Interview zur Garnisonkirche: "Lasst uns darüber streiten"
Der Berliner Historiker Paul Nolte spricht im PNN-Interview über die Aufgaben des neuen wissenschaftlichen Beirats für das Wiederaufbauprojekt Garnisonkirche.
Herr Nolte, woran haben Sie früher, sagen wir vor 20 Jahren, gedacht, wenn Sie von der Potsdamer Garnisonkirche gehört haben?
Da war mir die Garnisonkirche zwar bekannt, aber noch gar nicht vertraut. Sie ist erst in meinen Horizont gerückt, als ich hier nach Berlin gekommen bin und dann auch von den Kontroversen um den Wiederaufbau gehört habe.
Und woran denken Sie heute?
Ja, natürlich an den gerade laufenden Wiederaufbau des Turms, ein sehr spannendes Projekt, das es sich lohnt zu verfolgen. Und für das sich viele Bürgerinnen und Bürger einsetzen. Auch von der Politik wird es unterstützt. Jetzt muss es weiter um die inhaltliche Ausgestaltung gehen. Was soll den Menschen begegnen, die als Besucherinnen und Besucher, zum Beispiel als Schulklasse, später dort hinkommen?
Und da wird sich der gerade gegründete wissenschaftliche Beirat einbringen?
Ich glaube, der Beirat wird gut daran tun, ausgestattet mit der nötigen Offenheit in der Urteilsbildung, selbständig unabhängige und kritische Positionen zu entwickeln. Er sollte auch Dinge diskutieren, die nicht sofort im Blick auf eine praktische Umsetzung gedacht werden müssen.
Aber was heißt das konkret?
Wir werden uns erst einmal ein Bild davon verschaffen, wo das Projekt steht. Es wird auch darum gehen, die Bedeutung des Wiederaufbaus über die regionale Ebene hinaus deutlich zu machen. Es ist ein nationales Vorhaben und als Erinnerungsprojekt für ganz Deutschland wichtig. Das kommt ja auch in der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten zum Ausdruck. Das Bundespräsidialamt hat diesen wissenschaftlichen Beirat mit angeschoben. Für mich ist es ganz besonders wichtig, den Wiederaufbau zugleich als ein Projekt der kritischen Erinnerung an die preußische Geschichte zu betreiben.
Also Preußen in all seinen Facetten ausleuchten?
Die Garnisonkirche ist ein wichtiger Bezugspunkt, um auch an die problematischen Seiten der preußischen Geschichte zu erinnern. Dies in einer Zeit, in der uns Preußen eigentlich zunehmend nur noch in etwas kulturgeschönter Form begegnet, denken Sie etwa an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Das klingt ja richtig schön romantisch. Aber es gibt keinen authentischen Ort, der an den preußischen Militarismus erinnert oder an die in vieler Hinsicht fatale Verbindung von Thron und Altar oder an die Verknüpfung von Soldatentum und Kirche.
Das Wiederaufbauprojekt steht unter dem Motto „Geschichte erinnern, Verantwortung lernen, Versöhnung leben“. Was kann der Beirat dazu beitragen, wenn es darum geht, Geschichte zu erinnern?
Ich sehe seine Aufgabe da in einer klärenden und sortierenden Funktion. Welche Geschichte erinnern wir am Ort der Garnisonkirche eigentlich? Dort liegen ja so viele Schichten der preußisch-deutschen Geschichte übereinander. Vom preußischen Absolutismus über die Aufklärungszeit bis zur Weimarer Republik, dann die nationalsozialistische Instrumentalisierung. Aber auch die Abrissgeschichte in der DDR. Und der Wiederaufbau selber ist ja auch schon ein Teil der Historie geworden. Also Geschichte erinnern, heißt für den Beirat, zunächst zu schauen: Welche Historie ist das eigentlich? Welche Sedimente liegen da übereinander und wo sind sie auf spannungsvolle Weise miteinander verhakt?
