Auftakt der Potsdamer Tanztage im Corona-Jahr: Aufsteigen, Fallen, Weitergehen
Zwei Glücksgriffe: Die Potsdamer Tanztage beginnen ihre von Corona geprägte Ausgabe mit Yoann Bourgois und Daniel Abreu. Eindringlich, poetisch, berührend. Und am Puls dieser Zeit.
Potsdam - Anmutig und kraftvoll: So war die Trampolin-Performance des kanadischen Tänzers und Akrobaten Yoann Bourgois, die am Mittwochabend zur Eröffnung der Potsdamer Tanztage 2020 open Air gezeigt wurde. Auf einem Holzpodest mit zwei Treppen und einem unsichtbaren Trampolin dazwischen kreiert er in „Fugue/Trampolin“ zur minimalistischen, wunderbar pulsierenden Pianomusik von Philip Glass eine bildstarke Allegorie auf das menschliche Leben: Aufsteigen, Fallen, Weitergehen. Wunderbar leicht und elegant, im weiteren Verlauf immer kräftezehrender, schließlich erfahrener, doch auch erschöpfter.
Zwei Glücksgriffe
Nur acht Minuten kurz ist „Fugue/Trampolin“, doch eindringlich, poetisch, berührend. Und nah am Puls dieser, unserer Gegenwart. Und auch eine nachwirkende Einstimmung auf diese „besonderen Tanztage“, wie fabrik-Leiter Sven Till zur Begrüßung sagte. „Besonders“ im Angesicht von „Corona“ und vor allem, weil das fabrik-Team in nur zwei Monaten ein neues, den Pandemie-Bedingungen angepasstes Programm mit zahlreicher internationaler Beteiligung auf die Beine stellen konnte.
Schon Yoann Bourgois, der am 6. und 7. August insgesamt noch acht Mal – umsonst und draußen in der Schiffbauergasse – auftreten wird, war ein sommerleicht-philosophischer Glücksgriff. Und die erste Deutschlandpremiere des Festivals, „La Desnudez“ (Die Nacktheit) von Daniel Abreu aus Madrid, die in der fabrik wegen der geltenden Abstandsregeln gerade mal 50 Zuschauer sehen durften, erwies sich ebenfalls als etwas ganz Wesentliches.
Schwindelerregend zwischen Kampf und Hingabe
Denn die beiden sehr charismatischen Tänzer Dácil González und Daniel Abreu, gleich groß und körperlich einander ebenbürtig, tanzen in einem Dutzend Sequenzen eine stark pulsierende Mann-Frau-Beziehung. In Licht und Schatten, mit Gleichheit und Unterlegenheit spielend, in Synchronizität und in Vereinzelung. In der Umarmung, im Kampf und in der Entfernung.
Das archaische Anfangsbild von „La Desnudez“ zeigt einen Mann der stark mit einer Vielzahl von Holzlatten beschäftigt ist. Während sich die andere Person, unter einem schwarzen Bodentuch, sehr organisch entfaltet und groß wie eine Wanderdüne wird. Obwohl sie immer noch als Frau unsichtbar ist, mit ihrer enormen Energie sofort den ganzen Raum einnimmt.
Die Uneindeutigkeit zwischen Beginn und Ende
Musikalisch begleitet von dem Requiem „Pie Jesu“ von Gabriel Fauré, verkörpert Dácil González mit langem Rock und Zopf dann den ganzen Schmerz, die große Kraft und die berückende Anmut der meisten ihrer Geschlechtsgenossinnen. Und in den folgenden Umarmungen beider – schwindelerregend zwischen Kampf und Hingabe – wird sichtbar, wie falsch die vieler Orts noch immer propagierte weibliche Unterordnung beziehungsweise Zurücksetzung des angeblich schwachen Geschlechts ist.
Zu den beiden Tänzern gesellt sich der Tubaspieler Hugo Portas, der unter anderem mit Stücken von Monteverdi und Purcell kongenial den elegischen Grundton der Beziehung malt, die schließlich unter flackerndem Diskolicht und dem Hit „Hotter than hell“ von DuaLipa zerstäubt. Oder ist es doch umgekehrt? Denn auch mit dieser Uneindeutigkeit des Beginnens beziehungsweise Endens spielt „La Desnudez“.
Die Tanztage 2020 finden bis 16. August in der fabrik Potsdam statt. „La Desnudez“ ist am 6.8. und 7.8. nochmals in der fabrik zu sehen. Am 6.8. 18 Uhr findet zudem im Innenhof des Brandenburger Landtags „Más o menosinquietos“ von Daniel Abreu statt.
Astrid Priebs-Tröger
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