Kultur: Als der Winterkomet Schreckliches ankündigte
400 Jahre liegt der Beginn des Dreißigjährigen Kriegs bald zurück. Etliche Historiker befassen sich mit diesem traumatischsten Ereignis der Vormoderne.
Der Dreißigjährige Krieg erlebt eine Renaissance – und dies nicht erst auf dem Büchermarkt im Vorfeld des kommenden Erinnerungsjahres an den Kriegsbeginn 1618. Es waren spätestens der 11. September 2001 und seine Folgen, die im Westen lange vergessene Kriegsformen auf brutale Weise wieder in Erinnerung riefen. Mit den Feldzügen der Vereinigten Staaten in Afghanistan und im Irak wurde der „asymmetrische Krieg“ zum bis heute vielfach verwendeten Begriff nicht nur in Expertenkreisen, sondern über die Medien auch in der breiten Öffentlichkeit. „Warlords“ tauchten als Protagonisten in der Berichterstattung auf, auch der „Söldner“ kehrte zurück. Fortan war von einer Privatisierung der Kriege des Westens die Rede.
Nicht nur diese Phänomene und Begrifflichkeiten lassen den Dreißigjährigen Krieg und seine Gewaltformen als historischen Referenzrahmen erscheinen. Auch die Konfrontationen zwischen Sunniten und Schiiten wurden mehr und mehr als eine Art neuer Dreißigjähriger Krieg gesehen – dieses Mal nicht im christlichen Abendland, sondern im muslimischen Morgenland.
Nun ist jener Krieg von 1618 bis 1648, der besser als alle späteren Konflikte die Kriege der Gegenwart verstehen lassen soll, 370 Jahre nach der Beendigung im Westfälischen Frieden von Münster und Osnabrück als historischer Gegenstand mehrerer Neuerscheinungen zurück.
Die entscheidende Schlacht bei Lützen
Wer nach einer großen Überblicksdarstellung jenes epochalen Konfliktes sucht, der innerhalb von dreißig Jahren Millionen Menschen das Leben kostete und die politische wie religiöse Landkarte Europas nachhaltig veränderte, wird bei Peter H. Wilson fündig. Der Lehrstuhlinhaber für Militärgeschichte an der Oxford University mit Forschungsschwerpunkt auf der Geschichte der deutschsprachigen Länder Europas zwischen 1500 und 1914 hat gerade ein Werk zum Heiligen Römischen Reich vorgelegt und bereits für das kommende Jahr eine gleichermaßen Militär-, Kultur- und Politikgeschichte der Schlacht bei Lützen 1632 angekündigt. Sie gilt als eine der Hauptschlachten des Dreißigjährigen Krieges, in der ein protestantisches Heer unter Führung des dort getöteten schwedischen Königs Gustav II. Adolf gegen die katholischen kaiserlichen Truppen unter Albrecht von Wallenstein kämpfte.
Nun liegt die deutsche Übersetzung des bereits 2009 erschienenen und sogleich als neues Standardwerk gepriesenen umfangreichen Bandes von Wilson zum Dreißigjährigen Krieg vor . Eine in der Tat monumentale Geschichte von mehr als tausend Seiten, die nicht nur ausführlich die einzelnen Ereignisse und Phasen des Kriegsgeschehens beschreibt, sondern auch eine Analyse der historischen Zusammenhänge bietet – von der Vorgeschichte und den strukturellen Gegebenheiten im damaligen Europa bis zu den langfristigen Auswirkungen des Kampfes Frankreichs, Schwedens, Englands, niederländischer und deutscher Protestanten gegen die spanisch-habsburgische Hegemonie.
Kurzporträts der wichtigsten politischen und militärischen Akteure ergänzen Wilsons Überblick, der nicht nur die führenden Protagonisten beleuchtet, sondern auch das Schicksal und die Lebensrealität der einfachen Soldaten und Zivilisten.
Aus den Trümmern neuer Frieden
Was kann Herfried Münkler diesem Koloss von Buch noch entgegenstellen? Ist nicht spätestens mit Wilson alles gesagt und geschrieben zu diesem Flächenbrand im Europa der Jahre 1618 bis 1648, zu diesem ersten im vollen Sinne „europäischen“ Krieg, diesem deutschen Trauma? Münkler beschränkt sich in seinem neuen Opus magnum, das mit fast 1000 Seiten schon von seinem Umfang her an Wilson heranreicht, nicht auf die historische Erzählung und Einordnung. Zwar berichtet auch er vom Schwedenkönig Gustav Adolf und dem Feldherrn Wallenstein, von Kardinälen und Kurfürsten, von den Landsknechten und den durch Krieg und Krankheiten verheerten Landschaften Deutschlands: Ein Viertel der Bevölkerung fand den Tod. Jahrzehnte sollten vergehen, bis die Verwüstungen überwunden waren. Noch heute gilt „Dreißigjähriger Krieg“ als Metapher für die Schrecken des Krieges schlechthin.
