Vom Netz genommen (17): Kebekus, Papst und "taz", Tagesspiegel-"Wahnsinn!": Was ist, was darf Satire?
Der Presserat rügt die 'taz" und gibt Tagesspiegel.de einen "Hinweis", der WDR nimmt ein Kebekus-Video aus dem Programm. Viel Stoff für unsere Debattenkolumne in dieser Woche. Diskutieren Sie mit!
Die "taz" hat die Ehre des Papstes verletzt. Das kam diese Woche heraus. Mit der Überschrift "Junta-Kumpel löst Hitlerjunge ab" sei in einem Kommentar zur Papstwahl "grob gegen das Sorgfaltsgebot verstoßen" worden. Dafür spreche der Deutsche Presserat der Zeitung eine Rüge aus, teilte das Selbstkontroll-Gremium der deutschen Presse mit. Die Überschrift sei "eine nicht bewiesene Tatsachenbehauptung". Die Erkenntnisse "über die Nähe des Papstes zur argentinischen Militärdiktatur reichen nicht aus, um sie in der Überschrift mit der Bezeichnung 'Junta-Kumpel' zuzuspitzen und sie als erwiesen darzustellen", hieß es in der Begründung des Presserats weiter.
Ich kann die Begründung nachvollziehen, bin aber über die Strenge des Urteils - eine derartige "Rüge" muss veröffentlicht werden - und auch über die unterwürfige Reaktion der "taz" am Ende doch überrascht. Vielleicht liegt das daran, dass ich die "taz" wie auch "Bild" ohnehin größtenteils als - oft sehr gelungenes - Satireprodukt wahrnehme. "Wir sind Papst", wäre demnach auch ein Fall für den Presserat. Das ist nämlich auch nicht sorgfältig recherchiert und schon gar keine Tatsache. Ich bin nicht Papst. Ich habe es nur bis zum Messdiener gebracht.
Was ich damit meine: Von der "taz" (oder von "Bild") eine klare Trennung von Nachricht und Satire zu erwarten, ist in etwa so wie vom "Spiegel" zu verlangen, dass er Meinung und Nachricht demnächst sauber auseinanderhält. Trotzdem bleiben diese Kategorien wichtig, als Prinzip und Gebot für die tägliche Arbeit. Dabei kommt es eben auch auf den Kontext an und zum Kontext gehören die Medienmarke und die entsprechenden Erwartungen der Leser.
Durch die Streuung ihrer Beiträge im Internet verlieren die Marken allerdings immer mehr an Integrationskraft. Mehr Laufkundschaft kommt vorbei, als dies zu reinen Printzeiten der Fall war. Der Kontext wird entzerrt. Ich darf hier einmal ungeprüft und fröhlich vermuten, dass der Großteil der fast fünfzig Beschwerden zur Papst-Thematik wohl eher von der Laufkundschaft als von der "taz"-Stammleserschaft kam.
Der WDR wollte es unterdessen gar nicht erst darauf ankommen lassen und nahm ein, nun ja, katholikenkritisches Video der Komikerin Carolin Kebekus vor der Sendung aus dem Programm. Bei uns in der Leser-Community führte das neben viel Kritik am WDR, aber auch Lob für die Entscheidung des Senders zu der ohnehin häufig gestellten Frage, ob denn alle Beteiligten mit einer Satire zum Islam oder zum Judentum genauso umgehen würden wie mit einer zum Katholizismus? "Spielt ihr nächster Clip in einer Moschee, Frau Kebekus?", fragte zum Beispiel Leserkommentator "justfortoday".
Als Zeitung und Online-Portal würden wir mit denselben Kriterien berichten, davon bin ich überzeugt, siehe zum Beispiel unsere Berichte zu den Mohammed-Karikaturen. Aber die Frage nach dem Messen mit zweierlei Maß geht ja über das Professionelle hinaus ins Persönliche, wie diese und andere Community-Debatten nahelegen. Und das muss am Ende wohl jeder mit sich selbst ausmachen.
Als Katholik und Liberaler denke ich, dass ich mich mit Kritik, gern auch als beißende Satire, über den eigenen Laden zuallererst mal auseinandersetzen sollte, bevor ich anfange, mich über andere lustig zu machen und zu fordern, dass sich doch gefälligst auch über andere lustig gemacht werden soll. Oder wie es der Karikaturist Gerhard Haderer unlängst bei einer Diskussion in der Berliner Akademie der Künste aus Sicht des Künstlers formulierte: Er, Haderer, hätte die Mohammed-Karikaturen nicht gezeichnet, einfach weil er Mohammed nicht kennt – im Gegensatz zu den Katholiken seiner österreichischen Heimat.
