Schubert legt Kompromisspapier vor: Neben Garnisonkirchturm soll Jugendbegegnungsstätte entstehen
Oberbürgermeister Schubert hat einen weitreichenden Kompromissvorschlag zum Garnisonkirchen-Projekt vorgelegt. Die Stadt will sich mehr einbringen.
Potsdam - Auf dem Grundstück des früheren Kirchenschiffs der Garnisonkirche soll eine internationale Jugendbegegnungsstätte für Bildung und Demokratie errichtet werden. Das ist ein zentraler Punkt des Kompromissvorschlags von Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) zum künftigen Umgang der Stadt Potsdam mit dem umstrittenen Wiederaufbau der Garnisonkirche. Ein reines Kirchenschiff wäre damit unmöglich, auch der Abriss des Kunsthauses Rechenzentrum, für das bis 2023 Ersatz an anderer Stelle entstehen soll, wäre damit vermutlich besiegelt. Die Architektur der besagten Begegnungsstätte „soll dabei kein rein historischer Nachbau werden, sondern den Anforderungen des Nutzungszwecks folgen“, heißt es in der Beschlussvorlage, über den die Stadtverordneten bis zum 4. November beraten sollen.
Schubert lässt Sitz im Kuratorium ruhen
Ende November tagt das Kuratorium der Stiftung Garnisonkirche, in dem Schubert den Sitz der Stadt derzeit bekanntlich ruhen lässt, auch wegen vergangener, teils widersprüchlicher Beschlüsse des Stadtparlaments zum Umgang mit dem Bau. Diese sollen nun in einen Kompromiss münden, den möglichst eine breite Mehrheit im Stadtparlament tragen soll, so Schuberts Kalkül. Demnach will er künftig wieder an den Sitzungen im Kuratorium teilnehmen. Sein Stellvertreter soll der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung, Pete Heuer (SPD), werden – bisher gab es keine solche Regelung. Die Vertreter der Stadt sollen auch an einer Ausstellung im Kirchturm mitwirken, die „die Geschichte des Ortes vollumfänglich darstellt“. Zudem soll die Stadt Vertreter für die Mitarbeit im Fachbeirat für Ausstellungen und im wissenschaftlichen Beirat der Stiftung Garnisonkirche benennen. Ferner will man die Jugend- und Bildungsarbeit als Zweck in der Satzung der Stiftung Garnisonkirche verankern. Entsprechende Gespräche will Schubert führen.
Andere Städte setzten sich mit ihrer Vergangenheit auseinander
Bekanntlich wird am Wiederaufbau des Turms seit zwei Jahren gearbeitet, gefördert unter anderem mit bis zu 18 Millionen Euro vom Bund. Seit Jahren wird über den Bau gestritten: Kritiker argumentieren vor allem mit der Militärgeschichte und der Nutzung der Kirche für NS-Propaganda. Befürworter verweisen etwa auf die Bedeutung für das Stadtbild. Schubert begründete seinen Vorschlag mit dem Vorbild anderer Städte, in denen bestimmte Bauten „starke Bezüge zum nationalsozialistischen Regime“ hätten – etwa in Nürnberg, München, Köln oder Berchtesgaden. „In allen diesen Städten wird eine aktive Auseinandersetzung in Mitverantwortung der Stadt geführt“, heißt es in dem Vorschlag Schuberts. Die Stadt sei dort jeweils Betreiber oder Mitbetreiber von Zentren, „in denen eine Dokumentation, Auseinandersetzung und Schulung“ – gerade für Lehrer und Schüler – „ermöglicht wird“. Das könne auch eine Perspektive für Potsdam sein.