Auch lässt Münkler noch einmal das damalige Staatengebilde Europas untergehen , um dann aus seinen Trümmern eine wegweisende Friedensordnung entstehen zu sehen, mit der wiederum eine neue Epoche ihren Ausgang nehmen sollte. Aber der Politikwissenschaftler und Lehrstuhlinhaber an der Berliner Humboldt-Universität würde seinem Ruf als exzellenter Analyst auch der Gegenwart nicht gerecht, wenn sein großes Werk zum Dreißigjährigen Krieg nicht zugleich Erkenntnisse und Lehren für die heutige Zeit bereithielte.
Diese sind ernüchternd: Münkler greift die derzeit verbreitete Ansicht auf, die gegenwärtigen Konflikte im Nahen und Mittleren Osten sowie in Afrika spiegelten Kriegsformen, in denen nachgeholt werde, was in Europa vor vier Jahrhunderten stattgefunden habe. Zwar möchte er nicht prinzipiell ausschließen, dass dem so sei – auf den ersten Blick könne man den „Islamischen Staat“ als ein Beispiel für die Territorialisierung vagabundierender Kämpfer ansehen, die aus dem arabischen Raum und aus Europa nach Syrien und in den Nordirak gekommen sind, um dort das Kalifat wiederzuerrichten.
Damit enden nach Münklers Analyse aber auch schon die Parallelen: Im Fall des IS läuft Territorialisierung nicht auf die Domestizierung sozioökonomischer Vagabundage hinaus, sondern wird zum Ausgangspunkt weiterer Eroberungen, die bis weit nach Europa hinein ausgreifen sollen. Zudem greifen die dschihadistischen Kämpfer nicht zu den Waffen, da sie darin eine probate Form des Gelderwerbs sehen wie die Söldner des Dreißigjährigen Krieges, sondern sie folgen damit einem ideellen Projekt. Dieser elementare Unterschied führt Münkler zu dem realistischen Befund, dass es im 17. Jahrhundert Wege zu einem Frieden gegeben hat, die heute nicht mehr beschritten werden können.
Kein "Westfälischer Frieden" in Nahost
Oder anders ausgedrückt: Die in letzter Zeit immer wieder erhobene Forderung eines Westfälischen Friedens für den Nahen und Mittleren Osten dürfte – zumindest auf absehbare Zeit – nicht zu erfüllen sein. Damit gelangt Münkler zu Erkenntnissen, die bereits in seinen Analysen zu den „neuen Kriegen“ nach 2001 angelegt waren – schon damals erlebte der Dreißigjährige Krieg eine Renaissance in der Wahrnehmung der Gegenwart.
Wie kam es überhaupt zu dem längsten Krieg auf deutschem Boden? Um diese Frage zu beantworten, beleuchtet der Frühneuzeit-Historiker Heinz Duchhardt aus einer europäischen Perspektive das hochexplosive Jahrzehnt vor Kriegsbeginn 1618. Es war geprägt von innen- wie außenpolitischen Krisen, von konfessionellen Zuspitzungen, Zukunftsängsten und Vorstellungen. Der eingeschlagene Weg, so Duchhardt, müsse geradezu zwangsläufig ins Chaos führen.
Dabei bezeichnet Duchhardt die Spannung zwischen einer Art „Endzeiterwartung“ und dem Bemühen, des Konfliktpotenzials doch noch Herr zu werden, als charakteristisch für die damalige Zeit. Sie sollte in eines der traumatischsten Ereignisse der Vormoderne überhaupt münden, das unendliches Leid über die Bevölkerung weiter Teile Europas brachte und den Kontinent wie gesagt grundlegend veränderte. All dies wurde nicht von einem plötzlichen Geschehnis ausgelöst, sondern von einer breiten öffentlichen Meinung lange erwartet und in gewisser Hinsicht auch herbeigeredet, wie Duchhardt herausarbeitet. In seinen Forschungen der letzten Jahrzehnte hatte sich der Autor bisher vor allem mit dem Ende des Krieges und der Suche nach einer belastbaren Friedensordnung beschäftigt.
Die "kleine Eiszeit" gebiert den Terror
In Duchhardts Schilderung der Vorlaufphase wird noch einmal lebendig, wie sehr die Vorahnung eines bald entfesselten Waffengangs nicht nur eine Sache kühl kalkulierender Diplomaten, fürstlicher Räte und kommunaler Funktionsträger war. Vielmehr hatte das damals weit verbreitete Gefühl sozialer und wirtschaftlicher Unsicherheit und Perspektivlosigkeit eine längere, bis in die Jahre der „Kleinen Eiszeit“ zurückreichende Vorgeschichte. Auf diese Periode eines relativ kühlen Klimas seit Anfang des 15. Jahrhunderts werden Hunger, Kriege und Revolutionen zurückgeführt.
