Von Peer Straube: Per Fernbedienung über die Havel
Olaf Prochazka fährt jeden Tag fast 90 Mal dieselbe Strecke: 240 Meter zwischen Kiewitt und Hermannswerder
Die Stadt ruht noch, wenn Olaf Prochazka sein Tagwerk beginnt. Die Sonne hat sich gerade müde über den Horizont geschleppt, da wuselt der 44-Jährige bereits am Ufer hin und her. Der morgendliche Kontrollgang durch sein Reich.
Sein Reich, das ist die Fähre, die den Kiewitt mit Hermannswerder verbindet. Prochazka ist Fährmann. 240 Meter Wasser muss er überbrücken, zweieinhalb Minuten pro Fahrt von einem Ufer zum andern. Drei Minuten fürs Einsteigen, dann geht es wieder in die andere Richtung – von morgens 7.03 Uhr bis abends 18.25 Uhr. 88 Fahrten täglich. Vier Tage dauert eine Schicht, danach ist sein Kollege dran und Prochazka hat vier Tage frei.
Seit vier oder fünf Jahren schippert Prochazka nun über die Havelenge. Mit seinem Vollbart, der schief sitzenden Schiffermütze und der gelassenen Gemütlichkeit ist er ein wandelndes Seebärenklischee. Gelernt hat der Ur-Potsdamer das Handwerk noch zu DDR-Zeiten in Magdeburg. Als Matrose der Binnenschifffahrt befuhr er die Gewässer, jobbte auch bei der „Weissen Flotte“. Dann suchte der Verkehrsbetrieb ViP einen neuen Fährmann. Prochazka bewarb sich und bekam die Stelle. „Das ist einer der schönsten Arbeitsplätze überhaupt“, sagt er und zeigt auf das umgebende Idyll.
Um dreiviertel sieben stehen die ersten Passagiere an Land, doch sie müssen sich noch gedulden. Prochazka säubert erst die großen Scheiben mit einem Besen. Die „Gesichtspullover“ müssen weg, sagt er grinsend und meint die Spinnweben. Der Stromkasten wird gecheckt, ebenso die Rollen, über die das stählerne Zugseil läuft. Im Führerhäuschen auf dem Oberdeck meldet sich der Prochazka per Funk bei seinem Einsatzleiter. Dann greift er zu zwei Fernbedienungen. Eine schließt das Tor an der Anlegestelle, mit der zweiten bedient er den Antrieb.
Zur ersten Fahrt sind nur wenige Passagiere an Bord. Urlaubszeit. Und die Schüler und Lehrer des Hoffbauer-Gymnasiums haben noch Ferien. Ab Montag wird sich das ändern. „Wenn die Schüler kommen, ist die Fähre bis unter das Dach voll“, erzählt Prochazka schmunzelnd. 500 Passagiere kommen da über den Tag schon mal zusammen. An diesem Vormittag aber hat er wenig zu tun. Die meisten Fahrgäste haben ohnehin eine Monatskarte. Wer nicht, zahlt 1,20 Euro für die einfache Fahrt, für Schüler kostet sie 90 Cent. Doch drückt Prochazka auch mal ein Auge zu, wenn Schüler Monatskarte oder Geld vergessen haben. Sie bekommen trotzdem einen Fahrschein – es könnten ja Kontrolleure kommen. „Das Geld geben sie mir dann am nächsten Tag.“
Nein, es sind meist nicht die Fahrgäste, die Prochazka ärgern. Eher das sommerliche Ausschwärmen der Möchtegern- Sportbootfahrer. Wenn die Fähre unterwegs ist, hebt sich das Zugseil an „und dann beginnen die Probleme“, sagt er. Das letzte mal hat’s am vergangenen Freitag gekracht. Ein Segler war unaufmerksam und manövrierte sein Boot so unglücklich, dass sich der Kiel im Zugseil verhakte und letzteres durchriss. Die Folge: Vier Tage konnte die Fähre nicht fahren, weil das Wochenende dazwischenlag. Erst zu Wochenbeginn konnte ein neues Seil eingebaut werden – das dann wieder ein halbes bis dreiviertel Jahr halten sollte, ehe es zerschlissen ist, vorausgesetzt, es gibt keinen Unfall.
Wenn so etwas passiert, muss Prochazka den Zorn der Fahrgäste ausbaden. „Die Leute kommen dann und sagen, was, die Fähre fährt schon wieder nicht? Dabei übersehen sie, dass sie täglich von morgens bis abends unterwegs ist. Die Wartung muss also immer bei laufendem Betrieb stattfinden.“
Inzwischen ist es fast neun Uhr. Auf Hermannswerder-Seite hat sich ein ungewöhnlicher Passagier an Bord gestohlen. „Ah, da ist ja Max“, ruft der Fährmann. Der Angesprochene hüpft aufgeregt auf der Plane des kleinen Rettungsbootes herum. Es ist eine Krähe, die gierig die kleinen Katzenfutterbrocken aufpickt, die Prochazka ihr zugeworfen hat. Mit einem Gefährten schaut der Vogel regelmäßig zum Frühstück vorbei, oft auch mittags und zur Abendbrotzeit. Zum ersten Mal tauchte er vor zwei Jahren auf. Der Fährmann war gerade beim Abkassieren und hatte seine Butterbrote auf dem Oberdeck liegenlassen. Als er zurückkam, hatte sich Max mit seiner Beute bereits davongemacht. Seitdem bekommt er Katzenfutter, damit Prochazka auch selber etwas zu beißen hat.
20 Minuten Frühstückspause, dann geht’s weiter. Es ist der letzte Tag seiner Schicht. Am Samstag ist der Kollege dran. „Da sollen 30 Grad werden“, sagt Prochazka und deutet verschmitzt auf die Boote einer nahen Marina. „Die sind dann alle draußen. Aber ich“, sagt er vergnügt, „werde irgendwo angeln.“
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