Neue Stadtteilinitiative: Im Kirchsteigfeld bewegt sich was
Geflüchtete integrieren, Nachbarschaft stärken, Verwahrlosung bekämpfen: Die Initiative Kirchsteigfeld will den Stadtteil wiederbeleben. Wie das gehen soll:
Potsdam - Ein typischer Vormittag im Kirchsteigfeld: Die pastellfarbenen Fassaden der Häuser rund um den zentralen Platz an der Kirche leuchten in der Sonne, hier und da sind einige Rentner unterwegs, ab und zu fährt ein Auto vorbei. Ansonsten ist kaum jemand auf der Straße. „Man merkt es: Schlafstadt“, sagt Marcus Müller von der Initiative Kirchsteigfeld. Der 38-jährige Polizeibeamte ist Sprecher des kürzlich gegründeten Stadtteilnetzwerks und möchte die Kiezkultur der einstigen Vorzeige-Siedlung wiederbeleben.
Vier moderierte Nachbarschafts-Treffen hat die Initiative bereits durchgeführt, rund ein dutzend Leute – darunter auch drei Stadtverordnete und der Architekt Christoph Kohl, einer der Schöpfer der Modellstadt – sitzen mit am Tisch. Die Webseite www.kirchsteigfeld-potsdam.de wird stetig mit Inhalten gefüllt, der E-Mail-Verteiler des Netzwerks umfasst schon mehr als 60 Institutionen und Vereine, dazu Schulen, Kitas und Ärzte, der Stadtteilladen, der SC Potsdam und die Kirchengemeinde.
Verwahrlosung und Graffiti
Es gebe viel zu tun, sagt Müller bei einem Rundgang durch den Stadtteil. „Es gibt gewisse Verwahrlosungstendenzen“, meint er und zeigt auf Graffiti an Hauswänden. „Das gab es vor zwei, drei Jahren noch gar nicht. Mittlerweile sind sogar Graffiti an der Kirche.“ Auch Vandalismus sei ein Problem: Regelmäßig werde die Tram-Endhaltestelle Marie-Juchacz-Straße von Jugendlichen demoliert. Aber auch Themen wie die Schulwegesicherung, die Integration von Geflüchteten und Stadtteilfeste will die Initiative anpacken.
Müller wohnt seit 2001 mit seiner Familie im Kirchsteigfeld und kann sich erinnern, dass der Zusammenhalt zwischen den rund 7500 Einwohnern schon mal besser war: „Früher hat sich das Kirchsteigfeld selbst um seine Probleme gekümmert. Heute wird zwar viel gemeckert, aber nur wenige machen was.“ Vor allem mangele es an Austausch zwischen den Akteuren im Stadtteil: Jeder Verein mache seins, man arbeite zu wenig zusammen.
Integration als Initialzündung
Dies war auch der Auslöser für die Gründung der Initiative: Müller bekam mit, dass sowohl ein lokaler Hort als auch der SC Potsdam Probleme hatten, mit den Kindern von Geflüchteten zu kommunizieren, da es schlicht an Sprachkenntnissen auf beiden Seiten fehlte. Kurz davor hatte er dem Stadtteilladen einen Besuch abgestattet und dort erfahren, dass dieser über drei Dolmetscher verfügt. „Das war die Initialzündung, die Nachbarn vor Ort besser zusammenzubringen“, sagt Müller.
Die Geflüchteten sollen dabei mitgenommen werden: „Vor einem Jahr wurden viele der Gemeinschaftsunterkünfte aufgelöst und die Flüchtlinge in Wohnungen vermittelt – danach hat man sie aber allein gelassen“, findet Müller. Doch wenn man sich nicht miteinander befasse, wachse das Misstrauen.
Müller läuft die leere Marie-Hannemann-Straße entlang und zeigt auf eine Hausfassade, an der geflickte Löcher, blätternde Farbe und schwärzliche Verfärbungen zu sehen sind: „Das Kirchsteigfeld wurde zwischen 1993 und 1998 erbaut, seitdem ist nichts passiert.“ Sprich: Der Sanierungsbedarf wächst, angefangen bei Schimmel in den Wohnungen bis hin zu bröckelnden Fassaden, so Müller.