Aber es steht auch für Heinz Duchhardt außer Frage, dass sich die Vorstellung, in einer Zeit zu leben, die in geradezu apokalyptischer und millenaristischer Weise dem Ende der Welt zustrebte, an der Wende von der ersten zur zweiten Dekade des 17. Jahrhunderts noch einmal gewaltig steigerte.
Wie sehr für diese Vorstellungen und Ahnungen damals Anhaltspunkte für ihre Wahrwerdung gesucht wurden, lässt sich bei Andreas Bähr nacherleben. Gilt als Beginn des Dreißigjährigen Krieges heute der 23. Mai 1618, an dem protestantische Adelige die Statthalter des römisch-deutschen Kaisers Ferdinand II. aus den Fenstern der Prager Burg stürzten, so soll für die Zeitgenossen ein anderes Ereignis entscheidend gewesen sein. Als im darauffolgenden November ein heller Komet am Himmel erschien, glaubten sie, in ihm eine Botschaft Gottes zu erkennen: die Prophezeiung eines schrecklichen Krieges.
Bähr verfolgt die Auseinandersetzungen über die Bedeutung des Kometen durch die Kriegszeit von 1618 bis 1648 hindurch. Der Privatdozent für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin zeigt, wie umfassend frühneuzeitliche Deutungen von Welt und Geschichte durch den religiösen Glauben geprägt waren: Zeichen „göttlichen Zorns“ und „göttlicher Gnade“ schienen das Geschehen auf Erden zu bestimmen. Also halfen Erscheinungen am Himmel dabei, den Verlauf des Krieges zu verstehen.
Der Komet als Himmelszeichen
Andreas Bähr wirft Schlaglichter aus der Perspektive derer, die in der Gewalt und Unübersichtlichkeit ihrer Zeit im „Winterkometen“ einen Orientierungspunkt suchten. Auf diese Weise gelingt ihm nicht nur ein Brückenschlag zwischen Ereignis- und Wissensgeschichte, sondern darüber hinaus eine einfühlsame Annäherung auch an die Menschen der damaligen Zeit, vom einfachen Schuhmacher oder Zinngießer bis zum französischen Philosophen, Mathematiker und Naturwissenschaftler René Descartes. Der nahm am 18. Oktober 1619 an einem Kolloquium in Ulm im „Kometenstreit“ um die Frage teil, ob die Kometen, die 1618 am Himmel erschienen waren, „wunderbare Zeichen“ gewesen seien, die Gottes Strafe ankündigten, oder natürliche Erscheinungen ohne jeglichen Einfluss auf Krieg und Tod, Hunger und Elend.
Woher diese Sehnsucht nach Sinn und Erklärung kam, wird nachvollziehbar bei Christian Pantle. Bereits mit seinem Bestseller zur Varusschlacht hat er sich als Autor einen Namen gemacht, der es vermag, dem Leser das historische Geschehen nahezubringen. Auch die Grausamkeiten des Dreißigjährigen Krieges werden von ihm in eindringlichen Erzählungen gespiegelt. Sie drehen sich nicht zuletzt um das blutige Leben der Söldner auf dem Schlachtfeld und die Schicksale der Zivilisten in ihren verwüsteten Dörfern und Städten.
Da kommt der Pappenheimer Peter Hagendorf zu Wort, der 23 Kriegsjahre lang von einem Kampfschauplatz zum nächsten marschiert – tausende Kilometer kreuz und quer durch Deutschland und Mitteleuropa. Da wird die Verzweiflung greifbar, die der Mönch Maurus Friesenegger verspürt angesichts der Zerstörungen rings um sein Kloster. In seinen Aufzeichnungen geht es um Mord und Tod, Raub und Plünderungen, Vertreibung und Barbarei. Doch nicht nur von schrecklichen Erlebnissen lässt Pantle die Zeitzeugen in ergreifender Weise berichten, sondern auch von Momenten der Menschlichkeit, Solidarität, Hilfsbereitschaft, des Mitgefühls und Zusammenhalts. Sogar in einem Krieg, so furchtbar und langdauernd wie dieser.
Die besprochenen Bücher:
Andreas Bähr:
Der grausame Komet.
Himmelszeichen und Weltgeschehen im Dreißigjährigen Krieg. Rowohlt Verlag, Reinbek 2017. 303 S., 19,95 €.
Heinz Duchhardt: Der Weg in die
Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges.
Die Krisendekade 1608 –1618. Piper Verlag, München 2017. 254 S., 24 €.
Herfried Münkler: Der Dreißigjährige Krieg.
Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618 –1648. Rowohlt Berlin, Berlin 2017. 975 S., 39,95 €.
Christian Pantle: Der Dreißigjährige Krieg. Als Deutschland in Flammen stand. Propyläen Verlag, Berlin 2017. 367 S., 18 €.
Peter H. Wilson: Der Dreißigjährige Krieg. Eine europäische Tragödie. Aus dem Englischen von Thomas Bertram, Tobias Gabel und Michael Haupt. Theiss Verlag, Darmstadt 2017. 1144 S., 49,95 €.
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