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Anlässlich seines 75. geburtstages sprach Christoph Hein über seinen Alltag als autor, seinen Roman "Der tangospieler" und die Gegenwart.
© Manfred Thomas

In Potsdam zu Gast: Christoph Hein will wachrütteln

Zu seinem 75. Geburtstag hat das Potsdamer Filmmuseum Christoph Hein einen Abend im Kino gewidmet - und der Autor erzählte von der Stasi, Mut und von einer Zeitung im Hunde-Hintern.

Von Helena Davenport

Potsdam - Ob das Schreiben sein Ausbruch sei, will der rbb-Moderator Peter Claus wissen. Christoph Hein schüttelt energisch die weißen Locken – das sei es nicht. Etwas anderes lenke ihn von der tristen Gleichförmigkeit des Alltags ab. Seine Figuren nämlich: „Um herauszufinden, wo der Held innerhalb des Kapitels am Abend landet, muss ich früh aufstehen!“ Seine Protagonisten in eine Richtung zu zwingen, bringe er einfach nicht zustande, dafür habe er viel zu großen Respekt vor jedem einzelnen Leben.

Scharfer Humor

Christoph Hein gewinnt auch mit 75 Jahren auf Anhieb die volle Aufmerksamkeit seines Publikums. Mit charmanter Bescheidenheit wickelt er es um den Finger. Selbstironisch tritt er am Donnerstagabend im Filmmuseum auf, mit feinem und dennoch scharfem Humor. Anfang der Woche hatte der Autor Geburtstag, deswegen widmete das Museum Hein einen Abend im Kinosaal, in dem kaum ein Sessel frei blieb. Zunächst sprach Claus mit ihm über sein Schaffen zu DDR-Zeiten, im Fokus Heins Roman „Der Tangospieler“, der im Mai 1989 erschienen war, über dessen Verfilmung, über die Waffen eines Autors und seine Bedeutung heute. Im Anschluss zeigte das Museum die gleichnamige Verfilmung von Roland Gräf, mit Michael Gwisdek in der Rolle des Leipziger Dozenten Hans Peter Dallow, der nach einem Aufenthalt im Gefängnis – er war gewissermaßen zur falschen Zeit am falschen Ort – versucht, wieder Fuß zu fassen in seiner Normalität, die trist ist und mindestens so melancholisch wie er selbst.

Man wolle diesen Dallow manchmal treten, um ihm zu neuem Schwung zu verhelfen, sagte Peter Claus auf der Bühne. Das Phänomen, dass einer nicht weiß, was er will, gebe es doch schon seit den Beginnen der Industriegesellschaft, antwortete Hein. Man müsse sich irgendwie anpassen, schon allein der eigenen Karriere wegen, und ein kleines bisschen wolle man das dann auch, nur ein kleines bisschen, aber als Individuum empfinde man gleichzeitig Unbehagen. Heins Figur Dallow war verhaftet worden, weil er als Pianist bei einem Studentenkabarett eingesprungen war, bei dem ausgerechnet DDR-Staatsratsvorsitzender Walter Ulbricht verspottet wurde.

Zeitung im Hunde-Hintern

Ende der Sechziger studierte Hein Philosophie und Logik in Berlin und Leipzig. Während dieser Zeit habe er von vielen dieser Fälle gehört, dass Leute nachts von der Staatssicherheit aus dem Bett gezerrt wurden. Von außen habe das hauptsächlich willkürlich gewirkt. Konkrete Geschichten habe er allerdings zu dieser Zeit nicht gekannt. Claus wollte am Donnerstag wissen, ob es die Geschichte von dem Schauspieler Peter Sodann gewesen sein könnte, die Hein zu seinem Roman inspiriert habe. Sodann hatte Anfang der Sechziger tatsächlich während eines Kabarettabends einem Stoffhund eine Ausgabe vom Neuen Deutschland in den Hintern geschoben. Hein habe davon erst später erfahren, sagte er am Donnerstag.

Auf die Frage, ob es ihm Mut gekostet habe, den Roman zu verfassen, antwortete der Schriftsteller abgebrüht: „Ach, ich hatte sehr viel Übung darin, es fiel mir eigentlich ganz leicht.“ Hein flieht mit seinen Eltern zusammen – die ihn freundlicherweise mitnahmen, wie er es formuliert – aus Schlesien nach Bad Düben. Weil er kein Arbeiterkind ist, geht er bis zum Mauerbau in Westberlin auf ein Gymnasium. Danach hält er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, studiert wenige Monate an der Filmhochschule Babelsberg und arbeitet nach seiner Studienzeit unter anderem als Dramaturg an der Berliner Volksbühne. Durch seine Novelle „Der fremde Freund“ wird er 1982 bekannt, in der BRD erscheint sie mit dem Titel „Drachenblut“.

„Damals waren Flüchtlinge nicht so beliebt wie heute“, sagte Hein, als es im Gespräch um seine eigene Flüchtlingszeit ging. Dass er Humor als Waffe benutzt, als Mittel, um wachzurütteln zumindest, war spätestens hier klar. Er wolle dem Leser nicht die Luft nehmen, er könne Geschichten nur so erzählen, dass sie heiter und komisch sind, sagte er.

Keiner muss mutig sein

Die zwei Todsünden, die ihn schon als Jungen charakterisiert hätten – Sohn eines Pfarrers und abgehauen –, hätten ihn gleichsam stark gemacht. Man sehe kühler, wenn man daran gewöhnt sei, außen vor zu sein, sagte er zum Publikum. Jeder Mensch habe ein Recht auf Feigheit, keiner müsse mutig sein. Sich selbst würde er allerdings nie verzeihen, in entscheidenden Momenten weggeschaut zu haben. 1987 spricht sich Hein auf dem X. Schriftstellerkongress der DDR gegen die Zensur aus – hier wird sein Mut zu einer Sensation.

Die Kraft eines Autors sei zur damaligen Zeit größer gewesen, sagte Hein im Gespräch mit Claus. Die Zeitungen seien schließlich nach zwei Minuten durchgelesen gewesen. Die Bücher hätten auch deswegen eine größere Bedeutung gehabt, weil man sich Mühe gab, zwischen den Zeilen zu lesen, ergänzte Claus.

Auf Heins jüngstes Werk, „Gegenlauschangriff. Anekdoten aus dem letzten deutsch-deutschen Kriege“, das gerade heiß diskutiert wird, kam der Moderator nicht zu sprechen. Wohl aber auf das Thema Erinnern. Dieses liege ihm schon deswegen nahe, weil er ein Deutscher sei, erwiderte Hein. Aktuell sei man allerdings wieder dabei, zu vergessen – das habe er bei seiner Zeitungslektüre festgestellt. Vielleicht werde sich die Geschichte nicht wiederholen, jedoch könne er sich vorstellen, dass sie modifiziert wiederkehre.

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