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Arme Viertel, reiche Viertel. Laut einer aktuellen Studie konzentrieren sich in Potsdam Sozialleistungsempfänger stark auf bestimmte Stadtviertel.
© Sebastian Gabsch

Sozialgefüge in Potsdam: Jeder bleibt für sich

Die soziale Durchmischung innerhalb der Stadtviertel ist in Potsdam besonders gering – und sie ist in den vergangenen Jahren weiter gesunken. Das könnte negative Folgen haben für den Zusammenhalt.

Potsdam gehört zu den deutschen Städten mit der geringsten sozialen Durchmischung. Dazu kommt, dass die sogenannte soziale Segregation, die räumliche Trennung von Arm und Reich innerhalb des Stadtgebiets, in Potsdam schneller wächst als in den meisten anderen Städten Deutschlands. Das ergab eine neue Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Die Potsdamer Ergebnisse im Überblick:

SOZIALE SEGREGATION

Arme Viertel, reiche Viertel: In Potsdam ist die Trennung in bestimmte Nachbarschaften hoch. Die brandenburgische Landeshauptstadt landet beim so genannten Segregationsindex bundesweit auf Platz sechs hinter Schwerin, Rostock, Erlangen, Erfurt und Wolfsburg. Das heißt, im Jahr 2014 hätten in Potsdam 38 Prozent der Bezieher von Sozialleistungen wie Hartz IV innerhalb der Stadt umziehen müssen, um eine Gleichverteilung zu erreichen.

Das bedeutet aber nicht, dass besonders viele Potsdamer arm sind. Die Quote der Hartz-IV-Empfänger in der Stadt ordnen die Autoren der Studie in der mittleren Kategorie ein. Aber: In Potsdam konzentrieren sich die Sozialleistungsempfänger stark auf bestimmte Stadtviertel. Zudem ist die Abgrenzung von 2005 bis 2014 jährlich im Schnitt um mehr als ein Prozent gestiegen. Die Stadt gehört damit nach Rostock und Schwerin zu den Städten Deutschlands, in denen die soziale Segregation am schnellsten wächst.

Die Studie zeigt, dass der Grad der Segregation in ostdeutschen Städten generell im Schnitt höher ist als in westdeutschen. Sie zeigt aber auch, dass es mehrere Gegenbeispiele im Osten gibt. So haben Dresden, Magdeburg und Chemnitz einen recht hohen Grad der Durchmischung. Der Erklärungsansatz der Autoren Marcel Helbig und Stefanie Jähnen hierfür ist ein historischer: In diesen Städten sei der Zerstörungsgrad vor allem von Wohnungen durch Bomben im Zweiten Weltkrieg besonders hoch gewesen. Durch viel Neubau, vor allem aber durch bleibende Brachen in den Innenstädten, die erst nachträglich mit Plattenbauten bebaut wurden, sei dieser günstige Wohnraum dort nicht am Stadtrand, sondern in der Mitte entstanden. Das habe nach der Wende die soziale Mischung gefördert.

In Potsdam, aber auch in anderen ostdeutschen Städten wie Erfurt, Weimar oder Halle haben die architekturhistorischen Besonderheiten dagegen die räumliche Trennung von Arm und Reich gefördert, so die These der Autoren. „Die nach der Wende wenig begehrten sozialistischen Plattenbauten in Stadtrandlage auf der einen und die stark begehrten, wieder aufgebauten Innenstädte auf der anderen Seite haben zur Etablierung zweier Wohnlagen geführt, die sich extrem stark in ihrer Wohnattraktivität unterscheiden“, heißt es in der Studie.

Zudem fanden die Forscher paradoxerweise heraus, dass der Anteil von Sozialwohnungen die räumliche Ungleichheit innerhalb einer Stadt verstärke. „Sozialwohnungen sind in Gebieten zu finden, in denen ohnehin die Armen wohnen. Das Ideal einer sozial gemischten Stadt ist schon lange dem Ziel gewichen, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen“, so Jähnen in einer Pressemitteilung.

SEGREGATION VON KINDERN

Gerade arme Kinder sind von sozialer Abgrenzung innerhalb einer Stadt besonders betroffen. Die Segregation von armen Familien mit Kindern, die Sozialleistungen beziehen, sei größer als die Segregation der Gesamtpopulation, stellt die Studie fest. Potsdam landet dabei auf Platz fünf, noch vor Berlin. Auch hier gehört Potsdam zu den Städten mit dem stärksten Anstieg. Präzise arbeitet die Studie heraus, dass nicht zwingend die ärmsten Städte Deutschlands die größte Ballung armer Kinder in bestimmten Stadtvierteln verzeichnen.

„Diese Konzentration sozial benachteiligter Kinder hat das Potenzial, sich negativ auf die Lebenschancen der jungen Bewohner in diesen Quartieren auszuwirken“, heißt es in der Studie.

DEMOGRAFISCHE SEGREGATION

Auch die Altersdurchmischung ist in Potsdam niedrig. Insbesondere ältere Menschen wohnen konzentriert in bestimmten Vierteln, abseits der anderen. Potsdam ist in dieser Altersgruppe ist Punkto Segregation sogar trauriger Spitzenreiter. Auf der anderen Seite ist auch die jüngste Altersgruppe, die der Kinder bis 15 Jahre, recht stark von Abgrenzung betroffen. Familien mit Kindern leben also in Potsdam häufig unter sich.

Die Situation habe sich aber in den vergangenen zwölf Jahren in der Stadt leicht verbessert, so die Studie. In den ostdeutschen Städten, „die bereits 2002 ein hohes Segregationsniveau aufwiesen, zum Beispiel Rostock und Potsdam, ist die Segregation nicht weiter angestiegen beziehungsweise in Rostock und Potsdam sogar zurückgegangen“.

FOLGEN UND EMPFEHLUNGEN

Immer seltener, so heißt es in den Schlussfolgerungen der Studie, wohnten soziale Gruppen sowie bestimmte Altersgruppen Tür an Tür. Zu den Folgen der Segregation stellen die Forscher einige Überlegungen an. Wenn in manchen Vierteln die Bevölkerungsgruppen verschiedenes Bildungsniveaus und Alters nicht mehr miteinander in Kontakt kommen, so die Argumentation, könnte das eine politische Polarisierung begünstigen. Zudem sei anzunehmen, dass sich in den Quartieren, „wo die sozial Privilegierten und jungen Menschen wohnen, Einstellungen und Lebensstile herausbilden, die nichts mehr mit der Lebenswirklichkeit der räumlich abgespaltenen Gruppen zu tun haben“. Die Forscher werfen auch die Frage auf, „ob das Erstarken der ,Alternative für Deutschland’ insbesondere in Ostdeutschland auch mit der sozialräumlichen Polarisierung zusammenhängt“.

Der Umgang mit der Segregation sei insbesondere deshalb politisch komplex, so die für Politiker unangenehme These der Studie, weil „die privilegierten sozialen Gruppen gut mit stark segregierenden Städten leben können“. Sie empfehlen der Politik unter anderem, Sozialwohnungen auch dort zu bauen, „wo Arme typischerweise nicht leben“. Zudem müssten Bildungseinrichtungen in benachteiligten Nachbarschaften besonders gefördert werden.

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Lesen Sie auch den Kommentar von Sandra Calvez: Sprengstoff

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