"Kruso" am Hans-Otto-Theater Potsdam: Aus dem Trauma wird kein Traum
Elias Perrig inszeniert „Kruso“ nah an Lutz Seilers Romanvorlage – und bleibt dessen Wesen deshalb fern. Heraus kommt mehr Musical als Drama.
Es ist eine Trutzburg. Eine Holzkapsel, die nur deshalb nicht sofort beklemmend wirkt, weil sie den ganzen Bühnenraum einnimmt. Hiddensee, der Sehnsuchtsort, ist in Elias Perrigs „Kruso“-Inszenierung am Hans Otto Theater ein Schutzraum, provisorisch, aber ohne Aussicht. Gebaut hat ihn Marsha Ginsberg aus Paletten, aus etwas, von dem nur die rohe Rückseite zu sehen ist. Davor: ein paar Resopaltische, rot gepolsterte Stühle und eine Abwaschwanne, die mehr ans Leichenschauhaus als an eine Küche erinnert. Damit steht der Tod sofort im Raum.
Noch chiffriert, weil sich in Perrigs Adaption von Lutz Seilers Roman, ganz wie im Text, erst nach und nach enthüllt, gegen welchen Schmerz sie hier, im „Klausner“, dem Betriebsferienheim für die Ausgespuckten, Gestrandeten des DDR-Staats ankämpfen. Überhaupt will Perrig auch mit diesem Stück die Vorlage wieder mehr ins Zentrum der Regiearbeit rücken. Immer weniger Geduld, sagte er den PNN vorab, habe er mit dem falschen Zauber, dem Zwang, alles im Theater auf Teufel komm raus neu erfinden zu müssen. Das kann funktionieren – oder auch nicht. Weil ein Text wie Seilers „Kruso“ eben von einer wahnsinnigen Erzählkraft lebt, aber weniger von einem Plot, ist es schwer, das ohne Längen und in seiner ganzen Transzendenz auf die Bühne zu bringen.
Es wird viel gesungen, die Dämonen damit leider eher vertrieben
Die Geschichte ist ja schnell erzählt: Der vom Tod seiner Freundin gequälte Student Ed (Holger Bülow) landet auf Hiddensee und – durch Zufall oder Fügung – in dieser eingeschworenen Gemeinschaft um Kruso, Sohn einer Seiltänzerin und eines russischen Soldaten, der hier mit anderen Wilden, Verrückten und Aussteigern eine „freie Republik“ unter dem Radar der Stasi ausgerufen hat. Der denen, die über das Meer nach Schweden flüchten wollen, ein paar Tage Luft und Raum zum Denken verschafft. Der sie retten will, alle, die verzweifelt hierherkommen. Er ist ein Schamane und Raphael Rubino, der ihn bei Perrig spielt, ist darin grandios. Mit seinem Körper und wenigen Worten macht er Krusos Schmerz und Großherzigkeit für alle greifbar. Solange Perrig ihn lässt.
Denn da ist ja noch der Rhythmus in Seilers Text. Dieses fast Lyrische in seiner Sprache, mit der er sich den Dämonen annähert, die hier in der freien Republik Hiddensee eben auch hausen. Aber irgendwie verblasst das Magische, das Schamanenhafte Krusos in Perrigs Stück. Kurz darf es manchmal durchblitzen, als Kruso und Ed einen schwammigen Lurch beerdigen, der den Abfluss verstopft, und als es um die Pilze geht, die der geheimnisvollen Suppe, mit der Kruso sie alle verköstigt, erst ihren mythischen Charakter verleihen. Aber trotzdem: Die meiste Zeit werden die Dämonen eher lustig weggesungen. Und Kruso, dieser fabelhaft freie Geist, wird bei Perrig irgendwie klein gehalten, der Rest seiner Mannschaft funktioniert ohnehin fast nur als Chor. Was schade ist, weil sie – allen voran Eddie Irle als Kellner Rimbaud und Axel Sichrovsky als René – so viel Wucht und Witz mitbringen.
Sie jongiereren mit Tellern, nicht mit Gefühlen
Aber weil Perrig eben irgendwie am Text bleiben will, muss er sich mit der ganze Monotonie des Abwaschs beschäftigen, für den Ed im Klausner zuständig ist. Und dessen epische Beschreibung bei Seiler eben zum Wesen des Textes gehört. Bei Perrig wird daraus eine ständig wiederholte Choreografie des Tellerwerfens, lässig und auf den Punkt, aber in der dritten Wiederholung eben Musical, kein Drama. Der Schmerz, der diese verrätselte Welt – die Ed und auch der Zuschauer erst lesen lernen muss – antreibt, verwässert dadurch. Die Komik, die mit ihm einhergeht, spaltet sich ab, nur gelegentlich in diesen 130 Minuten fällt beides zusammen und beginnt dann auch zu schimmern wie die grünen Lichter auf dem Meer, die Kruso für Zeichen der Ertrunkenen hält.
Der expressionistische Dichter Georg Trakl wird viel zitiert, zu dem Ed als Literaturstudent forscht und der Seiler selbst, als er vom Bau an die Uni kam, verändert hat. Für Seiler war es der Beginn eines neuen, eigenen Lebens. Das ist die Grunderfahrung, die wohl jeder durch Kunst macht: dass etwas in Worten hörbar wird, was sich eigentlich nicht in Worte fassen lässt. „Und nicht nur etwas, sondern vielmehr das Eigentliche, Wesentliche“, so schreibt Seiler. Eben das versucht auch Perrig hier: Das Eigentliche, Wesentliche von „Kruso“ mit anderen Mitteln als denen des Textes sichtbar zu machen. Aber wenn es in Trakls „Traum des Bösen“ heißt: „Am Abend regt auf Inseln sich Geflüster“, dann ist Perrig einen Tick zu laut. Klar, das Singen und Tellerwerfen steht für den Rhythmus der Arbeit, das Eingespieltsein der Klausner-Mannschaft. Diese Freiheit, die durch die Selbstorganisation entsteht, durch das Bewusstsein, eine Gemeinschaft zu sein, subversiv, ohne sich das je als Label zu verpassen.
Freiheit würde durch loslassen entstehen
Eine Freiheit, die, so heißt es bei Seiler, immer wieder im Laufe des Lebens durch Schlacken verschüttet wird, einen Niederschlag von Ehrgeiz, Macht, Habgier, Besitz. Die darunterliegende Freiheit schimmert bei Perrig nur ab und zu kurz durch, vor allem am Schluss, als mit dem Fall der Mauer alle nach und nach die Gemeinschaft verlassen, bis nur Ed zurückbleibt.
Man wünschte sich, Perrig hätte sich die Freiheit genommen, sich von Seilers Verfremdungen, mit denen der sich der Wahrheit annähert, zu lösen – und eigene Verfremdungen zu finden. Er bleibt in der Burg von Seilers Text, versteckt sich dort wie Ed am Ende im Klausner. Manchmal gelingt die größtmögliche Annäherung aber nur über den größtmöglichen gewonnenen Abstand.
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