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Familie Franke/Lemke aus Neu Fahrland darf nach 6 Wochen in Quarantäne wieder die Wohnung verlassen.
© Andreas Klaer

Coronaquarantäne in Potsdam: Nach sechs Wochen wieder frei

Das Potsdamer Gesundheitsamt hebt die Langzeitquarantäne für eine fünfköpfige Familie auf. Doch es gibt noch mehr Betroffene in der Stadt, die unter der häuslichen Isolierung leiden.

Ramona Franke, Krankenschwester im "Ernst von Bergmann"-Klinikum, war am Montagnachmittag fast außer sich vor Freude: Am Samstag hatten die PNN darüber berichtet, dass sie mit ihrem Lebensgefährten Thomas Lemke und drei Kindern im Alter von zwei bis acht Jahren seit fünf Wochen und sechs Tagen unter Quarantäne steht - und dass die Familie es kaum noch aushalten kann, ihre Wohnung in der dritten Etage eines Mehrfamilienhauses in Neu Fahrland nicht verlassen zu dürfen. Ramona Franke hatte sich Ende März während der Arbeit mit dem Coronavirus infiziert.

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Am Montag dann überschlugen sich die guten Nachrichten für die 38 Jahre alte Frau. Um 8.53 Uhr ein Anruf aus dem Bergmann-Klinikum: Beide Abstriche, die dort am Sonntag zum wiederholten Male in Rachen und Nase genommen worden waren, seien negativ. Es war das erste Mal seit Wochen, dass kein Test mehr positiv war, bis dahin hatten die Abstriche abwechselnd mal ein positives und mal ein negatives Ergebnis gebracht und jedesmal neu zu einer Verlängerung der Quarantäne geführt – ohne absehbares Ende. 

Quarantäne aufgehoben. Ramona Franke und Thomas Lemke könne mit ihren Kindern wieder raus.
Quarantäne aufgehoben. Ramona Franke und Thomas Lemke könne mit ihren Kindern wieder raus.
© Andreas Klaer

Um 9.02 Uhr rief ein Mitarbeiter des Gesundheitsamts an. Er teilte sozusagen offiziell mit, dass kein Coronaverdacht mehr bestehe. Um 14.25 Uhr dann die erlösende Botschaft aus dem Gesundheitsamt, die auf die Familie wie ein Donnerschlag wirkte: die häusliche Quarantäne werde im Rahmen einer Einzelfallentscheidung des Amts ab Dienstag nicht nur für Ramona Franke, sondern auch für ihren 40-jährigen Partner und die Kinder aufgehoben, ein acht Jahre altes Mädchen und zwei Jungen im Alter von zwei und fünf Jahren.

Bislang rigide Auslegung der RKI-Empfehlungen

„Ich kann es kaum fassen”, sagte Ramona Franke eine halbe Stunde später den PNN. Die Krankenschwester hatte befürchtet, „dass nun erst, nachdem ich zweimal negativ getestet wurde, die 14-tägige Quarantäne für meinen Partner und meine Kinder beginnt, so wurde in Potsdam bisher ja verfahren”. Tatsächlich hat das örtliche Gesundheitsamt die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts bisher rigide ausgelegt - um einen neuen Coronaausbruch wie im Bergmann-Klinikum zu verhindern. Der Stadt sei „bewusst”, dass es „in vereinzelten Fällen zu einer Quarantänedauer von mehreren Wochen kommen kann”, antwortete die Pressestelle des Rathauses am 29. April auf eine Anfrage der PNN, „wegen des Ausbruchsgeschehens in Potsdam sowie der Sondersituation als Hotspot des Landes Brandenburg” setze die Stadt die Regelungen des RKI „derart streng um”.

