Potsdam: Mit Matt auf der Flucht
Wilde Hollywood-Verfolgungsjagd durch die Gregor-Mendel-Straße – gestern war Potsdam Schauplatz für den Film „The Bourne Supremacy“
Wilde Hollywood-Verfolgungsjagd durch die Gregor-Mendel-Straße – gestern war Potsdam Schauplatz für den Film „The Bourne Supremacy“ Von Sabine Schicketanz Die Frau mit dem Fahrrad, hinten im Korb die Einkäufe, guckt ungläubig. Gleich soll Matt Damon, der junge Mann, den sie sonst nur im Kino sehen kann, vor ihren Augen aus einem Auto aussteigen? In der Straße, in der sie wohnt? „Das ist doch ein Witz“, sagt sie. Aber es ist kein Witz. Das merkt die Potsdamerin spätestens, als ein futuristisches Gefährt die Gregor-Mendel-Straße herunterrast, so schnell, dass der Mann mit der Aktentasche, der ebenfalls hinter der Absperrung wartet, respektvoll beiseite springt. Direkt vor dem rot-weiß gestreiften Baustellenzaun kommt das Fahrzeug zum Stehen. Vorn, in dem einer Raketenkapsel ähnlichen Konstrukt, sitzt ein Mann mit Helm auf dem Kopf. Hinter ihm, auf einer großen Plattform, befinden sich der Kameramann und seine Assistenten. Und ganz hinten, im Fragment eines gelben Taxis, sitzt tatsächlich Matt Damon am Steuer. Ihm wird die Tür geöffnet, er steigt aus und wirkt ziemlich durchgeschüttelt. Es ist wohl kein Vergnügen, mit mindestens achtzig Sachen die schlaglochgespickte Gregor-Mendel-Straße hoch und runter zu brettern. Zumindest nicht mehrmals am Tag. Doch als der Schauspieler seinen Namen hört – Matt, Matt – dreht er sich um. „Hi!“, ruft er, winkt den Zaungästen und lächelt. Im Weggehen legt ein Assistent ihm ein kleines, schwarzes Polster in den Nacken. Wozu? Wohl weil Matt Damon sich in den nächsten Wochen in seinem Taxi des Öfteren durchschütteln lassen müssen wird. Er ist der Hauptdarsteller des Hollywood-Films „The Bourne Supremacy“, der Fortsetzung von „The Bourne Identity“. Damon spielt den Agenten Jason Bourne, der außer Kontrolle geraten ist – zumindest aus Sicht der Chefs des Geheimdienstes CIA. Per implantiertem Computerchip hatten sie Jason Bourne zum Auftragskiller mit übermenschlichen Kräften ausgebildet. Doch der Chip kommt abhanden, Bourne vergisst, wer er ist – und wird deswegen von den CIA-Agenten gejagt. Erst am Mittwoch hatte Matt Damon in Berlin seinen ersten Drehtag für den zweiten Teil der „Bourne“-Trilogie. Während dort der Tiergarten-Tunnel als Rennstrecke für die Autoverfolgungsjagd in Moskau herhalten musste, ist es in Potsdam die ansonsten eher ruhige Gregor-Mendel-Straße. Auch sie wird im späteren Film in der russischen Hauptstadt liegen, das ist schnell zu erkennen. Auf der Straße stehen zwei angeschmuddelte, weiße Polizei-Ladas mit Moskauer Kennzeichen, die dem Geruch nach sogar mit „Russensprit“ betankt werden. Sie müssen, das Blaulicht angeschaltet, das Taxi mit Matt Damon verfolgen. Dass an diesem Tag der Nebel selbst die Gregor-Mendel-Straße in graue Tristesse versetzt, mag den Filmemachern ganz recht sein. So sieht es, stellt man sich zumindest vor, in Moskau sicher oft aus. Am Steuer der zwei Polizeiautos sitzen Männer in russischer Polizeiuniform, dicke Pelzmützen auf dem Kopf. Wer genau hinschaut, erkennt sie wieder. Es sind die Männer der Stuntcrew des Babelsberger Filmparks. Stunt Coordinator vor Ort ist ihr Chef, Christoph Genesis. Er hat in den vergangenen Tagen ganze Arbeit geleistet: Mit sechzig Stundenkilometern ist er mit dem Auto gegen die Tiergarten-Tunnel-Wand gekracht, in voller Absicht natürlich. Prellungen, blaue Flecken und Kopfschmerzen gehören zu seinem Job dazu. Doch die Stuntmänner sind nicht die einzigen, die am Filmset Deutsch sprechen – achtzig Prozent der Crew sind Deutsche, die Amerikaner um Regisseur Paul Greengrass und die Produzenten Frank Marshall und Pat Crowley haben nur ihre wichtigsten Leute aus Hollywood mitgebracht. Die anderen hat das Studio Babelsberg engagiert, das den kompletten Produktionsservice für den Film, der rund 60 Millionen Dollar kosten soll, übernommen hat. Mindestens eine Viertelstunde haben die Filmemacher jetzt daran gearbeitet, die drei Autos für ihre nächste Verfolgungsfahrt vorzubereiten – denn noch ist die Szene offensichtlich nicht im Kasten. Matt Damon ist eingestiegen, die Tür des Taxis zu, das Blaulicht auf den Dächern der Ladas flackert. „Go, go, go“, ruft ein Mann und hebt seinen Arm wie beim Formel 1-Start. Mit einem Dröhnen startet das Taxi-Vehikel, mit einem Knattern die Polizeiautos. Als das Taxi mit Matt Damon, dicht gefolgt von den Ladas, die Anhöhe der Gregor-Mendel-Straße fast erreicht hat, kommen ihm von oben drei Autos entgegen. Ihre Scheinwerfer leuchten bis zur Jägerallee hinunter, sie müssen dem Verfolgten und seinen Verfolgern in scheinbar riskanten Manövern und einer kurzen Fahrt über den Bürgersteig ausweichen. Während sie den Berg hinunterrollen, sind Taxi und Polizei um die Kurve verschwunden. Erst Minuten später krächzt es ein „Achtung, Achtung, alles freihalten“ aus den Funkgeräten der Aufpasser. Das Vehikel mit der Kamera-Plattform taucht oben auf der Anhöhe auf, rast hinunter, kommt direkt vor der Absperrung zum Stehen. Matt Damon hat die nächste Durchschüttel-Runde hinter sich gebracht. Als es langsam dämmert, packen die Filmleute zusammen – und ziehen in die Hegelallee um. Während sich auf der asphaltierten Straße der Feierabendverkehr staut, laufen auf dem Parkstreifen vor dem Einstein-Gymnasium die Kameras. Hier sammeln sich wesentlich mehr Zuschauer an den Absperrungen als in der Gregor-Mendel-Straße. Dass in dem gelben Taxi, das sie dort sehen, ein Hollywood-Star sitzt, wollen viele der Neugierigen trotzdem nicht glauben: „Das ist doch ein Witz.“ Die Frau mit dem Fahrrad weiß es inzwischen besser.
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