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Auf der Straße gelandet. In den Jahren 2013/2014 nahm die Zahl der Obdachlosen in Potsdam zu. Seitdem hat sich die Situation nach Ansicht von Sozialarbeitern stabilisiert. Verlässliche Zahlen gibt es aber nicht.
© A. Klaer

Obdachlosigkeit in Potsdam: Lebensmittelpunkt Straße

Schätzungsweise 50 Obdachlose gibt es in der Landeshauptstadt Potsdam. Die Stadt bereitet schon jetzt die Winterhilfe für sie vor.

Potsdam - Olga schläft im Park. Nacht für Nacht. Die Rumänin sitzt vor der Peter-und-Paul-Kirche am Bassinplatz und hält einen leeren Pappbecher vor sich, in der Hoffnung, dass der ein oder andere ein paar Cent hineinwirft. Acht bis zwölf Euro kämen so am Tag zusammen. Die versucht die geschätzt 50-Jährige zu sparen, für den Bus zurück in die Heimat. „In Rumänien gibt es keine Arbeit, kein Geld, aber hier ist es auch schwierig“, erzählt sie in gebrochenem Französisch. Deshalb wolle sie wieder heim zu ihren vier Kindern, bevor es kälter wird.

René Schiweck und Johanna Lütkehölter, Sozialarbeiter für das Streetwork-Projekt des Sozialträgers Creso, kennen viele „Menschen mit Lebensmittelpunkt Straße“, wie die beiden sie nennen. Viele von ihnen sind wohnungslos. Manche kommen ab und zu bei Bekannten unter, andere schlafen auf Bänken oder in Parks. Die Creso-Mitarbeiter sind viel unterwegs – in der Innenstadt, am Bahnhof – und sprechen mit den Leuten, beraten sie zu möglichen Hilfsangeboten. Dazu gehört etwa die Suppenküche, wo es neben Essen auch Kleidung und eine warme Dusche gibt, oder die ärztliche Versorgung im Bergmann-Klinikum, das sich für die medizinische Versorgung von Obdachlosen engagiert. In der Notaufnahme, das bestätigte eine Kliniksprecherin, werden Bedürftige auch ohne Krankenversicherung behandelt.

Ob es mehr Obdachlose als früher gibt, ist schwer zu sagen

Ob der Mann, der auf der langen Brücke sitzt, eingemummelt in eine Jacke, diese Angebote wahrnimmt, ist nicht herauszubekommen. Denn er kann kein Deutsch, Englisch oder Französisch. Die Frage nach seinem Namen versteht er nicht, aber dass er im Park schläft, kann er sagen. Er zieht einen Rucksack hervor, zeigt die dünne Schaumstoffmatratze, die er nachts ausbreitet. Die Kälte sei schlimm, erklärt er mit Gesten, trotzdem will er in Potsdam bleiben.

Ob es in letzter Zeit mehr geworden sind, die auf der Straße sitzen und nach Geld fragen? Schwer zu sagen. „In den Jahren 2013 und 2014 hat die Zahl etwas zugenommen, aber seither hat es sich eingependelt“, meint René Schiweck. Etwa 50 seien es auf die ganze Stadt verteilt, schätzt der Sozialarbeiter, genaue Zahlen gibt es nicht. Auch sei die Fluktuation hoch. Viele seien mal in Berlin, mal in Potsdam. Gut die Hälfte seien EU-Ausländer. Für diese sei die Lage besonders schwer, denn ein Teil der Hilfsangebote bleibe ihnen verwehrt. Die Suppenküche ist allen zugänglich, die Plätze im Obdachlosenheim aber seien nur für deutsche Staatsbürger offen, so Schiweck.

Die Stadt ist rechtlich verpflichtet, die Obdachlosen zu schützen

Im Winter ist das etwas anders: Die Stadt ist rechtlich dazu verpflichtet, Leib und Leben beispielsweise vor dem Erfrieren zu schützen, unabhängig von der Staatsbürgerschaft. Im Rahmen der Winterhilfe werden, so ein Stadtsprecher auf Anfrage, voraussichtlich 250 Übernachtungsplätze in Potsdam bereit stehen. Neben den bestehenden Notbetten im Obdachlosenheim und im Wohnprojekt „Junge Wilde“ für junge Erwachsene der Arbeiterwohlfahrt (Awo) werden – wie in den vergangenen Jahren auch – Mehrbettzimmer in Pensionen angeboten. Derzeit wird die Winterhilfe vorbereitet, die je nach Witterung von November bis März angeboten wird. Dazu stimmen sich die beteiligten Akteure wie Sozialträger oder Stadt im Arbeitskreis Wohnungslos ab. Große Veränderungen zum Vorjahr sind nicht geplant, nur die Zahl der Notbetten soll leicht erhöht werden. In den vergangenen Jahren wurde für die Winterhilfe 40 000 Euro ausgegeben.

Bis 1974 war das Betteln in Deutschland strafbar. Seit Abschaffung des betreffenden Paragraphen wird das „Stille Betteln“ geduldet. Wie ein Sprecher der Stadt Potsdam bestätigte, steuern die Mitarbeiter des Ordnungsamtes „die Schwerpunktplätze der Bettler regelmäßig an“ und behielten diese „im Blick“. Auch die Polizei kontrolliere regelmäßig. Wenn eine Gefährdung oder eine Straftat vorliege oder Minderjährige beteiligt seien, werde eingegriffen. Es würden beispielsweise Platzverweise erteilt wenn „die Bettler Eingänge von Geschäften versperren oder Kunden massiv stören“.

Die Streetworker empfinden die Potsdamer als hilfsbereit

Jana Strohbach, Center-Managerin der Bahnhofspassagen, kennt diese Fälle: „Wir haben hier durchaus Schlafgäste im Haus, im Büroturm, im Treppenhaus, auf den Bänken. Tendenz steigend.“ Solange die Menschen die Hausordnung einhielten und niemanden belästigten, werde das geduldet. Aber: Laut Hausordnung sind Betteln und Alkohol verboten. Regelmäßig greife der Wachschutz ein, erteile Hausverweise oder -verbote. Wenn die Menschen dem nicht folgten, werde die Polizei dazugeholt. Auch das komme regelmäßig vor.

Insgesamt seien die Potsdamer aber hilfsbereit, finden die Streetworker von Creso. Es gebe zwar auch Bürger, die anrufen, um sich zu beschweren. Die möchten, dass die Bettler weggeschickt werden. Aber viele gingen auch auf die Menschen zu, böten Hilfe an oder machten sich Sorgen. Was sich René Schiweck und Johanna Lütkehölter wünschen? „Die Angebote sollten sich mehr an der Lebenswelt der Menschen orientieren“, so Lütkehölter. Zum Beispiel, indem sie Hunde in Unterkünfte mitnehmen können, durch eine zentrale Anlaufstelle etwa am Bahnhof oder durch spezielle Angebote nur für Frauen.

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