Brandbrief an das Robert-Koch-Institut

Die Strenge war vielleicht ein bisschen überhart. Das Gesundheitsamt klagte schon am 25. April in einer internen Mail an das RKI über den „zunehmenden Unmut in der Bevölkerung”. Es war ein Brandbrief, der da von Potsdam durchs Netz nach Berlin sauste, er klang wie ein Ruf nach Hilfe in großer Not. Geradezu irritiert zeigten sich Stadtbedienstete darüber, dass bis Montag, nach 16 Tagen, noch immer keine Antwort des RKI auf den Hilferuf eingegangen war. Ebenso blieb eine Anfrage der PNN an das RKI zum selben Thema unbeantwortet. Dem Brandenburger Gesundheitsministerium ist die Lage bekannt. Es habe „beim RKI mehrfach angefragt”, ob es dessen Empfehlung „ändern” könne, Kontaktpersonen erst in Quarantäne zu setzen, nachdem zwei Abstriche eines Infizierten negativ seien – und so die sogenannte Ketten-Quarantäne auszulösen. „Bislang hat sich das RKI hierzu noch nicht geäußert”, so Sprecher Gabriel Hesse.
Dennoch könnte es sein, dass die harte Linie des Gesundheitsamts durch die Einzelfallentscheidung zugunsten der Krankenschwester Ramona Franke etwas aufgeweicht wird. Immerhin war es die erste dieser Art.

Weiterer Fall von Langzeit-Quarantäne

Es gibt noch mehr Potsdamer, die unter den Quarantäneregeln leiden. Ulrike Franke, eine 43 Jahre alte Ergotherapeutin im Bergmann-Klinikum, und ihr ein Jahr älterer Ehemann Rico, der Krankenpfleger im Evangelischen Zentrum für Altersmedizin ist, haben nach Ostern erstmals Symptome einer Coronainfektion gespürt. Für sie und ihre neun, zehn und 13 Jahre alten Jungen ordnete das Gesundheitsamt am 16. April Quarantäne an, seither müssen sie das Leben in ihrer 85-Quadratmeter-Wohnung ohne Balkon in Potsdam-West ertragen. Für Rico Franke wurde die Quarantäne nach zwei negativen Laborbefunden inzwischen aufgehoben, seiner Frau geht es wie ihrer Namensvetterin Ramona Franke aus Neu Fahrland: „Bei einem Abstrich wird etwas gefunden, beim nächsten wieder nicht.” So verlängere sich die Quarantäne „weiter und weiter”.

Was die Eltern sorge, sagt Rico Franke, sei vor allem, was ihren Kindern möglicherweise noch bevorstehe. Denn erst, wenn seine Frau zweimal ohne negatives Ergebnis getestet worden sei, beginne die 14-tägige Quarantäne für die Kinder – die dann mindestens sechs Wochen isoliert sein würden. Der Familienvater kann nicht nachvollziehen, warum dann nicht sofort ein Abstrich bei seinen Söhne genommen werden könne, um sie bei negativem Ergebnis von der Quarantäne zu verschonen. „Da stößt uns das Vorgehen in der Bundesliga auf, da werden so viele Menschen ständig getestet, auch Familien der Spieler und die großen Stäbe der Betreuer”, sagt Franke, „aber es soll keine Möglichkeit geben, unsere Kinder mal abstreichen zu lassen, wenn meine Frau freigegeben worden ist, nur weil man es für möglich hält, dass die Kinder sich am letzten Tag noch anstecken könnten?” 

Kein Ansprechpartner bei den Behörden

Außerdem belastet die Frankes ihre materielle Zukunft. „Den Verdienstausfall während der Quarantäne zahlt der Arbeitgeber, der sich das Geld vom Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheit und Verbraucherschutz holt”, sagt Rico Franke. Er habe versucht, dort zu erfahren, wer für den Verdienstausfall aufkomme, wenn ein Elternteil in der darauffolgenden Quarantäne die Kinder betreue. 

Das Ergebnis: Kein Ansprechpartner im Amt, nur eine pauschale Mailadresse, auf eine schriftliche Anfrage sei er einfach „abgebügelt” worden. Anruf bei einer Hotline. Dort das Versprechen, der Fall werde an die Justizabteilung weitergegeben. Keine weitere Regung. Anruf bei einem Dezernatsleiter. Der sei, sagt die Sekretärin, „den ganzen Tag in Gesprächen”.

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