PNN-Serie: Wir im Staudenhof: Im „Arbeiterschließfach“
Über die Zukunft des Wohnblocks Staudenhof diskutiert Potsdam seit Jahren. Doch wer lebt dort eigentlich? Wir stellen zehn Bewohner vor. Heute: Zu Gast bei Thomas.
Potsdam - Thomas hat für seine Nachbarn sogar ein Schild mit Öffnungszeiten drucken lassen: Montag bis Freitag 8 Uhr bis 12.30 Uhr sowie 14 bis 18 Uhr steht dort, jeweils „nur mit Termin“, und das auch noch rot unterstrichen. Auf den ersten Blick wähnt sich der Besucher, der in dem langen Gang vor Thomas’ Wohnungstür steht, tatsächlich wie vor einer Amtsstube. Doch es ist die Tür zu einer der vielen kleinen Ein-Zimmer-Wohnungen im Staudenhof.
Schon seit 15 Jahren lebt Thomas hier, in diesem Gang, hinter dieser Tür. Die langen Haare hat er zum Zopf gebunden, auf dem Kopf sitzt wie immer ein Käppi. Auf das Schild angesprochen, legt der 48-Jährige sein breites, sympathisches Grinsen auf und winkt ab. „Eine zeitlang hat das überhand genommen. Mal ’ne Schraube hier, einen Rat da, ich bin hier eben bekannt wie ein bunter Hund.“ Deshalb hängt dort das Schild, das wohl auch ein bisschen ironisch gemeint ist, aber so genau weiß man das bei Thomas nie.
Bevor er in den Staudenhof kam, wohnte Thomas mit Frau und Kindern in einem Einfamilienhaus, wie er erzählt. „Mit allem Drum und Dran.“ Doch dann kam die Scheidung, das Eigenheim wurde verkauft, er suchte auf die Schnelle eine günstige Wohnung. „Ich wollte in der Nähe meiner Kinder sein, und die waren in Babelsberg“, sagt Thomas. „So bin ich hier gelandet.“ In einem „Arbeiterschließfach“, wie er die vielen 30-Quadratmeterwohnungen hier im Staudenhof mit einem Augenzwinkern nennt.
Anfangs bekam er immer nur Jahresverträge von der Eigentümerin des Gebäudes, der städtischen Pro Potsdam, erinnert er sich. „Die Abrissgerüchte existierten ja damals schon, wahrscheinlich deshalb.“ Doch irgendwann gab es auch für ihn einen unbefristeten Vertrag. „Ich hab die Kartons mittlerweile ausgepackt“, sagt Thomas und lacht.
Er kommt schnell mit Menschen in Kontakt
Das tut er ohnehin viel, er hat ein einnehmendes Wesen und kommt schnell mit Menschen in Kontakt – das mit dem „bunten Hund“ glaubt man ihm sofort. Dem Besuch seine kleine Wohnung zeigen will er heute aber lieber nicht, er schlägt stattdessen ein Treffen unten im „Café“ vor, wie viele hier den Quartierstreff Staudenhof nennen, der 2014 im Erdgeschoss des Wohnblocks eingerichtet wurde und vom Verein Soziale Stadt betrieben wird.
Tatjana, die Chefin hier, sei ein Glücksfall für den Staudenhof gewesen, sagt Thomas. „Sie hierher zu holen, war die beste Idee.“ Tatjana, einst von der Krim nach Deutschland geflüchtet, hat Kontakt zu vielen Nachbarn und immer ein offenes Ohr. Außerdem hat sie die Freifläche vor dem Quartierstreff im Erdgeschoss mit Pflanzen gestaltet – die Böschung hinunter zur Rampe und die großen Betontröge, die zuvor vollkommen vertrocknet und verwahrlost waren. „Da habe ich auch ein bisschen mitgeholfen“, sagt Thomas. Schließlich ist er Profi. Facharbeiter für Grünanlagen und Landschaftsarchitektur hat er zu DDR-Zeiten gelernt. „Man könnte auch sagen, ich bin Gärtner“, fügt er hinzu.
Müll statt Grün
Dass es den Quartierstreff gibt, sei wichtig für das Haus, sagt Thomas, schließlich sei der Zusammenhalt im Staudenhof in den vergangenen Jahren immer weniger geworden. Früher habe es auf jeder Etage bei den Aufzügen noch eine kleine Sitzecke mit Stühlen und „ein bisschen Grün“ gegeben, wo sich die Nachbarn treffen und austauschen konnten. „Dann kamen irgendwelche Brandschutzbestimmungen. Und jetzt liegt da nur noch Müll rum.“
Thomas kennt den Staudenhof sogar noch länger als die 15 Jahre, die er nun dort wohnt. Schon in den 1980er-Jahren hat er im eigentlichen Staudenhof, also dem begrünten Innenhof vor dem Plattenbau, der nun schon abgerissen wurde, mit anderen Punks abgehangen. „Da war man nicht so auf dem Präsentierteller wie auf dem Platz der Einheit“, erklärt er. Und der Weg zur Gaststätte „Havelblick“ sei nicht weit gewesen, sagt er und deutet mit dem Kopf Richtung Lustgarten. „Dort gab es den halben Liter Bier für wenig Geld.“
Ein Abriss würde gerade den Älteren "ans Herz" gehen, sagt Thomas
Dass bald womöglich auch der Wohnblock selbst abgerissen wird, findet Thomas nicht gut. „Für mich persönlich wäre es nicht so schlimm, ich habe schon an vielen verschiedenen Orten gewohnt und nicht so eine starke emotionale Bindung zu dem Haus“, sagt er. Aber vielen Älteren würde es sicher „ans Herz“ gehen, glaubt der 48-Jährige. „Die haben hier ihren Hausarzt, ihre Apotheke, ihre gewohnten Wege.“ Manche seien auch krank, hätten Probleme mit dem Laufen – und seien auf ein barrierefreies Haus wie den Staudenhof angewiesen, das auf der Seite Richtung Bibliothek über eine Rampe zu erreichen und mit einem Aufzug ausgestattet ist.
Dazu kommen die hohen Mietpreise, die mittlerweile auch weiter außerhalb des Potsdamer Stadtzentrums bei Neuvermietung aufgerufen werden. „Das können die sich nicht leisten.“
HINTERGRUND
Der Wohnblock mit der Adresse Am Alten Markt 10 wurde 1971 bezogen. Benannt ist er nach der gleichnamigen, bereits abgerissenen Grünfläche.
182 Wohnungen gibt es in dem Wohnblock, die meisten haben ein Zimmer und sind genau 30,25 Quadratmeter groß. Nur einige wenige an der nordwestlichen Gebäudeecke haben vier Zimmer und rund 100 Quadratmeter - wie jene von Ludmila und ihrer Familie. 30 Wohnungen werden außerdem als Flüchtlingsunterkunft genutzt, der sogenannte Wohnungsverbund wurde 2014 gestartet.
Wie es mit dem lange unsaniertem Bau weitergeht, ist noch nicht entschieden. Die Eigentümerin, die kommunale Pro Potsdam, favorisiert einen Abriss. Auch viele Stadtpolitiker sind gegen Erhalt und Sanierung.
Die nächste Folge der Serie erscheint am Dienstag. Dann stellen wir den Bewohner Jakob vor. Wenn Sie keine Folge verpassen wollen, lesen Sie bis zu 30 Tage gratis zur Probe.
Die nächste Folge der Serie erscheint am Dienstag. Dann stellen wir den Bewohner Jakob vor.