PNN-Serie: Wir im Staudenhof: "Man hat seine Ruhe"
Über die Zukunft des Wohnblocks Staudenhof diskutiert Potsdam seit Jahren. Doch wer lebt dort eigentlich? Wir stellen zehn Bewohner vor. Heute: Zu Gast bei Ali.
Potsdam - Auf seinen Arbeitsplatz ist Ali besonders stolz. Bei „Redo XXL“ steht fast täglich in der Küche, ein Lokal mit extra großen Portionen unweit des Nauener Tors in der Potsdamer Innenstadt. In seiner Wohnung im Staudenhof hängt ein Foto, auf dem er mit dunklem Kochhemd und Schürze zu sehen ist, mit einer Hand auf der Edelstahlarbeitsfläche blickt er lächelnd in die Kamera. „Das ist meine Küche“, sagt der 27-Jährige.
Vier Jahre ist es mittlerweile her, dass Ali aus Pakistan nach Deutschland kam. Erst war er in einer Gemeischaftsunterkunft in Groß Glienicke untergebracht, dann konnte er nach in den Staudenhof ziehen. Seit 2014 wird hier in 30 Wohnungen eine Art dezentrale Flüchtlingsunterkunft betrieben. In eine solche Wohnung kam Ali. Weil er Geld verdient, muss er zwar Miete zahlen – aber er fühlt sich hier viel wohler: „Hier ist es viel besser als im Heim. Man hat seine Ruhe.“
Wobei Ruhe relativ ist, denn Ali teilt sich die kleine 30-Quadratmeter-Wohnung mit einem weiteren Flüchtling. Auch er ist aus Pakistan, Ali und er kamen gleichzeitig nach Deutschland. Jetzt teilen sie sich nicht nur die Wohnung, sondern haben auch den gleichen Arbeitgeber. Ali arbeitet bei Redo in der Küche, sein Kumpel als Kellner.
Ali klopft Schweineschnitzel - als Muslim
Was er so kocht? „Schnitzel, Burger, Salate“, zählt er auf. Ersteres kannte er aus Pakistan gar nicht, und zumindest Schweineschnitzel, was es in Deutschland ja meistens ist, darf er auch gar nicht essen: Ali ist Muslim. Ist es nicht seltsam, etwa zuzubereiten, das man nie probiert? „Das ist kein Problem für mich“, sagt er. Kalbs- und Hähnchenschnitzel hat er schon gegessen, das schmeckt ihm gut. „Und Gulasch. Das koche ich manchmal auch zu Hause.“
Auch pakistanische Speisen bereitet Ali in seiner kleinen Küche zu Hause zu, „so ähnlich wie indisch“, versucht er zu beschreiben. „Und sehr scharf.“ Bei den Rezepten braucht er ab und zu Hilfe aus der Heimat: „Manchmal frage ich meine Mama dann, wie ich etwas machen muss“, sagt er. Ali wird wehmütig, seine komplette Familie hat er in Pakistan zurückgelassen. Er vermisst sie sehr, vor allem die Mutter. Doch eine Rückkehr ist für ihn ausgeschlossen: „Zu gefährlich.“
Ali liebte das falsche Mädchen - und musste fliehen
Er habe ein Mädchen geliebt, erzählt er zögernd. „Ein sehr schönes Mädchen.“ Doch ihre Familie war gegen ihn, die Brüder bedrohten Ali massiv. Als er daraufhin zur Polizei ging, fingen die Probleme erst richtig an. Die Brüder nutzten ihre Verbindungen in die Politik und machten ihm das Leben schwer. „Ich musste da weg“, sagt Ali. Was aus dem Mädchen geworden ist, weiß er nicht. Ein Handy habe sie nicht, Smartphones seien vielen jungen Frauen in Pakistan verboten. Ali schüttelt den Kopf, als er das erzählt. „Ich verstehe nicht, warum das so ist.“
Seine Zukunft sieht er jetzt in Deutschland, in Potsdam. Er will weiter in der Küche arbeiten, hat einen unbefristeten Vertrag. Nur eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung nicht, alle paar Monate muss er sie auf dem Amt verlängern.
Schon seit Februar 2017 arbeitet er bei „Redo XXL“, stolz zeigt er auch die Fotos von den Weihnachtsfeiern: Ali mit seinem pakistanischen Kumpel, Ali mit zwei anderen Kollegen, Ali mit Redo. Weitere Bilder zeigen ihn vor dem Brandenburger Tor und in einem Einkaufszentrum, auch ein Bild aus der Heimat ist dabei: Ali im traditionellen orientalischen Gewand. „Hier trage ich das kaum“, sagt er.
Überhaupt nimmt er es mit den Traditionen nicht mehr so genau, mit seinem Leben in Deutschland ist vieles nicht gut vereinbar. „Wenn ich freitags Frühschicht habe, kann ich nicht zur Moschee gehen“, erklärt er. Und der Ramadan, der bald beginnt und bei dem Muslime eigentlich tagsüber nichts essen und trinken dürfen, ist in der heißen Küche ohne Wasser auch nicht auszuhalten.
Ali will aus dem Staudenhof ausziehen
Dass der Staudenhof abgerissen werden soll, hat er gehört. Eine Meinung hat Ali dazu nicht, womöglich reicht auch sein Sprachverständnis noch nicht, um die komplexen Konflikte rund um den DDR-Wohnblock zu verstehen. Aber seit er davon gehört hat, sucht er nach einer anderen Wohnung. Auch, weil er gern alleine leben würde oder zumindest ein eigenes Zimmer hätte. Vor allem wenn er und sein Freund unterschiedliche Schichten haben, kommen sie sich in die Quere. „Wenn mein Kumpel von der Spätschicht kommt und sich was zu essen macht, will ich manchmal schon schlafen, weil ich morgens früh aufstehen muss.“ Es ist nicht schwer, sich das Konfliktpotenzial auf so engem Raum vorzustellen.
Die Betten der beiden jungen Männer stehen jeweils an den kurzen Enden des rechteckigen Raumes, Alis Kumpel schläft auf der unteren Etage des Stockbettes am Fenster. Die obere ist leer – und dient den beiden als Wäscheständer. Ein paar Regale, ein alter Fernseher, ein Tisch und zwei Stühle, viel mehr passt in das Zimmer nicht hinein. Ali will sich nicht beschweren. Aber klar ist auch: „Eine private Wohnung wäre etwas anderes.“
HINTERGRUND
Der Wohnblock mit der Adresse Am Alten Markt 10 wurde 1971 bezogen. Benannt ist er nach der gleichnamigen, bereits abgerissenen Grünfläche.
182 Wohnungen gibt es in dem Wohnblock, die meisten haben ein Zimmer und sind genau 30,25 Quadratmeter groß. Nur einige wenige an der nordwestlichen Gebäudeecke haben vier Zimmer und rund 100 Quadratmeter - wie jene von Ludmila und ihrer Familie. 30 Wohnungen werden außerdem als Flüchtlingsunterkunft genutzt, der sogenannte Wohnungsverbund wurde 2014 gestartet.
Wie es mit dem lange unsaniertem Bau weitergeht, ist noch nicht entschieden. Die Eigentümerin, die kommunale Pro Potsdam, favorisiert einen Abriss. Auch viele Stadtpolitiker sind gegen Erhalt und Sanierung.
Die nächste Folge der Serie erscheint am Donnerstag. Dann stellen wir den Bewohner Thomas vor. Wenn Sie keine Folge verpassen wollen, lesen Sie bis zu 30 Tage gratis zur Probe.