Intendantenwechsel am Hans Otto Theater: Das jähe Ende einer zähen Zeit
Die Entscheidung war für Januar 2017 angekündigt, doch nun steht es bereits fest: Tobias Wellemeyer bleibt nach 2018 nicht Intendant des Hans Otto Theaters. Die Hintergründe seines Abschieds.
Die Nachricht lag lange in der Luft und kam dann, am gestrigen Donnerstagnachmittag, trotzdem früher als erwartet. Tobias Wellemeyer, seit 2009 Intendant des Hans Otto Theaters, verlässt mit dem Auslaufen seines jetzigen Vertrages am 31. Juli 2018 Potsdam. Er geht nicht, weil er will, sondern weil er muss. Aus Theaterkreisen heißt es: Tobias Wellemeyer selbst wäre gern noch geblieben. Offenbar hat aber die Politik, genauer Oberbürgermeister Jann Jakobs, der den Vertrag mit dem Intendanten zuletzt 2013 verlängerte, das Vertrauen in Wellemeyer verloren. In der Pressemeldung, die gestern dazu verschickt wurde, heißt es: „Die Landeshauptstadt Potsdam strebt neue künstlerische Impulse an.“ Das ist gerade noch diplomatisch ausgedrückt. Die Aussage ist: Die künstlerischen Impulse, die dieser Intendant aussendet, sind uns nicht mehr genug.
Natürlich, so gehört sich das, findet der Oberbürgermeister auch lobende Worte für Wellemeyer: Er habe „am Hans Otto Theater eine sehr gute Arbeit geleistet. Er hat das Theater konsolidiert, sich Verdienste um den Ensembleaufbau erworben und das Festival ,Stadt für eine Nacht‘ als feste Größe im Kulturkalender Potsdams etabliert“. Zudem habe er mit eigenen Inszenierungen wie Uwe Tellkamps „Der Turm“ oder Leo Tolstois „Auferstehung“ das Profil des Theaters geschärft. „Das Theater ist gut aufgestellt“, so Jakobs. Dann aber heißt es: „Jetzt ist es aber an der Zeit, neue Impulse zu setzen. Der frühe Zeitpunkt der Entscheidung gibt beiden Seiten Planungssicherheit.“
Ein so früher Entschluss zeigt auch, dass sich der Oberbürgermeiser sehr sicher war
Planungssicherheit ist eine sehr vernünftige Sache, wenn es um so wichtige Entscheidungen wie die Vergabe einer Intendanz geht. Auch ist es fair für Politik, Intendanz, Ensemble und Zuschauer, rechtzeitig Bescheid zu wissen. Nur, und das muss bitter für den scheidenden Intendanten sein, zeigt ein so früh gefasster Entschluss natürlich auch, dass sich der Oberbürgermeister seiner Sache offenbar sehr sicher war.
Tatsächlich ist nicht die Entscheidung selbst, sondern der frühe Zeitpunkt ihrer Verkündung das Erstaunliche. Es war bekannt, dass im Januar die Frage nach der Verlängerung von Wellemeyers Vertrag geklärt werden sollte. Dass es noch in diesem Jahr geschehen würde, damit hatten wohl die wenigsten gerechnet. Aus Theaterkreisen ist zu hören, dass das Ensemble auch erst vor Kurzem, am Tag vor Weihnachten, im Rahmen einer Ensembleversammlung von der Entscheidung erfuhr. Anders als vorherige Medienberichte dies nahelegten, in denen Tobias Wellemeyer als Theaterleiter mit tyrannischen Zügen dargestellt wurde, traf die Nachricht im Ensemble offenbar keinesfalls nur auf Begeisterung. Es soll bei der Verkündung auch Tränen gegeben haben.
Wellemeyer wurde von Anfang an kritisiert
Es ist das erstaunlich jähe Ende einer insgesamt zähen Intendanz. Seitdem Tobias Wellemeyer 2009 die Leitung des Theaters von seinem Vorgänger Erik-Uwe Lauffenberg übernahm, wurde er in Potsdam stark kritisiert. Rückblickend wirkt es fast so, als sei Wellemeyer, der zuvor sehr erfolgreich in Magdeburg ein Mehrspartentheater geleitet hatte, in Potsdam eigentlich nie so richtig angekommen. Inzwischen nahezu legendär ist die Aufführung der Inszenierung „Macbeth“ von Lukas Langhoff aus dem Jahr 2009, die das Potsdamer Publikum in ihrer rauen, unfertigen, an Frank Castorf angelehnten Ästhetik so vor den Kopf stieß, dass es reihenweise den Saal verließ.
Solche gewagten, künstlerisch sehr streitbaren Regiearbeiten waren nach dem starken, ästhetisch und inhaltlich sehr vielfältigen Auftakt bald weniger in Potsdam zu sehen. Überhaupt scheint die deutliche Ablehnung zu Beginn der Intendanz Tobias Wellemeyer nachhaltig geprägt zu haben. Zumindest wäre so zu erklären, warum es in den Folgejahren immer mal wieder so wirkte, als mache er seine Spielplangestaltung vom Geschmack des Publikums abhängig.
