Kinderbetreuung in Potsdam: Kita-Träger wollen Notbremse ziehen
Die Situation in der Kinderbetreuung in Potsdam spitzt sich zu. Betreiber drohen, ihre Arbeit wegen Geld- und Personalmangels zurückzufahren. Jetzt will die Stadt reagieren.
Potsdam - Berufstätige Eltern könnten bald Probleme mit der Kinderbetreuung bekommen: Denn einige größere Kita-Träger erwägen, ab September nur noch eine begrenzte Zahl von Zehn-Stunden-Verträgen auszugeben. Damit könnten viele Kinder nur noch maximal acht Stunden pro Tag betreut werden. Grund sind der chronische Erziehermangel und die nicht ausreichende Finanzierung durch Stadt und Land. Das haben mehrere Träger-Vertreter den PNN bestätigt. Entsprechende Warnschreiben von mehreren größeren Kita-Betreibern – zum Beispiel die Awo oder die Fröbel-Gruppe – seien bereits an die Stadtverwaltung gegangen, hieß es weiter. „Die Situation für die Träger ist schwierig – einige können noch nicht absichern, ob sie Betreuungszeiten zwischen acht und zehn Stunden anbieten können“, bestätigte auch Sozialdezernent Mike Schubert (SPD) auf PNN-Anfrage.
Hintergrund ist der bekanntermaßen schlechte Betreuungsschlüssel in Brandenburg, also das Zahlenverhältnis der Erzieher zu den Kindern. Dieser Umstand wird in Potsdam mit seinem vergleichsweise hohen Anteil von 60 Prozent erwerbstätigen Frauen noch verschärft – weil laut Träger 38 Prozent der Kita- und sogar 46 Prozent der Krippenkinder mehr als acht Stunden betreut werden sollen. Das Problem: Das Land zahlt nur Zuschüsse für Standardbetreuungszeiten von siebeneinhalb Stunden und weigert sich, dringend benötigte zusätzliche Erzieher für die Landeshauptstadt zu finanzieren.
Bertelsmann-Studie: In Potsdam fehlen 850 Erzieher
Bereits im Februar hatten die Stadtverordneten 500.000 Euro für dieses und für das kommende Jahr eineinhalb Millionen Euro beschlossen, um die Situation etwas zu verbessern. Allerdings reicht das Geld nicht einmal für eine halbe Stelle pro Kita. Für eine optimale Betreuung nach Empfehlungen der renommierten Bertelsmann-Stiftung, die mit ihrer Studie „Kita-Zoom“ auf die schlechte Situation in Potsdam aufmerksam gemacht hatte, würden 850 zusätzliche Erzieher benötigt – das würde bis zu 26,7 Millionen Euro kosten. Aktuell sind rund 2200 Erzieher in den circa 120 Kitas der Stadt eingesetzt.
Und diese Angestellten haben nach Darstellung der Träger zunehmend Probleme, ihrem Auftrag, die Kinder fachgerecht zu betreuen, nachzukommen. So hätten Betriebsräte und -ärzte sowie Gewerkschafter die Leitungen der Träger vor zunehmenden Überlastungsanzeigen der Mitarbeitern gewarnt. Die Folge seien etwa Langzeiterkrankungen, die die Lage weiter verschärfen würden, hieß es von Trägerseite. Ein weiteres Problem sei es, angesichts der schlechten Arbeitsbedingungen geeignetes Personal zu finden. Schon jetzt seien 200 eigentlich vorhandene Kitaplätze wegen Personalmangel nicht belegt. „Es muss einfach schnell mehr passieren“, so eine Träger-Vertreterin gegenüber den PNN. Entweder Stadt oder Land oder beide gemeinsam müssten gerade die Betreuung von Kindern von bis zu zehn Stunden auch entsprechend bezahlen. Ansonsten seien in diesem Bereich nur noch begrenzt neue Verträge möglich. Nach welchem Verfahren Kinder mit mehr Betreuungsbedarf abgelehnt würden, ist unklar.
Personalmangel in einer wachsenden Stadt
Dezernent Schubert hofft, dass es soweit nicht kommt. In den nächsten Tagen soll ein von der Stadt in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten vorliegen. Mit Hilfe einer externen Anwaltskanzlei soll dabei der Dauerstreit geklärt werden, ob die Stadt oder das Land die zusätzlich nötigen Erzieher zahlen soll. Schubert sagte, je nach Empfehlung des Gutachters müsse auch die Stadt über eine „haushalterische Lösung“ nachdenken, sprich: zahlen. Den daraus folgenden Millionenausgaben müssten dann auch Schuberts Beigeordnetenkollege und Kämmerer Burkhard Exner sowie Oberbürgermeister Jann Jakobs (beide SPD) zustimmen, ebenso das Stadtparlament.
