Systemsprenger in Potsdam: Kaum Platz für schwer erziehbare Jugendliche
Bei der Unterbringung schwer erziehbarer Jugendlicher hat das Jugendamt erhebliche Probleme – auch eine Folge des Fachkräftemangels. Minderjährige Asylsuchende kann man allerdings noch aufnehmen.
Potsdam - Der mehrfach ausgezeichnete Kinofilm „Systemsprenger“ hat die Schwierigkeiten von Behörden im Umgang mit traumatisierten Kindern eindrucksvoll gezeigt, etwa ihr Leben in wechselnden Pflegefamilien oder Heimen. Auch die Stadt Potsdam hat Probleme bei der Unterbringung von solchen besonders problematischen Kindern in zum Beispiel Wohngruppen oder Heimen. Gleichwohl ist es laut Jugendamt dennoch möglich, weitere unbegleitete minderjährige und teils auch traumatisierte Flüchtlinge aus anderen Ländern in Potsdam auch kurzfristig aufzunehmen und zu betreuen.
Dieses scheinbare Paradoxon erklärte auf PNN-Anfrage Sabine Reisenweber, die Bereichsleiterin Regionale Kinder- und Jugenhilfe im Jugendamt. So gebe es in Potsdam insgesamt 430 Plätze für Kinder mit besonderen Problemlagen, diese würden von 19 verschiedenen Sozialträgern wie der Arbeiterwohlfahrt (Awo) oder dem Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerk (EJF) angeboten. Dort untergebracht seien 161 Potsdamer Kinder, aber auch viele aus anderen Städten und Bundesländern – darunter auch rund 100 minderjährige Flüchtlinge. „Nicht jede Kommune kann jede Art von Spezialeinrichtung für bestimmte Jugendliche vorhalten“, erklärte sie. So seien im Gegenzug auch mehr als 160 Potsdamer Kinder in anderen Gemeinden und Kommunen untergebracht, zum Beispiel in Berlin oder im Landkreis Potsdam-Mittelmark. „Dabei versuchen wir darauf zu achten, dass die Kinder möglichst wohnortnah unterkommen“, sagte Reisenweber.
Zahl der Inobhutnahmen gesunken
Als zunehmend schwierig habe sich dabei aber in den vergangenen Jahren die Unterbringung von Kindern mit „multiplen Problemlagen“ erwiesen, wie die Bereichsleiterin bestätigte. Das können zum Beispiel Teenager sein, die bewusst den Besuch der Schule verweigern, Drogen konsumieren und sich auch staatlichen Hilfsangeboten entziehen. Mehrere solcher Fälle gibt es laut Reisenweber aber nicht. So sei beispielsweise die Zahl der Inobhutnahmen von Amts wegen – also wenn die Behörde Kinder zu ihrem Schutz aus der Familie nimmt – in den letzten Jahren rückläufig. 2016 gab es 166 solcher Fälle in Potsdam, 2019 noch 126. Zugenommen habe hingegen die Zahl der psychischen Erkrankungen von erwachsenen Familienmitgliedern, was gerade auch auf Kinder oft traumatisierend wirke.
Gleichwohl werde es bei solchen komplexen Problemen „zunehmend herausfordernd, einen passenden Träger zu finden“. Das liege unter anderem am Fachkräftemangel, der auch vor Trägern von Jugendschutzeinrichtungen nicht haltmache: Es sei offensichtlich immer schwieriger, motivierte Mitarbeiter zu finden, die dort nötige Schichtdienste abdecken, die entsprechend für schwierige Fälle geschult sind und die „das insgesamt auch aushalten wollen“.
Für die Mitarbeiter im Jugendamt bedeutet das, dass sie trotz des theoretischen Überangebots an Plätzen in schwierigen Fällen bei vielen Trägern nacheinander anrufen müssen, wo man noch einen Platz finden kann. „Das kostet viel Zeit und verlangt im Einzelfall auch viel Kreativität“, sagte Reisenweber. Auch mit dem Jugendministerium sei man im Kontakt, wie sich solche Fälle besser lösen lassen – zumal das Problem auch in anderen Kommunen in Brandenburg bestehe. In Potsdam wird die Situation noch verschärft, weil das Jugendamt wie berichtet ohnehin als überlastet gilt – auch vor dem Hintergrund einer wachsenden Stadt und damit verbundenen zusätzlichen Aufgaben bei gleichzeitigem Fachkräftemangel.
Noch sind Plätze vorhanden
Doch anders gestaltet es sich die Sachlage laut Expertin Reisenweber bei den unbegleiteten Flüchtlingskindern. Bekanntlich will Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) aktuell fünf solcher Kinder aus griechischen Elendslagern nach Potsdam holen. Diese Kapazität sei definitiv vorhanden, sagte Reisenweber. So hätten die Jugendhilfeträger bereits im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 Kapazitäten aufgebaut, die inzwischen bereits schrittweise zurückgefahren würden. Daher seien noch Plätze vorhanden, meist in speziell dafür geschaffenen Wohngruppen: „Dafür fällt kein anderer Jugendlicher hinten runter.“
Generell würden solche jungen Flüchtlinge erst untersucht und identifiziert, parallel dazu stelle das Jugendamt auch einen Vormund und die entsprechenden Asylanträge. Innerhalb der ersten drei Monate gebe es für die Kinder und Jugendlichen, anders als in anderen Kommunen, auch schon Sprachkurse. Zwei Drittel der im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 nach Potsdam gekommenen Jugendlichen seien inzwischen volljährig, viele könnten inzwischen auch schon allein leben.
Für aufgenommene Flüchtlinge zahlt die Stadt Potsdam wie berichtet rund 16.000 Euro pro Person und Jahr, wobei 95 Prozent der Kosten vom Land erstattet werden. Bei Kindern kommen zusätzliche Kosten für die Betreuung hinzu, auch diese werden laut Stadtverwaltung aber vom Land erstattet.
143 freie Plätze in Asylunterkünften
In Potsdam Asylunterkünften sind aktuell 143 Plätze frei und sofort belegbar. Das sagte Rathaussprecher Jan Brunzlow am Montag auf PNN-Anfrage. Angesichts von 1303 insgesamt geschaffenen Plätzen für Flüchtlinge sind damit zehn Prozent der Kapazitäten aktuell frei. Brunzlow sagte, im vergangenen Jahr habe die Stadt Potsdam 195 Flüchtlinge aufgenommen, davon 73 Frauen, 69 Männer und 53 Kinder. Diese kamen vor allem aus dem Irak, Syrien und Iran. 2018 waren noch 139 Asylbewerber aufgenommen worden. Im Jahr 2017 kamen 361 Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten nach Potsdam, 2016 waren es 661, im Jahr 2015 noch 1494. Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) hatte erst am Sonntag an die Bundesregierung appelliert, es aufnahmebereiten Städten rasch zu ermöglichen, unbegleitete Kinder aus griechischen Flüchtlingslagern aufzunehmen. Er war am Samstag von einem Besuch des vollkommen überfüllten Flüchtlingslagers Moria auf Lesbos zurückgekehrt, hatte von „einer Schande für Europa“ gesprochen. Das von Potsdam koordinierte Netzwerk „Städte Sicherer Häfen“ wolle und könne aktuell 500 Flüchtlingskinder unter 14 Jahren, die ohne Eltern in Griechenland sind, sofort helfen. Angesichts der Situation auf Lesbos forderte die Linke-Fraktion im Landtag Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) zum sofortigen Handeln auf. Dieser müsse als Bundesratspräsident eingreifen und den Druck auf die Bundesregierung erhöhen, hieß es von der Linken-Fraktion. HK
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