Die Stagnation der Einnahmen zeigt: Wellemeyer konnte nie richtig Fuß fassen
Als der Vorwurf laut wurde, es würde zu wenig „Lustiges“ gezeigt, hob Tobias Wellemeyer Komödien und Musicals ins Programm. Auch er selbst inszenierte sie immer mal wieder, zuletzt „Familiengeschäfte“ von Alan Ayckburn – als wolle er beweisen, dass er, der gerne als Melancholiker beschrieben wird, auch das bedienen kann.
Es ist eine ziemlich tückische Ironie: Letztlich scheint eben das, der Wunsch, es allen recht zu machen, auch Grund dafür gewesen zu sein, dass Tobias Wellemeyer es letztlich keinem richtig recht machte. Die Stagnation in den Einnahmen zeigt, dass es Wellemeyer kaum gelang, in Potsdam wirklich Fuß zu fassen: Im Jahr 2010, dem ersten Jahr, das Wellemeyer künstlerisch vollständig selbst in Potsdam verantwortete, gingen rund 7000 Menschen weniger ins Theater als im Jahr zuvor. 2011 gelang Tobias Wellemeyer mit „Der Turm“ zwar ein großer Erfolg – und brachte 15 000 Menschen mehr ins Haus. Schon 2012 waren es mit rund 109 000 Besuchern wieder 8000 Zuschauer weniger.
Die Eigeneinnahmen brachen immer wieder ein
Wirklicher Zuspruch – oder nennen wir es wirtschaftlich: Wachstum – sieht anders aus. Betrachtet man die wirtschaftliche Situation des Theaters in den letzten acht Jahren, fällt auf: Die Eigeneinnahmen, ein weiterer Indikator für den Erfolg eines Hauses, brachen immer wieder ein. 2014 konnten in der Haushaltsplanung des Hans Otto Theaters 235 000 Euro nicht durch Einnahmen ausfinanziert werden, was zu Ausgabesperren führte, die erst durch einen Zuschuss durch die Stadt aufgehoben werden konnten.
Gründe, den Vertrag von Tobias Wellemeyer nicht zu verlängern, gab es also einige – künstlerische und wirtschaftliche. Und doch sind auch Stärken zu nennen: Ein gutes Händchen beim Ensemble gehört dazu. Es gelang ihm, gute Schauspieler wie Holger Bülow und Alexander Finkenwirth zumindest zeitweise ans Haus zu binden. Der Regisseur Alexander Nerlich sorgte mit seinen Bearbeitungen des „Faust“ und von „Peer Gynt“ auch überregional für Aufsehen, Letzteres wurde für den „Friedrich Luft“-Theaterpreis nominiert. Mit Formaten wie „Stadt der Zukunft“ und „Refugees Club“ suchte das Haus zuletzt politisch offensiv wie nie zuvor die Nähe zur Stadt. Vielleicht kam dieser letzte Versuch, noch einmal eine neue Facette des Stadttheaters aufzutun, einfach zu spät.
Auch Welleymeyers Führungsstil war kritisiert worden
Es gab kaum Zeiten, in denen Tobias Wellemeyer nicht von der einen oder anderen Seite kritisiert worden wäre. Zuletzt, im September dieses Jahres, war auch Wellemeyers Art und Weise, das Theater zu führen, in einem Artikel der "Märkischen Allgemeinen Zeitung" stark kritisiert worden – worauf es allerdings regen Widerspruch aus den eigenen Reihen, von Gästen und Ensemblemitgliedern, gab, auch was die Fakten des Beitrags anging. Dennoch fragt man sich im Theater nun hinter vorgehaltener Hand, inwiefern der genannte Schmähartikel die finale Entscheidung, eine Verlängerung des Intendanten schon jetzt kategorisch auszuschließen, mit beeinflusst hat.
Der scheidende Intendant probt derweil, was soll er auch anderes tun, an seiner nächsten Inszenierung: „Nathan der Weise“, Premiere ist am 17. Februar. In einem Statement verweist er auf die Zeit, die ihm in Potsdam bleibt: „Potsdam ist eine lebendige, sich rasant verändernde Stadt. Auch das Theater bleibt lebendig durch schöpferischen Wandel. Nach zwei Amtszeiten als Intendant übergebe ich das Haus an Nachfolger, die es abermals von Grund auf neu erfinden.“ Und weiter: „Ich freue mich auf die Inszenierungen und Projekte der aktuellen und der kommenden Spielzeit und auf viele weitere interessante und schöne Begegnungen mit unseren Zuschauern.“
„Wir wollen die Wahrheit aushalten“ – mit diesem Motto war Tobias Wellemeyer 2009 angetreten. Jetzt gehört zu dieser Wahrheit, dass das Potsdamer Theater ab 1. August 2018 von einem anderen Intendanten geleitet wird. Wer es ist, das wird 2017 zeigen.
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