Es bringt die Debatte in unserer Community aus meiner Sicht nicht voran, reflexartig oder rituell "Wenn die jetzt kritisiert werden, dann aber bittschön auch Kritik an denen" zu fordern, damit irgendein imaginärer Gleichstand erzielt wird. Da wäre es doch potenziell erkenntnisreicher, sich jeweils mit dem Einzelfall auseinanderzusetzen und bei der jeweiligen Sache zu bleiben. Dies als Appell.
Auch ein Beitrag auf Tagesspiegel.de wurde in dieser Presserats-Runde verhandelt. Ein Leser hatte sich über eine Satire zum Fall Pistorius in unserer noch recht neuen Rubrik "Wahnsinn!" beschwert und zwar wie folgt: "Der Artikel ist zwar als 'Satire' gekennzeichnet, dennoch sehe ich in dem Beitrag mehrere Verstöße gegen den Pressekodex. Ziffer1: Verstoß gegen die Menschenwürde der getöteten Reeva Steenkamp. Ziffer 11: Unangemessene und respektlose Darstellung der Tötung von Reeva Steenkamp ("Viele andere Männer hatten am Valentinstag überhaupt keine Überraschung parat.") Ziffer 12: Diskriminierung und Verspottung von Behinderten durch Formulierungen wie 'macht sich um den paralympischen Nachwuchs verdient', 'Voraussetzung ist, dass er ein halbautomatisches Maschinengewehr mit den Nasenflügeln bedienen kann". Ziffer 13: Vorverurteilung des Verdächtigen Oscar Pistorius."
In meiner Stellungnahme schrieb ich dazu an den Presserat: "Der beanstandete Beitrag, wie auch in der Beschwerde zugestanden, deutlich als Satire markiert, trifft sicherlich nicht jedermanns Stil und Geschmack. Wir sind aber der Auffassung, dass das auch nicht die Aufgabe von Satire ist. Satire muss zuspitzen, Satire muss übertreiben. Auch aus unserer Sicht aber darf Satire nicht auf Kosten von Privatpersonen und Normalbürgern gehen, sondern sollte sich an Persönlichkeiten abarbeiten, die von sich aus die Öffentlichkeit suchen. Diese Voraussetzung sehen wir auch in diesem Fall als gegeben an."
Schließlich kam ein "Hinweis" des Presserats an den Tagesspiegel dabei heraus. In der Rangfolge der Ahndungen von Verstößen kommt erst die "Rüge" dann die "Missbilligung" und dann der "Hinweis". In unserem Fall wurde damit die Anspielung auf den "Valentinstag" als Verstoß im Sinne des Beschwerdeführers bewertet. Ein Hinweis des Presserats muss nicht veröffentlicht werden. Weil aber über die formelle Beschwerde hinaus viele Leser kritisch auf unsere Pistorius-Satire reagiert haben - im Kommentarbereich unter dem Text oder auch per Post oder Email - nutze ich diesmal gern meine wöchentliche Feedback-Kolumne, um auch über diesen Fall zu schreiben. Zumal das Thema über den Einzelfall hinaus interessant ist, wie die anderen Beispiele aus dieser Woche zeigen.
Wir müssen bei all dem jetzt nicht gleich wieder den ollen Tucholsky bemühen, aber genau wie die Trennung von Nachricht und Satire oder eben Nachricht und Meinung als Prinzip unbedingt Bestand haben muss, so sollte auch der Satz, dass Satire alles darf, erst einmal unbedingt gelten. Schon damit die Schwelle für Autoritäten, dagegen vorzugehen, möglichst hoch bleibt. Wie so oft bei Prinzipien gibt es aber konkurrierende, gegenläufige Prinzipien, darunter das wohl wichtigste, die Menschenwürde. Das muss dann anhand von Einzelfällen austariert werden und genau dabei hilft der Presserat. In diesem Sinne nehmen wir den aktuellen Hinweis aufmerksam und lernwillig zur Kenntnis.
Und was meinen Sie, liebe Leserinnen, liebe Leser? Sind meine Argumente überzeugend oder sind Sie ganz anderer Ansicht? Was darf Satire Ihrer Meinung nach? Und darf Berichterstattung aus Ihrer Sicht mit satirischen Elementen vermengt werden, wie dies bei "taz" oder "Bild" oder auch anderen Medien zuweilen geschieht? Hat die "taz" mit ihrer Papstüberschrift, hat Carolin Kebekus mit dem Katholiken-Video, hat Tagesspiegel.de mit der Pistorius-Satire eine Grenze überschritten oder nicht? Kommentieren und diskutieren Sie mit! Bitte nutzen Sie dazu die einfach zu bedienende Kommentarfunktion etwas weiter unten auf dieser Seite.
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