Katarina Witt beim Einheitstalk: „Man hätte den Menschen viel mehr vertrauen müssen”
Rund 100 Besucher kamen zum Einheitstalk mit Katarina Witt an die Garnisonkirchenbaustelle. Der Ex-Eiskunstlaufstar sprach über die Unterschiede in Ost und West.
Potsdam - Sie war immer ein großer Star – und musste sich auch am Samstag auf der kleinen Bühne an der Baustelle der Garnisonkirche dafür nicht anstrengen: Rund 100 Zuhörer waren gekommen, um Katarina Witt beim Einheitstalk zuzuhören. Akribisch vorbereitet interviewte Pastorin Cornelia Radeke-Engst neben dem Eiskunstlaufstar auch den Potsdamer Historiker Thomas Wernicke und Mitteschön-Sprecherin Barbara Kuster als Zeitzeugen der Einheit.
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Ehrliche Bilanz des DDR-Lebens
Geduldig und bescheiden lächelnd hörte die Eiskunstläuferin zu, als die Seelsorgerin die Eckdaten der Biografie herunterbetete: zweifache Olympiasiegerin, viermalige Weltmeisterin, sechsfache Europameisterin, achtmalige DDR-Meisterin im Eiskunstlauf, Schauspielerin, Buchautorin, Betreiberin eines Fitnessklubs in Potsdam. Ihre Zuhörer zieht Witt auch am 30. Jahrestag der Einheit in ihren Bann, weil sie bei der Bilanz ihres DDR-Lebens sehr offen ist: ehrlich und selbstkritisch, Fehler benennend, die der Staat mit seiner (in anderem Sinne) Einheitspartei gemacht habe. Auch wenn sie am Tag des Mauerfalls zu Dreharbeiten ins spanische Sevilla gereist war, habe sie doch „mitbekommen, dass viele unzufrieden und ausgereist sind”, erzählt Witt.
Im Hotel die Bilder vom Mauerfall gesehen
Sie habe die Demonstranten der Bürgerbewegung jener Zeit „bewundert”: „Ich hab' gedacht, das muss doch die DDR aufrütteln.” Die Crew sei am 9. November in der Nacht am Set gewesen, als der Produzent, ein ehemaliger Dresdner, ihr um 3 Uhr früh berichtet habe, dass die Mauer gefallen sei. Um 6 Uhr habe sie in ihrem Hotelzimmer die Bilder der Nacht aus Deutschland gesehen und gedacht: „Unglaublich! Was ist da passiert? Wie soll das weitergehen?” Sie sei viel in der Welt unterwegs gewesen, aber immer gern in die DDR zurückgekehrt. Es habe „immer eine Wohnung gegeben, die bezahlbar ist” und die Sicherheit, dass ihre Eltern „immer einen Job haben” würden. „Wir haben uns eingerichtet” in der DDR, sagte Witt.
Es hieß nur "Schule, Sport, Schlafen"
Für die Athleten sei die größte Motivation nicht gewesen, reich zu werden, sondern „der Beste zu sein in seiner Sportart und die Nase ein bisschen nach draußen zu stecken, nicht erst, wenn man Rentner ist”. Sie sei im Alter von 13 Jahren erstmals zu einem Wettkampf ins „nicht-sozialistische Ausland”, wie es einst hieß, gereist, nach Wien. Sie habe die Einkaufsstraßen bewundert, zumal sie daheim nur auf den Sport fixiert gewesen sei „Schule, Sport, Schlafen oder Sport, Sport, Schlafen.” Sie habe sich „gewünscht, dass die Menschen reisen dürfen”. Es sei „einer der größten Fehler” der DDR gewesen zu befürchten, „sie würden alle gehen”. Für Katarina Witt ist klar: „Man hätte den Menschen viel mehr vertrauen müssen.” Für sie sei es immer „ganz selbstverständlich” gewesen, zurückzukehren”.
DDR unterstützte Freizeitsport nicht
Dann hält die Weltmeisterin eine sehr differenzierte Rückschau auf die Sportförderung im Staat der Arbeiter, Bauern und Spitzensportler. Der Freizeitsport sei „nicht wirklich unterstützt” worden, wer nicht Leistungssportler geworden sei, „wurde aussortiert”. Sie habe im Alter von sechs Jahren mit 100 jungen Sportlern angefangen, „und am Ende blieb ich übrig”. Es sei ein klares Ziel gewesen, nur Sportler zu unterstützen, „die ganz oben ankommen”. Das System der Sportförderung in der DDR sei „ein kapitalistisches System” gewesen, in dem es nur um Leistung gegangen sei „und nicht, wie man es sonst aus dem Sozialismus kennt: Alle sind gleich, alle haben die gleichen Möglichkeiten”. Der Sport sei „politisch eingesetzt worden, um der Welt zu zeigen: Wir sind das bessere System.” Die Sportler hätten sich weniger Fehler erlauben dürfen, „weil man uns weniger zugetraut hat: Ah, die kommen aus der DDR, die sind hinterm Vorhang, und da ist eh alles grau”, habe es bei internationalen Wettkämpfen geheißen.
DDR-Sportler vertraten "stolz unser Land"
„Deswegen”, erzählte Witt, „waren unsere Kleider oft viel farbenfreudiger als die aus dem Westen”. Das wirke „bis heute nach”. Aber es sei auch bekannt gewesen, dass etwa die Mutter einer West-Sportlerin mehrere Jobs machen musste, um den Sport ihrer Tochter finanzieren zu können. Die DDR-Sportler hätten „stolz unser Land vertreten”, auch, „weil wir wussten, dass der Staat uns fördert und die Bevölkerung das bezahlt”. Sie hätten „der großen, weiten Welt gezeigt, dass in unserem Land viel möglich ist”. Witt sprach davon, dass sie 1988, noch vor der Wende, zu einer ungewöhnlichen Profikarriere in die USA ausreisen durfte: „Vielleicht hatte ich Glück, dass die Zeit so weit war.” Der DDR-Eiskunstläuferin Gaby Seyfert sei dies in den 1960-er Jahren nicht erlaubt worden. Das Land sei wohl „noch zu jung gewesen, ich find's im Nachhinein traurig.”
Positive Einheitsbilanz
Ihre Bilanz der Einheit klingt positiv. Sie glaube, so Witt, „dass die Menschen untereinander schon alle angekommen sind”, es gebe Freundschaften und Zusammenarbeit. Seit zwei, drei Jahren „beginnt man auf westlicher Seite, sich unsere Biografien anzuhören”. Als Pastorin Radeke-Engst ihren Gast fragt, ob sich die Probleme der Einheit in Potsdam verdichteten, erkennt Katarina Witt sogleich, dass es Themen gibt, bei denen man leichter ausrutschen kann als auf Eis. Sie weicht aus – ebenso wie bei der Frage nach ihrer Position zum Streit um die Garnisonkirche. Fast seelsorgerisch appelliert sie, nicht zu polarisieren.
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