Das akute Personalproblem an den Potsdamer Kitas ist nicht die einzige Baustelle im Kinder- und Jugendbereich. Auch die grundsätzlich zur Verfügung stehende Zahl der Betreuungs- und Schulplätze bereitet angesichts des rasanten Wachstums der Stadt Sorgen. So müssen immer wieder kurzfristig Engpässe durch zum Beispiel provisorische Container-Lösungen überwunden werden. Mit einer „Integrierten Kita- und Schulentwicklungsplanung“, wie diese auch in anderen Kommunen üblich ist, soll das nun besser werden. Dafür soll bis Ende des Jahres ein externer Dienstleister für die Stadt mittels Ausschreibung gefunden werden. Dieser erhält 250.000 Euro und soll dafür bis Ende 2018 ein bis 2025 geltenden Planwerk vorlegen, wie viele Kita-, Schul- oder Hortplätze wirklich nötig sind.
"Wir müssen jetzt ranklotzen"
Dafür sei auch dringend eine passendere Bevölkerungsprognose nötig, sagte Schubert – auch mit Blick auf den von Exner verantworteten Statistikbereich im Rathaus. Dieser hatte laut den PNN vorliegenden Grafiken aus dem Rathaus mit seinen Prognosen im Kinder-Bereich in den vergangenen Jahren deutlich unter den tatsächlichen Zuzugszahlen gelegen, sogar noch unter der Landesprognose. Schubert kritisierte diesen konservativen Ansatz zwar nicht, insgesamt sei das Wachstum der Stadt eben sehr dynamisch. Er sagte aber: „Wir müssen die Planzahlen häufiger überprüfen.“
Um dem Bedarf in den kommenden Jahren zu decken, „müssen wir jetzt ranklotzen“, sagte Schubert und verwies auf weitere Verhandlungsrunden mit den privaten Trägern. Bei der Entwicklung von Arealen wie dem Brunnenviertel in der Waldstadt oder in Krampnitz müssten gleich nach dem Einzug der ersten Familien sofort auch Kitas zur Verfügung stehen. „Wir wollen auch mit größeren Puffern planen“, sagte Schubert, auch mit Verweis auf Engpässe im Hortsektor, wo aus Platzmangel an manchen Schulen seit Jahren schon Klassenzimmer für die Betreuung genutzt werden müssen. Und auch unvorhersehbare Zwischenfälle machen Puffer nötig: Dieses Jahr stehen allein 200 Kitaplätze nicht mehr zur Verfügung, weil eine Kita Am Stern nach einer Brandstiftung saniert werden muss.
+++
Mehr als 18.233 Kitaplätze, Tendenz steigend
Angesichts des Wachstums der Stadt ist die Zahl der Kitaplätze in den vergangenen Jahren stark gestiegen – von 10 195 im Jahr 2008 auf voraussichtlich 18 233 Plätze im nächsten Jahr. Dafür bezahlt die Stadt jetzt schon mehr als 79 Millionen Euro. Bis 2021 will die Stadtverwaltung rund 2000 weitere Plätze bauen lassen, stets mit Hilfe privater Kita-Trägern. Unter anderem sind für die Ortsteile Fahrland und Marquardt im kommenden Jahr je eine neue Kita oder Krippe geplant. Drei Kitas und ein Hort sollen noch bis 2020 in Golm entstehen, vier weitere Kitas bis dahin auch im Bornstedter Feld. Eine neue Kindertagesstätte ist bis 2021 auch für die neue Potsdamer Mitte vorgesehen, auch für Babelsberg soll es noch zwei Einrichtungen geben, für das Viertel Am Stern eine weitere Kita. In der Teltower Vorstadt und in der Waldstadt sind bis 2019 noch vier Kitas und Krippen in der Planung oder schon im Bau.
+++
Lesen Sie weiter: Die Probleme in Potsdamer Kitas sind seit Jahren bekannt, trotzdem können sich Stadt und Land auf keine Lösung einigen. Dass die Träger nun Druck auf die Politik ausüben, ist gut verständlich, meint PNN-Autor Henri Kramer in seinem Kommentar.
+++
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität