Film über das Potsdam Rechenzentrum: Auf keinen Fall den Stecker ziehen
Damit rechnete keiner: Im Rechenzentrum wird jetzt Kultur gemacht. Wie es dazu kam, zeigt am 1. März eine Doku im Thalia.
Mission: Kultur. Ein Affe in Astronautenkostüm rettet das Rechenzentrum. Der sogenannte Aktionaut führte im letzten Sommer einen Feldzug für mehr Kulturräume in Potsdam – „mit einem Schwamm bewaffnet, um den alten Staub loszuwerden“, so Kristina Tschesch von der Kulturlobby Potsdam. Mit der Säuberungsaktion des Mosaiks am alten Rechenzentrum läutete die Bewegung um die SPI Stiftung und die Kulturlobby die neue Ära des Gebäudes als Kulturzentrum ein. Schlicht „Kosmos“ nennt es sich und hält sich damit programmatisch an den Mosaik-Titel „Der Mensch bezwingt den Kosmos“.
Wie die Eroberung genau ablief, zeigt am Dienstag die Dokumentation „Rechenzentrum – Vom Abrissobjekt zum Kreativkosmos“ der Kulturlobbyisten Kristina Tschesch und Elias Franke. Sie wird – einmalig – im Thalia Kino gezeigt.
Wie es im Rechenzentrum aussieht, sehen Sie hier:
Im Film ist die Aktionauten-Szene angelehnt an Stanley Kubriks Scifi-Klassiker „2001 – Odyssee im Weltraum“. Darin finden die Menschenaffen durch eine außerirdische Kraft zur Fähigkeit des Jagens und somit zur Macht, die Natur zu unterwerfen. Wie ernst man diese Allegorie nehmen muss, sei mal dahingestellt. Fragen bleiben trotzdem: Ist in Potsdam die Kultur etwas Außerirdisches? Ist sie machtlos? Kommt sie zu kurz? Zumindest hat sie ein Platzproblem: Genau ein Jahr vor der Premiere der Doku, am 1. März 2015, protestierte die Initiative Alte Brauerei gegen die Schließung des Geländes, auf dem Musiker und Bands in Proberäumen unterkamen. „Es wird verdammt eng in Potsdam. Wir müssen zeigen, dass wir unseren Raum brauchen!“, ruft Christian Nähte ins Mikrofon. An der Brandenburger Straße hat sich der Potsdamer Schauspieler, Musiker und einer der führenden Köpfe der Bewegung mit seiner Klampfe platziert, um gegen den schwindenen Raum zu demonstrieren.
Und so war das damals beim Protest:
So fing es an. Aus der Initiative Alte Brauerei ging die Kulturlobby um Initiator André Tomczak hervor. Die hat sich mit der SPI Stiftung, dem Sanierungsträger, Oberbürgermeister Jann Jakobs, der Stiftung Garnisonskirche und anderen Potsdamer Initiativen wie Mitmachen e.V. und der Pro Potsdam an einen Tisch gesetzt, um die Umnutzung des alten Rechenzentrums zu verhandeln. Das lief überraschend zügig. „Weil es eben so einzigartig war, dass alles so schnell ging, kam dann schnell die Anfrage, ob wir nicht den ganzen Prozess abbilden wollten“, sagt Franke. Weil die Pro Potsdam das Filmprojekt finanzierte, verwarfen sie die Idee eines 15-Minüters. Stattdessen schufen die freischaffenden Filmemacher Tschesch und Franke ihren ersten Langfilm.
Der zeigt, wie die ollen Büros nach und nach Ateliers für Schachtelmacher, Maler, Architekten, Designer, Musiklehrer und Illustratoren weichen. „Ich stelle mir das immer vor wie eine kreative Wolke, die über dem Rechenzentrum schweben muss, wenn hier in allen Ateliers gearbeitet wird“, sagt Tschesch im Gespräch. Der Bedarf an Räumen ist jedenfalls da: Ab Oktober dieses Jahres stehen dann auch die letzten bisher ungenutzten Etagen den Künstlern frei zum Bezug – und es gibt schon Wartelisten.