Und das zweite Motto im Dreiklang: Verantwortung lernen?
Da kommen dann Kompetenzen im Beirat hinzu, die weit über die Geschichtswissenschaft hinausgehen. Wir werden der Frage nachzugehen haben, wie man überhaupt aus Geschichte heraus lernen kann, Verantwortung zu übernehmen. So ein wissenschaftlicher Beirat muss dann auch ein Stachel im Fleisch sein. Einer der fragt: Geht das überhaupt, dass Menschen Geschichte sehen und dann lernen sie daraus, Verantwortung zu übernehmen?
Letzter Ton im Dreiklang: Versöhnung leben.
Gerade wenn es um Versöhnung im Angesicht deutscher Schuld geht, stellt sich die Frage, mit welchem Recht wir von deutscher Seite aus eigentlich Versöhnung proklamieren können. Das muss ja eine Geste sein, die auch von anderen angenommen wird. Durch die Einbettung in die Nagelkreuzgemeinschaft wird das erleichtert. Und die dort erfolgreich betriebene Arbeit zeigt schon jetzt, wie sich die besondere historische Last mit heutigen Aufgaben der Versöhnung verbinden lässt.
Wie wird der Beirat finanziert?
Dieser wissenschaftliche Beirat ist ja etwas, das nicht furchtbar teuer ist. Die Mitglieder machen das ehrenamtlich. Wir wollen allerdings eine wissenschaftliche Mitarbeiterstelle schaffen. Da arbeiten wir noch an der Finanzierung. Das erste halbe Jahr hat uns die Fördergesellschaft das Geld dafür zur Verfügung gestellt. Zur Zeit führen wir Gespräche in verschiedene Richtung zur dauerhaften Finanzierung.
Wann wird der Beirat seine Arbeit aufnehmen?
Wir wollen sehen, dass wir im Herbst unsere erste Sitzung abhalten.
Ein sehr kritischer Begleiter des Wiederaufbaus ist die Martin-Niemöller-Stiftung. Sie hat den Verantwortlichen des Wiederaufbaus vor einigen Monaten vorgeworfen, diese würden in ihren Publikationen eine Distanz der Garnisonkirche zum NS-Staat propagieren, die es in Wahrheit so gar nicht gegeben habe. Ist das eine berechtigte Kritik?
Nein, ich kann der Kritik nicht zustimmen. Dass die Garnisonkirche eine wichtige symbolische und reale Bedeutung für die Geschichte des Nationalsozialismus hat mit dem Tag von Potsdam als Höhepunkt, das ist ja geradezu ein wesentlicher Ausgangspunkt des ganzen Projektes. Da führt überhaupt kein Weg dran vorbei. Nur lässt sich die Garnisonkirche eben auch nicht darauf reduzieren.
Ein konkreter Vorwurf der Niemöller-Stiftung lautet, die Garnisonkirche habe beim Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 bei Weitem nicht die Rolle gespielt, die ihr heute von den Verantwortlichen des Wiederaufbaus gern beigemessen werde.
Also ich möchte auf solche Fragen jetzt nicht im Detail eingehen. Dazu werden wahrscheinlich auch Historikerinnen und Historiker unterschiedliche Sichtweisen behalten. Man sollte sich an solchen Punkten nicht festbeißen. Es hat einen Zusammenhang gegeben mit dem Widerstand. Wie hoch der zu bewerten ist, muss man sehen.
Wie ist der Tag von Potsdam, also jene Festveranstaltung aus Anlass der Eröffnung des neu gewählten Reichstages am 21. März 1933, heute einzuordnen? Hindenburg und Hitler kamen damals zum Festakt in die Potsdamer Garnisonkirche.
Der Tag von Potsdam steht für eine fatale Bereitschaft alter Eliten in Deutschland und Preußen, sich mit dem Nationalsozialismus einzulassen und sich ihm auszuliefern. Und zu diesen Eliten und Institutionen gehörte auch die evangelische Kirche.
Sie haben sich intensiv mit dem Verhältnis zwischen Religion und Bürgergesellschaft beschäftigt und dazu 2009 auch ein Buch veröffentlicht. Was kann der Wiederaufbau des Turms der Garnisonkirche im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Religion und Bürgergesellschaft bewirken?
Dieses Projekt, das sowohl ein kirchliches als auch ein zivilgesellschaftliches ist, kann dazu dienen, neue Verbindungen zwischen diesen beiden Sphären auszuloten. Kirche ist ein Teil der Bürgergesellschaft und spielt als zivilgesellschaftlicher Akteur, als erinnerungspolitische Institution und als Reflexionsraum für wichtige ethische Fragen eine Rolle. Und dies auch in einer Gesellschaft, die sich immer stärker säkularisiert. Dieses Projekt kann man wie eine Ellipse sehen, die ja zwei Brennpunkte hat. Der eine Brennpunkt ist hier der kirchliche und der andere der zivilgesellschaftliche. Das Vorhaben kann dazu dienen, neue Beziehungen zwischen diesen beiden Brennpunkten auszuloten.
In Ihrem Band „Religion und Bürgergesellschaft“ sind Sie der Frage nachgegangen, ob sich unsere stark säkulare Gesellschaft bisweilen religiös bevormundet fühlen könne. Ist das bei der Garnisonkirche jetzt eine Gefahr?
Wenn man es scharf und auch selbstkritisch sieht, ist die Frage schon berechtigt: Wie groß ist die Deutungsmacht von Kirche und Religion in unserer Gesellschaft? Überwältigen wir andere mit Symbolen wie dem Kreuz? Andererseits müssen Atheisten die Religionsfreiheit respektieren. Und bei der Garnisonkirche sind ja auch manche Christen gegen den Wiederaufbau.
Gibt es einen Satz, den Sie den Kritikern des Aufbauprojekts zurufen möchten?
Also einen Zuruf kann ich mir nur im Sinne einer Einladung zur Diskussion vorstellen, das ist mir wichtig. Ich würde Ihnen zurufen, lasst uns nicht die Kämpfe von gestern nochmals kämpfen, der Wiederaufbau des Turms der Garnisonkirche findet statt und es ist ein Projekt, das von den respektabelsten politischen Akteuren unseres Landes unterstützt wird, unter anderem vom Bundespräsidenten, also lasst uns darüber streiten, bringt euch ein, wie dieses Projekt gestaltet werden soll.
Was meinen Sie persönlich, sollte man auch das Kirchenschiff wieder aufbauen?
Ich bin da selber immer noch unentschieden und zurückhaltend. Also ich würde das jetzt nicht in den Vordergrund rücken. Es geht momentan um den Wiederaufbau des Turmes und das ist ja auch schon ein veritables Unterfangen. Wenn man irgendwann einmal daran gehen sollte, das Kirchenschiff wieder aufzubauen, müsste man meiner Meinung nach aber jedenfalls ein äußerlich sehr sichtbares Zeichen setzen, das den Bruch in der Geschichte des Baus deutlich macht. Wenn nur der Turm steht, wird dieser Bruch schon allein durch das Fehlen des Kirchenschiffs verdeutlicht.
+++
Paul Nolte, 55, ist seit 2005 Professor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Freien Universität (FU) Berlin. Der Historiker ist zudem Sprecher des Dahlem Humanities Center, einem Verbund geisteswissenschaftlicher Forschungen an der FU Berlin. Als Präsident der Evangelischen Akademie zu Berlin und berufenes Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland engagiert er sich seit Längerem in kirchlichen Institutionen. Nolte leitet, zunächst kommissarisch und voraussichtlich bald auch als regulärer Vorsitzender, den neuen wissenschaftlichen Beirat an der Potsdamer Garnisonkirche.
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