Begegnungen für junge Menschen
Als konkretes Beispiel wird in Schuberts Kompromisspapier die Stiftung Europäische Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar (EJBW) genannt. Dort hätten das Land Thüringen und die Stadt Weimar einen Ort der internationalen Jugendarbeit geschaffen, „der für Potsdam Vorbildcharakter haben kann“. Es gehe dort um Begegnungen für „junge Menschen, Multiplikatoren und Fachkräfte aus dem In- und Ausland“ und die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragestellungen und „einer Reflexion über den historischen Ort“. Die Leitfrage der pädagogischen Arbeit sei: „Was stärkt und was gefährdet Demokratie?“ Schubert spannt die Idee des Lernorts an der Garnisonkirche noch weiter. So sei die Stadtgeschichte Potsdams zur NS-Zeit noch nicht ausreichend aufgearbeitet. Daher trage auch das Rathaus eine Verantwortung zur Beförderung „einer breit angelegten Auseinandersetzung“ mit diesem Teil der Historie. Zugleich müsse man „unumkehrbare inhaltliche Brüche mit der Geschichte der Kirche“ erreichen, so der Plan. Dies könne die neue Nutzungsperspektive erreichen, so Schubert. Und: „Die angestrebte Nutzung als Bildungsstätte in Verbindung mit dem barocken Turm soll dazu führen, dass die wiedererstehende Garnisonkirche ein integraler Bestandteil im städtischen Gefüge wird.“ Die Idee stellte Schubert am Dienstagabend den Fraktionsvorsitzenden im Stadtparlament vor. In einer ersten Reaktion sprach etwa Gert Zöller (Grüne) gegenüber den PNN „von einem mutigen Vorschlag, um den Konflikt zu befrieden“. CDU-Fraktionschef Clemens Viehrig sagte, ihn freue das Bekenntnis zum Wiederaufbau des Turms. Die weitere Debatte zu der Begegnungsstätte werde man mit allen Beteiligten führen. Noch am Dienstagvormittag hatten Kritiker des Wiederaufbaus eine eigene Informationsplattform angekündigt. Die Universität Kassel und die Martin-Niemöller-Stiftung wollen mit der Kunsthochschule Berlin-Weißensee bis März 2020 ein Internet-Informationsportal und einen analogen Informationsort schaffen, teilte der Architekturexperte Philipp Oswalt mit. Als Standort sei das Rechenzentrum an der Garnisonkirche angefragt. Man wolle die „problematischen Seiten“ der Kirchen- und Wiederaufbaugeschichte auf fundierterer Basis als bisher darstellen, hieß es. So wirft Oswalt der Stiftung vor, die Geschichte der Kirche zu beschönigen. Mehrere Wissenschaftler hätten ihre Mitarbeit zugesagt, hieß es.
Da das Projekt zunächst keine Zuwendungen von Staat oder Kirche erhalte, sei eine Finanzierung über Spenden geplant. Oswalt war auch ein Initiator eines offenen Brief für eine stärkere Abgrenzung des Wiederaufbauprojekts gegen rechte Tendenzen. Dieses Papier sei inzwischen von mehr als 1000 Menschen unterzeichnet worden, so Oswalt. Darunter sind die Präsidentin der Berliner Akademie der Künste, Jeanine Meerapfel, der Vorsitzende des Zentralrates der Sinti und Roma, Romani Rose, und der Generalintendant des Deutschen Nationaltheaters Weimar, Hasko Weber. Zugleich kündigte Oswalt ein Gespräch mit der Stiftung Garnisonkirche für Ende September an. Die Garnisonkirche wurde 1945 weitgehend zerbombt, die Ruine 1968 in der DDR abgerissen. Der Wiederaufbau ist umstritten. Zuletzt hatte es eine neue Kontroverse gegeben, weil ein 1991 der Stadt Potsdam geschenktes Glockenspiel für die Kirche nicht mehr läuten soll – Oberbürgermeister Schubert und die Wiederaufbauaktivisten wollen wegen mutmaßlicher rechtsradikaler und militaristischer Widmungen an den Glocken deren Entstehung untersuchen und dann den Umgang mit dem Ort debattieren.