiner Karriere nicht mehr entkommen. Noch 1975 ist er im Fernsehen in seiner Paraderolle aus der Filmkomödie „Opernball“ aufgetreten, als Diener, der sich Bürsten unter die Schuhe geschnallt hat und wie auf Kufen über den Marmorfußboden seiner Herrschaft gleitet. Lingen starb am 10. November 1978.
Dreißig Jahre nach seinem Tod wird der Komiker erstmals mit einer umfassenden Biografie gewürdigt. Lingen „spielte wie am Schnürchen, eine Marionette gleichsam, doch er war auch sein eigener Puppenspieler“, schreiben Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen, Mitarbeiter der Deutschen Kinemathek in Berlin, in ihrem Buch mit dem Untertitel „Das Spiel mit der Maske“. Mehr als die Hälfte seiner rund 200 Filme drehte der Schauspieler zwischen 1933 und 1945, er gehörte zu den Kinostars des Dritten Reichs und blieb doch immer auf Distanz zum Regime.
Aurich und Jacobsen nennen Lingen gar einen „inneren Emigranten“ und attestieren ihm: „Widerständig ist sein Verhalten allemal zu nennen. Auch couragiertes Auftreten hat er bewiesen.“ Der Komödiant war seit 1928 mit der Opernsängerin Marianne Zoff verheiratet, die sich von Bertolt Brecht hatte scheiden lassen und als „Mischling 1. Grades“ galt, weil ihre Mutter Jüdin war. Lingen hielt zu seiner Frau, ließ sich – anders als etwa Heinz Rühmann – nicht scheiden und war für Hanne Hiob, Brechts Tochter aus dessen Ehe mit Zoff, ein guter Stiefvater. Weiter filmen konnte er nur mit einer Sondergenehmigung von Goebbels. Die Autoren zitieren aus Denunziationen: Lingen sehe auf Plakaten „jüdisch“ aus.
Für einen Menschen, der von „Lebensangst“ getrieben war, bewies Lingen viel Mut. Wie er den Kampf gegen die Barbarei aufnahm, das liest sich wie ein Krimi. Mit juristischen Kabinettstücken rettet er Brechts Haus am Ammersee für dessen Tochter und das Haus seiner Schwiegereltern in Wien vor dem Zugriff der Nationalsozialisten. Brecht spricht ihm in einem Brief aus dem Exil sein „volles menschliches Vertrauen“ aus. Lingen hilft dem kommunistischen, illegal aktiven Malerehepaar Hans und Lea Grundig mit Geld, ihm gelingt es auch, seine Schwiegermutter aus den Fängen der Gestapo zu befreien.
Von besonderer Abgründigkeit ist die Episode, wie der Schauspieler 1942 bei Alois Brunner, einem der Hauptorganisatoren des Holocaust, in Wien erscheint, um sich für den am Vortag verhafteten Kollegen Louis Treumann einzusetzen. Der Massenmörder Brunner lässt sich scheinbar auf Lingens Forderungen ein, treibt aber ein Spiel mit ihm. Treumann, der erste Danilo-Darsteller in Franz Léhars Operette „Die lustige Witwe“, kommt frei, wird aber bald darauf erneut festgenommen und nach Theresienstadt deportiert. Lingens Leben in den NS-Jahren ist, so Aurich und Jacobsen, „schizophren“. Er gibt sich für Propagandaauftritte beim „Wunschkonzert für die Wehrmacht“ her und hört heimlich BBC. Till Eulenspiegel, den er in vier selbst inszenierten Kurzfilmen verkörpert, wird zu seiner Leitfigur: Ein Schelm, der bauernschlau die Obrigkeit übertölpelt.
Das Buch erzählt auch die Geschichte eines rasanten Aufstiegs. Lingen, 1903 in Hannover geboren, gibt nach der Unterprima die Schule fürs Theater auf, tingelt von Halberstadt über Bad Oeynhausen und Münster durch die Provinz, kommt mit dem Expressionismus in Berührung und schafft in Frankfurt am Main als Mackie Messer in Brechts „Dreigroschenoper“ den Durchbruch. 1929 kommt er nach Berlin, wird Ensemblemitglied im Theater am Schiffbauerdamm, tritt im Kabarett „Die Katakombe“ und in den Schiffer-Spoliansky-Revuen am Kurfürstendamm auf, macht Hörfunk.
„Ein Körperkünstler, ein Komiker des Tanzes, des Schrittes, der Handbewegung“, so feiert ihn der Kritiker Herbert Ihering. Sein erster Film heißt „Ins Blaue hinein“, mit solchen komischen kleinen Rollen wird er bald unersetzlich, die meisten Arbeiten nennt er später verächtlich „Limonadenfilme“. Dass er auch ein anderes Rollenfach beherrscht, beweist er als graziler Ganove in Fritz Langs Klassikern „M“ und „Das Testament des Dr. Mabuse“. Mit dem Machtantritt der Nazis bricht diese Entwicklung ab, fortan ist er vor allem als Lakai gefragt.
Privat hat Theo Lingen sich abgeschottet. Schon 1937 nannte man ihn „den Mann, der kein Interview gibt“. Über seine Erlebnisse im Dritten Reich wollte er auch nach dem Krieg nicht sprechen.
Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen stellen ihr Buch (Theo Lingen. Das Spiel mit der Maske, Aufbau Verlag, Berlin 2008, 551 S., 24,95 €) am Mittwoch um 19 Uhr im Museum für Film und Fernsehen vor, Potsdamer Str. 2, Eintritt frei.
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