Interview: Annie Leibovitz: "Wer dich liebt, hält dich aus"
Die Fotografin Annie Leibovitz im Tagesspiegel-Interview über Magazin-Cover und Präsidenten, Stars und Familie – und ihre Freundin Susan Sontag.
Frau Leibovitz, wir sitzen hier inmitten Ihres Lebenswerks: zwischen kleinformatigen Familienbildern und riesigen Landschaften aus dem Monument Valley.
Die Idee bei der Ausstellung war: Wenn die persönlichen Fotos klein sind, muss man ganz nahe ran gehen, um sie zu sehen, das schafft eine Art von Intimität. Und die Landschaftsaufnahmen sollen wirken wie eine Meditation, um den traurigen Themen Tod und Verlust etwas entgegenzusetzen. Dass heißt noch lange nicht, dass ich nun Landschaftsfotografin sein will. Manche haben mir vorgeworfen, dass ich auf Anselm Adams mache.
Sie hatten sogar mal geplant, ein Buch herauszugeben, mit den schönsten und exotischsten Orten der Welt…
Das war Susans Idee.
... Susan Sontag, mit der Sie fünfzehn Jahre zusammen waren und die im Dezember 2004 gestorben ist.
Susan liebte das Reisen und hatte immer eine Liste mit möglichen Zielen. Wenn sie ein Buch fertig hatte, sind wir losgefahren. Ich hatte ihr versprochen, dass wir nach ihrem letzten Buch den Amazonas hochfahren, aber dazu ist es nicht mehr gekommen.
Berühmt geworden sind Sie als Porträtfotografin, aber anders als viele versuchen Sie die Menschen nicht zu demaskieren, sondern Sie spielen mit der Inszenierung.
Ich wäre ja glücklich, wenn die Menschen sich vor mir die Brust aufreißen. Aber meistens habe ich nur eine Viertelstunde für ein Bild. Ich sehne mich nach längeren Aufträgen, denn ich bin sicher, dass man die Seele sichtbar machen kann, wenn jemand bereit ist, dir ein oder zwei Jahre seines Lebens zu schenken. Am Ende sind es nur deine Familie und deine Freunde, die dir erlauben, so lange an ihrem Leben teilzunehmen, sich dir ganz ausliefern…
… und Sie vergessen irgendwann die Kamera?
Das glaube ich nicht. Niemand vergisst jemals die Kamera. Aber die Menschen, die dich lieben, halten dich aus. Deshalb mag ich die Fotos so sehr, die Alfred Stieglitz von Georgia O’Keeffe gemacht hat. Sie liebten sich, sie waren verheiratet, sie war seine Muse. Und sie wurde gern fotografiert, das sieht man den Bildern an. Daran habe ich mich orientiert.
Für die Menschen, die nur Ihre extrem stilisierten Porträts kennen, die schwangere Demi Moore oder Arnold Schwarzenegger zu Pferd, ist das eine Überraschung.
Ich finde, die Familienbilder haben mehr Tiefe. Aber das heißt nicht, dass die Auftragswerke Schrott sind. Ich möchte auch die Oberfläche verteidigen. Doch als ich die Bildauswahl zusammengestellt habe, war Susan gerade gestorben, mein Vater auch, und meine Kinder waren geboren, da haben sich meine Prioritäten verschoben, und ich habe vielleicht erst in diesem Moment verstanden, was wirklich wichtig ist. Ich war ja so glücklich, dass ich die Familienbilder überhaupt hatte und genug von ihnen – ich hatte mich jahrelang nicht um sie gekümmert.
Sie haben einmal gesagt, dass es Ihr Ideal ist, in der Welt, die Sie fotografieren, vollkommen aufzugehen.
Das war 1975, als ich mit den Rolling Stones auf Tour war. Damals war ich jung, und so ein Auftrag war natürlich immer spannender, als zu einem leeren Kühlschrank nach Hause zu kommen. Aber die Rolling-Stones-Tour war auch ein großes Warnsignal für mich: Ich habe mich damals fast verloren, und es hat Jahre gekostet, mich wiederzufinden.
Gleich kommen 150 Journalisten, die Sie durch Ihre Ausstellung führen wollen. Fühlen Sie sich nicht inzwischen selbst als Berühmtheit, so wie die Stars, die Sie fotografieren?
Das müssen Sie sagen. Ich arbeite halt und fühle mich oft wie in einem Vakuum. Aber ich glaube, dass die Welt sich gerade verändert. Alles verläuft in Kreisen, unsere Gesellschaft schreibt sich immer neu, und derzeit dreht sich alles ums Geld, nicht mehr so sehr darum, was jemand trägt. In den Achtzigern war alles fett, groß und künstlich, dann wurde in den Neunzigern alles natürlicher, dann wieder opulenter, und jetzt sind wir an einer Stelle, an der das „wahre Wahre“ gefragt ist.
Aber gerade Sie gelten als Meisterin der aufwändigen Inszenierung. Warum hat zum Beispiel die Queen Sie als Porträtfotografin ausgewählt?
Das wollte ich auch gerne wissen. Ich hatte sie schon 1999 für mein „Women“-Buch fotografieren wollen. Damals war nie eine Antwort gekommen. Und fünf Jahre später kam die Einladung.
