"Jugend rettet" will Flüchtlinge aus Mittelmeer retten: In See stechen statt rumsitzen
Statt nur zu bedauern, wollen sie jetzt selbst etwas unternehmen: Eine Gruppe von Potsdamer Studenten will zusammen mit der Initiative „Jugend Rettet“ raus aufs Mittelmeer – und Flüchtlinge in Seenot retten.
Potsdam - Auch wenn die Aufmerksamkeit in der Flüchtlingsdebatte derzeit auf der Balkanroute liegt, ändert sich an einem Fakt nichts: Über 3000 Menschen kamen im vergangenen Jahr bei der Flucht über das Mittelmeer ums Leben, allein im Januar 2016 ertranken 368 Flüchtlinge. Eine Gruppe von Potsdamer und Berliner Studenten und Schülern wollte dem nicht länger tatenlos zusehen und gründete im Juni 2015 die Initiative „Jugend Rettet“. Ihr Ziel: Ein Schiff kaufen und damit privat organisierte Seenotrettungen im Mittelmeer organisieren. „Ich finde es unerträglich, dass wir Menschen ertrinken lassen, nur weil wir sie hier nicht haben wollen und dass von staatlicher Seite so getan wird, als könne man nichts dagegen tun“, sagt Mitgründerin Lena Waldhoff.
Die 24-Jährige studiert Philosophie und Erziehungswissenschaften in Potsdam und engagiert sich seit längerem ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe. Dadurch kam sie in Kontakt zu Menschen, die die gefährliche Überfahrt über die Mittelmeerroute überlebt hatten und ihr von den extremen Bedingungen der Flucht erzählten. „Das war der Punkt, wo ich dachte: Man muss selber aktiv werden.“
Ziel: Ab Juni in See stechen
Und „Jugend Rettet“ ist bereits weit gekommen: Zwei Schiffe sind in der engeren Auswahl, beide kosten jeweils 150 000 Euro. Ursprünglich sollte diese Summe per Crowdfunding zusammenkommen, doch der Zufall kam der Initiative zu Hilfe: „Wir hatten eigentlich nur einen Antrag für 5000 Euro bei der Kreuzberger Kinderstiftung gestellt, um unser Botschafter-Netzwerk auszubauen, doch dem Stiftungsgründer hat unser Projekt so gut gefallen, dass er gesagt hat: Ich bezahle die 150 000 Euro für das Schiff, wenn ihr die Kosten für den Umbau und die laufenden Kosten des ersten Monats zusammenbekommt.“ Die betragen nach aktueller Schätzung 80 000 Euro, knapp 20 000 davon hat „Jugend Rettet“ schon durch Spenden erhalten. Der Rest muss nun bis zum 31. März gesammelt werden, damit ab Juni in See gestochen werden kann.
Derzeit besteht „Jugend Rettet“ aus rund einem Dutzend aktiver Mitglieder mit einem Büro in Berlin, dazu kommen sogenannte Botschafter in 18 deutschen Städten, die vor Ort neue Mitglieder werben, Info-Veranstaltungen durchführen und Spenden sammeln. Der Initiative ist dabei wichtig, explizit junge Menschen anzusprechen: „Deren Potential, etwas Großes anzupacken, wird leider oft vergessen“, sagt Waldhoff.
"Jugend rettet" überrascht mit Professionalität
Innerhalb von kurzer Zeit hat sich die hauptsächlich aus Studierenden und Schülern bestehende Gruppe stark professionalisiert. „Die Leute sind immer wieder überrascht, wenn sie sich das angucken und fragen dann: Habt ihr alles selbst gemacht?“, sagt Alexander Hof von „Jugend Rettet“, der in Potsdam Philosophie und Latinistik studiert. Ganz zu Anfang standen sie jedoch vor vielen Fragen: „Wie kommt man an Leute, die einem helfen? Wie hoch sind die laufenden Kosten? Wer fährt das Schiff?“, so Waldhoff.
Nach ersten Anrufen in Reedereien kam die Initiative mit Harald Zindler in Kontakt: Der Mitgründer von Greenpeace Deutschland hatte bereits für die Umweltschutz-Organisation Schiffe besorgt und bot ihnen seine Hilfe an. Klar war: Das Schiff muss über Ladekräne verfügen, um Beiboote schnell ins Wasser heben zu können, große Frischwassertanks besitzen und die Ladefläche muss groß genug sein, um bis zu 100 Menschen an Bord nehmen zu können. Schnell kristallisierte sich heraus, dass ein holländischer Fischtrawler dafür ideal ist.
Besatzungsmitglieder gesucht
Auch eine Crew mit Kapitän hat sich bereits gefunden, es werden aber nach wie vor Besatzungsmitglieder gesucht: „Es können sich gerne noch Maschinisten, Funker, Psychologen und Ärzte melden“, sagt Waldhoff. Auch Elektriker und Tischler für den Umbau des Schiffes werden gebraucht. Neben erfahrenen Seeleuten sollen aber auch „Deckhands“ mit aufs Schiff kommen, also Unterstützer, die als Helfer mit an Bord sein werden.
Insgesamt sechs Monate soll das Schiff auf der Hauptfluchtroute zwischen Libyen und Italien patrouillieren und in Seenot geratene Flüchtlinge in italienische Häfen in Sicherheit bringen. Rechtlich gesehen ist jedes Schiff, das auf in Seenot geratene Menschen stößt, verpflichtet, diese aufzunehmen. Aber wie bereitet man sich darauf vor, monatelang auf See zu sein und Menschen in Extremsituationen zu helfen? „Jugend Rettet“ ist etwa mit der Brandenburger Initiative „Seawatch“ in Kontakt, die ebenfalls mit Schiffen im Mittelmeer patrouilliert.
„Man muss sich darauf einstellen, dass auf den Booten nicht mehr alle Menschen am Leben sind, muss sich überlegen, wie man mit den Leichnamen umgeht“, sagt Waldhoff. „Man sollte auch immer mit zwei Rettungsbooten an ein Flüchtlingsboot heranfahren. Wenn man nur mit einem kommt, kann es sein, das sich alle Leute auf eine Seite drängen und das Boot kentert.“ Anders als man denken sollte, ist es auch nicht ratsam, Flüchtlinge auf Arabisch anzusprechen – weil sie dann denken könnten, die lybische Küstenwache vor sich zu haben und in Panik geraten.
"Es gibt Dinge, die so in der Lebensplanung nicht vorgesehen waren"
Für viele Mitglieder ist die Arbeit bei „Jugend Rettet“ bereits jetzt ein Vollzeitjob: „Die Uni läuft gerade eher auf Sparflamme“, sagt Alexander Hof. Bei seiner Familie wurde das Ganze erst mal mit Vorsicht aufgenommen. „Es hat einige Überzeugungsarbeit gebraucht, um zu vermitteln, dass es Dinge gibt, die so in der Lebensplanung nicht vorgesehen waren.“
Die nächste Möglichkeit, das Team von „Jugend Rettet“ zu treffen, gibt es am 15. Februar im Hausprojekt Yorck59 in Berlin, wo der Film „Asyland“ gezeigt wird.
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