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Potsdam: „Im Winter wird es bis zu minus 30 Grad kalt“

Der Potsdamer Polarforscher Roland Neuber über die Folgen des Klimawandels und schlaue Füchse

Herr Neuber, wie oft sind Sie in Ny-Ålesund auf Spitzbergen?

Dieses Jahr war ich schon drei Mal da, jeweils für zwei bis drei Wochen. In der Regel komme ich zwei Mal pro Jahr.

Woran forschen Sie?

Wir untersuchen, welche Folgen der Klimawandel auf den Lebensraum Arktis hat. Wir haben in den letzten 20 Jahren eine Erwärmung von zwei Grad Celsius gemessen. Uns interessieren vier große Themenfelder: Zum einen messen wir die Temperaturen und die Feuchtigkeit in der Luft, zum anderen observieren wir das Ökosystem des Fjords sowie die Gletscher. Hier gibt es kleine Gletscher, die ideal sind für Prozessstudien. Wir fragen uns, warum die Gletscher schmelzen. Es stellt sich heraus, dass die Temperaturerhöhung nur ein Teil der Ursache ist. Der Niederschlag hat sich erhöht, und der Regen beschleunigt das Abschmelzen.

Bei welchen Temperaturen arbeiten Sie?

Im Winter wird es bis zu minus 30 Grad kalt. Dann wird es wirklich unangenehm. Die normalkalte Wintertemperatur liegt aber bei minus 15 bis minus 20 Grad. Das ist relativ gut erträglich, weil die Luft sehr trocken ist. Wir haben aber einen Wandel beobachtet: Die Zeiten, in denen wir minus 30 Grad messen, werden immer kürzer. Heute sinkt das Thermometer nur noch im Februar so stark, vor 25 Jahren war es auch im Januar so kalt und das zog sich bis in den März. Zuletzt hatten wir wiederholt im Januar Regen, was ausgesprochen unangenehm für Mensch und Tier ist. Der Regen bildet auf dem gefrorenen Boden eine Eisschicht. Rentiere leben aber davon, dass sie den Schnee beiseiteschieben können, den gefrorenen Boden aufkratzen und so zur dünnen Moos- und Grasnarbe gelangen.

Macht es Ihnen zu schaffen, wenn im Winter gar nicht mehr die Sonne aufgeht?

Von Ende November bis Ende Januar kommt die Sonne nicht über den Horizont. Stockdunkel ist es dann aber nur, wenn es stark bewölkt ist. An klaren Tagen reichen das Sternenlicht und der Mondschein in Kombination mit der Schneeoberfläche aus, dass man sogar den ganzen Fjord und die Berge sehen kann. Deshalb kann man die Zeit gut aushalten. Anstrengender ist der Polartag im Sommer, wenn es nicht mal mehr dämmert. Dann muss man den Tagen einen Rhythmus aufzwingen. Dabei hilft das gemeinsame Essen aller Forscher in der zentralen Messe. Das gibt dem Tag Struktur und fördert gleichzeitig das Zusammengehörigkeitsgefühl und den Austausch.

Wie viele Menschen leben in Ny-Ålesund?

Im Winter sind es 30. Nur zwei norwegische Stationen und unsere werden ganzjährig betrieben. Unser Überwinterungsteam besteht aus drei Leuten. Im Sommer arbeiten im Ort bis zu 180 Menschen. Unter anderem Italien, China und Großbritannien betreiben Forschungsstationen.

Sind Sie schon einem Eisbären begegnet?

Ja, mehrmals. Aber immer nur aus sicherer Entfernung. Oft sieht man sie vom Boot aus, wie sie an der Küste entlangwandern. Einmal musste ein Eisbär erschossen werden, der in den Ort lief und sich mit keinen Mitteln vertreiben ließ. Spannender finde ich aber die Polarfüchse, die bei uns im Ort leben. Sie sind hier, weil die Weißwangengänse herkommen, um zu brüten. Für die Füchse sind die Küken und Eier interessant.

Was war bisher Ihr beeindruckendstes Erlebnis in der Arktis?

Das ist etwas, das mir erst im Nachgang klar geworden ist: In meinem ersten Jahr in der Arktis bin ich mit dem Scooter auf einem Gletscher unterwegs gewesen – einem Ausläufer einer langen Eismasse, die sich vom Land bis ins Nordpolarmeer erstreckte. Ein paar Jahre später war der Gletscher weg. In meinen ersten zehn Jahren fror der Fjord immer im Winter zu, meistens bis Ny-Ålesund. In den letzten zehn Jahren fror er nicht mehr zu. Das finde ich massiv beeindruckend. Klimawandel ist ja oft so theoretisch. Hier ist er zum Anfassen.

Das Interview führte Janet Binder

Roland Neuber (57) arbeitet am Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Potsdam. 1991 baute er maßgeblich die erste deutsche Forschungsbasis im Nordpolarmeer östlich von Grönland mit auf. 

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