Sie haben gerade Michelle Obama fotografiert, das Cover für die März-Ausgabe der amerikanischen „Vogue“.
Oh ja, und ein Cover ist viel schwieriger als die Fotostrecke im Inneren des Blattes. Die Titelseite ist ja eigentlich nur noch Werbung. Es gibt einen Haufen Analysen darüber, wie Cover wirken, und wenn das Heft sich nicht verkauft, bist du als Fotograf schuld, gerade in diesen finanzschwachen Zeiten. Heute würde ich sagen: Ich muss das nicht mehr unbedingt machen. Das können ruhig andere tun.
Aber Sie haben ja auch noch acht Seiten im Innenteil bekommen…
Die Familie wohnte im Hay-Adams-Hotel in Washington, es war noch vor der Vereidigung. Natürlich hätte ich lieber im Weißen Haus fotografiert, aber die „Vogue“-Chefin Anna Wintour wollte Michelle Obama so schnell wie möglich im Blatt haben, weil sie das Gefühl hatte, diese Frau kann mit links die Modewelt retten. Und sie hatte recht. Michelle hatte genaue Vorstellungen, was sie tragen wollte: Sie wollte bodenständig und erreichbar erscheinen und trotzdem beweisen, dass man in finanzschwachen Zeiten modisch auftreten kann.
Stört es Sie eigentlich, wenn Michelle Obama sich selbst ihre Kleider wählt?
Ich suche die Kleider für „Vogue“ ja eigentlich nie aus. Aber bei Michelle war es tatsächlich ein Drama, weil sie sich für Kleider von Maria Pinto aus Chicago entschieden hatte, und die sind im Schneesturm stecken geblieben, so dass am Ende nur zwei Kleider zur Verfügung standen, ein pinkes und ein schwarzes. Und ich war so enttäuscht, ich hatte an ein gelbes Kleid für das Cover gedacht.
Sie haben ja nicht nur Michelle fotografiert, sondern auch Barack Obama und alle Präsidenten seit Nixon. Macht es einen Unterschied, ob Sie den Präsidenten mögen?
Auf beiden Seiten zu arbeiten, mag ich eigentlich ganz gern. Aber als George W. Bush das letzte Mal gewonnen hatte, war es hart, noch einmal ins Weiße Haus zu gehen. Da fühlte ich mich nicht gut. Andererseits ist es ein Job: Man muss auch Menschen fotografieren, die man nicht mag.
Autorisieren die Leute ihre Porträts?
Nein, nie. Weil ich jetzt digital arbeite, sehen sie aber bei den Vorbereitungen, wie das Bild in etwa aussehen wird.
Und: Hat sich schon mal jemand beklagt?
Mir gegenüber noch nicht. Darüber bin ich auch ganz froh, denn ich möchte Menschen gern mögen. Und zwar immer mehr, je älter ich werde. Zum investigativen Journalisten fehlt mir die Härte, die Rücksichtslosigkeit. Als ich anfing, wusste ich noch nicht mal, dass es so etwas wie fotogene Menschen gibt. Aber ich habe akzeptieren müssen: Die Kamera liebt Menschen wie Johnny Depp, Nicole Kidman, Cate Blanchett. Mit ihnen ist es wie mit Frank Gehrys Guggenheim-Museum in Bilbao: Das ist auch ein großes, sexy Gebäude. Es ist wirklich schwierig, es schlecht zu fotografieren.
Sie waren Anfang der Neunziger mit Susan Sontag in Berlin…
… Susan hat Berlin immer geliebt. Sie war dauernd hier, seit den Siebzigern. Kurz nach der Wende kam sie nach Berlin, um ein Buch zu schreiben, und ich habe sie in ihrer Charlottenburger Wohnung besucht. Wir haben lange in Buchhandlungen gestöbert und viele Nächte in der Paris-Bar Schnecken gegessen. Die Stadt klingt bei mir ähnlich nach wie Paris, deshalb ist es so schön, diese Ausstellung hierher zu bringen. Es ist, als ob ich Susan damit zur Ruhe bette.
Das Gespräch führten Deike Diening und Christina Tilmann
ANNIE LEIBOVITZ
geboren 1949 in Connecticut, studierte am San Francisco Art Institute Malerei und Fotografie. 1973 wurde sie Cheffotografin von „Rolling Stone“, seit 1983 arbeitet sie für „Vanity Fair“, später auch für „Vogue“. 1975 ging sie mit den Rolling Stones auf Tour, 1980 fotografierte sie John Lennon am Tag seines Todes.
DIE AUSSTELLUNG
bei C/O Berlin im Postfuhramt, Oranienburger Straße, zeigt Bilder ihres Bandes „A Photographer’s Life 1990 – 2005“ (dt. Schirmer/Mosel 2006) und ist
bis 24. Mai zu sehen (tägl. 11 bis 20 Uhr).
BÜCHER
Zuletzt erschien im
Januar 2009 bei
Schirmer/Mosel ihre Werkübersicht
„At Work“ (46 Euro).
Weitere wichtige Bücher: „Photographs: 1970-1990“ (1991), „Women“ (1999), „American Music“ (2003).
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