Europäische Rüstungsprojekte: Das ganz große Ding
Thomas Raabe zeigt die Schwachstellen der Kooperation.
Der Zukünftige erinnert von fern an einen Kreuzer der Sternenflotte. Den futuristischen Anklang dürften die Modellbauer des französischen Rüstungskonzerns Dassault durchaus beabsichtigt haben, als sie 2019 für die Luftfahrtmesse in Le Bourget ein erstes Konzeptmodell des „Future Combat Air System“ (FCAS) bastelten. Das Ding war ein reines Fantasieprodukt – bis heute ist nicht einmal ausdiskutiert, was das neue, um Drohnen und Cyber-Waffen erweiterte Flugsystem können soll. Aber aus Sicht der Partner für ein Projekt, das, mehr noch als der Kampfpanzer der Zukunft, zum ganz großen Ding deutsch- französischer (plus spanischer) Rüstungszusammenarbeit werden soll, waren das bisschen Holz und Plastik gut investiertes Taschengeld. Politiker, die Milliarden aufbringen sollen, haben gerne etwas Handfestes vorzuzeigen.
Wem nun dies Szenario irgendwie bekannt vorkommt – war da nicht mal was mit diesem „Jäger 90“? – der ist bei Thomas Raabe an der richtigen Adresse. „Bedingt einsatzbereit?“ heißt sein 400-Seiten-Band über internationale Rüstungskooperation der Bundesrepublik. Es darf als Warnung verstanden werden.
Details zeigen die wiederkehrenden Probleme
Denn an drei Vorhaben – am Kampfpanzer der 90er, dem Panzerabwehrhubschrauber PAH-II und eben dem Jäger 90 aka Eurofighter – zeichnet der Autor akribisch nach, wie politischer Wille und nationale Egoismen regelmäßig technische, einsatztaktische und finanzielle Anforderungen beiseiteschoben. Dass solche Mega-Rüstungsprojekte ebenso regelmäßig teurer werden, weniger leisten und länger brauchen, als in Festtags- und Bundestagsreden versprochen, darf nach der Lektüre niemanden mehr wundern.
Nun ist das ja ohnehin eine Art polemischen Gemeinwissens. Das Verdienst des Autors liegt aber darin, dass er im Detail die politischen Abläufe und Mechanismen aufzeigt, die zu Fehlentwicklungen führen. Eben wegen der Detailfülle ist das Buch nicht immer leicht zu lesen – der Text ist als Doktorarbeit an der Hochschule der Bundeswehr in Hamburg entstanden.
Nicht besser wissen - mahnen
Aber wer sich nicht mit der platten Lesart begnügt, irgendwelche klandestinen Lobbyisten seien schuld, sondern den Anteil genuin politischer Nebenzwecke erkunden will, der kommt um Einzelheiten nicht herum. Dass Raabe sich übrigens dem Leser als früherer Pressesprecher in diversen CDU-Verwendungen vorstellt, seine Zeit als Sprecher des Verteidigungsministers Franz Josef Jung aber dezent verschweigt, begründet er mit der gleichen anti-polemischer Absicht: Er wollte nicht als mürrischer Insider erscheinen, der im Nachhinein alles besser weiß.
Als Warner aber schon. Tatsächlich befällt einen leises Gruseln, wenn man in den alten Akten die gleichen Phrasen über „Effizienz“, „europäische Unabhängigkeit“ oder „Technologieführerschaft“ liest, die in den Reden zum FCAS wortgleich wieder auftauchen. Sie sollen heute begründen, weshalb die Beteiligten – anders als viele europäische Nato-Partner – nicht einen US-Kampfjet von der Stange kaufen, sondern unbedingt einen eigenen entwickeln wollen. Doch das Lob der europäischen Kooperation verträgt sich oft nur schwer mit den Motiven der Beteiligten und der Industriepartner.
Wird ein neues Triebwerk benötigt?
Die der Industrie lassen sich auf eine simple Formel bringen: Hauptsache, das schönste Stück vom Kuchen krieg’ ich! Die nationalen Ziele sind differenzierter. Gut zeigen lässt sich das historisch am Streit um das Gewicht des Taktischen Kampfflugzeugs (TKF) – später „Jäger 90“, noch später „Eurofighter“ – zeigen. Vordergründig eine technische Frage, steckten hinter dem Tonnen-Streit handfeste Interessen. Grob gesagt, machte sich Frankreich für ein leichteres Grundmodell stark, Großbritannien für ein schwereres, und Deutschland versuchte zu vermitteln.
Wichtig war das Gewicht, weil sich davon andere Parameter direkt ableiteten: Wird ein neues Triebwerk nötig oder reicht ein vorhandenes, und wenn ja, welches? Wird eine Maschine für Luftkampf optimiert oder soll sie auch zur Marine? Kann sie längere Strecken fliegen? Und: Je leichter, desto attraktiver für den Export in Drittländer.
Drei Jahrzehnte später
Frankreich stieg schließlich aus und baute allein den „Rafale“-Jet. Die Bundeswehr bekam den ersten Eurofighter 2003. Das war fast drei Jahrzehnte nach den ersten Skizzen und Holzmodellen und mehr als ein Jahrzehnt nach dem Endes des Kalten Krieges, für den er gedacht war. Viel Geld war bis dahin nötig, um die alte „Phantom“ einsatzbereit zu halten. Neues Geld war nötig, um die vereinbarten hohen Stückzahlen herunterzuverhandeln, die zur veränderten Realität nicht mehr passten.
Ob die Politik daraus gelernt hat? Man kann es als zu beschützender und zahlender Bürger nur hoffen. Für jeden, der auch nur entfernt mit dem Rüstungswesen zu tun hat, sollte Raabes akribische Studie Pflichtlektüre werden. Sie lohnt aber auch die lehrreiche Mühe für jeden, der sich nicht mit bloßer Polemik begnügen will.
Thomas Raabe: Bedingt einsatzbereit? Internationale Rüstungskooperationen in der Bundesrepublik Deutschland (1979 – 1988). Campus Verlag, Frankfurt/New York 2019. 441 S., 39,95 €.
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