Mitmachen - aber nur auf Zeit
Der Film endet allerdings beim „Start“, dem Atelierrundgang, mit dem das „Kosmos“ im November 2015 eröffnet worden war. Was hat sich seitdem getan? „Die Gemeinschaft ist im Entstehen. Das ist wie bei neuen Nachbarn auch. Man beschnuppert sich, kommt ins Gespräch“, sagt Franke. Für ihn ist aber klar, dass das Potenzial des Kosmos noch nicht erschöpft ist: „Die Mieter müssen sich erst daran gewöhnen, dass man hier selbst mitgestalten kann.“
Das sagt sich so leicht. Denn das Projekt hat ein Ablaufdatum: In der Doku zeigt sich das Damoklesschwert in Gestalt einer Vierersteckdose. Darüber klebt ein Hinweisschild aus alten Tagen: „Auf keinen Fall den Stecker ziehen.“ Genau das droht dem neuen Kreativzentrum jedoch in drei Jahren, sollte die Stiftung Garnisonskirche neben dem Turm auch das Kirchenschiff wiederaufbauen wollen. Der Turm alleine jedoch könnte mit dem „Kosmos“ koexistieren. Das müsse man eben ein Stück weit ausblenden, um sich in seinem Ideenstrom nicht hemmen zu lassen, meint Franke. So soll ein kleines Café im Foyer entstehen, Arbeitsgruppen planen die Teilnahme am Projekt „Stadt für eine Nacht“.
Die Musiker, mit denen der Protest ja eigentlich angefangen hat, haben allerdings immer noch keinen Raum gefunden. Nur Musiklehrer und Solokünstler dürfen rein – die Leisen eben. Deshalb war es Tschesch und Franke auch so wichtig, keinen rosaroten Imagefilm über das Projekt zu drehen, sondern vor allem den Status quo weiter zu kritisieren. „Das Haus kann einfach nicht die Probleme von allen Künstlern lösen“, sagt Tschesch. „Es ist immer noch eine Zwischennutzung und die Bands können nicht rein, weil die Schall- und Brandschutzbestimmungen zu hoch sind.“
Potsdam bildet aus - mehr tut es für Kunst und Leben nicht
Wegen dieser Mängel bemühen sich die verschiedenen Kulturhäuser – unter anderem die Scholle 51, das Freiland und das Atelierhaus Panzerhalle – um ein enges Netzwerk. Die Entstehung des Rechenzentrums dürfe nicht dazu dienen, die Protestszene mundtot zu machen: „Wir haben befürchtet, dass das Rechenzentrum jetzt ein Totschlagargument sein könnte. Nach dem Motto: Jetzt seid doch mal ruhig endlich, ihr habt doch jetzt euren Raum“, sagt Franke. Stattdessen solle man den Ausbau der Kulturszene als Bereicherung betrachten. „Es ist doch so: Potsdam bildet gut aus, aber die Leute gehen dann eben auch wieder“, so Franke. „Das ist eine Chance, die Leute auch hierzubehalten.“ Definitiv hätten auch Schlösser und historische Bauten ihre Berechtigung, aber „gerade die Kunstszene ist es doch, die eine Stadt attraktiv und pulsierend und lebendig macht“, sagt Tschesch.
Vor allem soll das Rechenzentrum für die ansässigen Potsdamer wichtig werden. „Ich wünsche mir, dass verschiedenste Leute hier ein und aus gehen: Kinder, die hier zum Musikunterricht gehen, oder Erwachsene, die Bilder direkt beim Künstler kaufen wollen oder einen Fotografen, Architekten oder Designer brauchen. Es soll immer wieder Anlässe geben, hierher zu kommen, sodass nicht nur für Leute aus unserer Szene klar ist: Das Haus kann man nicht einfach abreißen.“
Am 1. März zeigt das Thalia, Rudolf- Breitscheid-Straße 50, die Doku „Rechenzentrum – Vom Abrissobjekt zum Kreativkosmos“. Anmelden sollte man sich vorab per E-Mail an rechenzentrum.film@gmail.com, der Eintritt ist frei.
Theresa Dagge
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