Häufige Vermieterwechsel
Ein Grund dafür seien die häufigen Vermieterwechsel: „Seit den neun Jahren, die ich hier wohne, haben schon vier Mal die Vermietergesellschaften gewechselt. Ist ja klar, dass dann nicht viel gemacht wird“, sagt die Anwohnerin Annett Kurtz. Das Unternehmen Vonovia, das seit 2017 Eigentümer von rund 1600 Wohnungen im Kirchsteigfeld ist, hat erst kürzlich für Schlagzeilen gesorgt, als zahlreiche Mieter mehrere hundert Euro Betriebskosten nachzahlen sollten. Als Berechnungsgrundlage hatte Vonovia anscheinend nicht den tatsächlichen Energieverbrauch, sondern schlicht die Quadratmeterzahl der Wohnungen verwendet.
Zahlreiche Mieter legten Widerspruch ein: „Ich sollte auch nachzahlen, aber die Vonovia hat ihre Forderung dann zurückgezogen und will nun neu berechnen“, sagt Kurtz. Auch Müller hat so seine Schwierigkeiten mit der Vonovia, die er als großen Vermieter gerne mit am Tisch des Stadtteilnetzwerkes haben möchte: „Es hat drei Monate gedauert, bis ich da mal einen richtigen Ansprechpartner bekommen habe“, sagt er. Auch der frühere Vermieter, Conwert Immobilien Invest, der von Vonovia übernommen wurde, habe im Stadtteil nicht die beste Figur gemacht: Zwischen 2010 und 2011 seien in vielen Hinterhöfen Spielplätze ohne Angabe von Gründen abgebaut worden. „Es hieß dann immer: Da kommt was Neues hin“, sagt Müller. Doch die Hinterhöfe blieben leer. Und sind es noch.
Arbeitsplätze entstanden kaum
Einst war das Kirchsteigfeld als Modellstadt mit kurzen Wegen zwischen Wohnung und Arbeit errichtet worden, doch Arbeitsplätze entstanden im Stadtteil kaum: Gewerbetreibende hatte es schwer im Stadtteil, kleinere Unternehmen mussten immer wieder aufgeben, geplante Großansiedlungen kamen nicht zustande. Anwohnerin Ina Ahrens weiß warum: „Es rentiert sich nicht, tagsüber sind ja alle arbeiten.“ Ende 2015 war sogar der Kaisers-Supermarkt an der Anni-von-Gottberg-Straße ausgezogen, erst nach zwei Jahren zog Rewe in die Räume ein. „Es ist gut, dass der Supermarkt wieder da ist“, sagt Ahrens. Rund um den Rewe-Markt konzentriert sich auch der Rest der Nahversorgung im Kirchsteigfeld: Ein Bäcker, ein Kiosk, ein griechisches Restaurant, ein Nagelstudio, Arztpraxen. Von der Anni-von-Gottberg-Straße aus sieht man Richtung der Autobahn A 115 auf eine 13 Hektar große Grünfläche: „Da passiert auch seit Jahren nichts“, sagt Müller.
Dort war unter dem Titel „Drewitz-Park“ 2011 ein Gewerbegebiet mit einem Baumarkt, einem Möbelhaus oder einem Decathlon-Markt geplant, inklusive Autobahnzufahrt und Tankstelle. Widerstand von Anwohnern und Stadtverordneten kippte das von Anfang an umstrittene Projekt, unter anderem weil für die Erschließung des Gebietes fünf Hektar Wald gerodet werden sollten.
Aus dem Dornröschenschlaf erwecken
„Ich habe das Gefühl, dass wir hier ein bisschen vergessen werden“, sagt Burghardt Kohlrusch. Der 63-Jährige wohnt gern im Kirchsteigfeld: „Ich bin vor 13 Jahren hergezogen, weil es wirklich schön hier fand, und ich liebe es immer noch!" Auch Marcus Müller von der Initiative Kirchsteigfeld sieht das Potenzial des Stadtteils, den er aus dem Dornröschenschlaf erwecken will: „Der Fokus der Stadt liegt sehr auf Stadtteilen wie dem Bornstedter Feld oder Drewitz, wo viel passiert. Man muss das Kirchsteigfeld wieder mehr ins Bewusstsein holen.“ Die ersten Schritte sind gemacht, weitere sollen folgen: Für den Frühling plant die Initiative ein Kulturfrühstück am Hirtengraben, zu dem die ganze Nachbarschaft eingeladen ist.
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