Potsdam: Ihr Kinderlein kommet
Junges Leben, alte Kirche – in der Evangelischen Kirchengemeinde Groß Glienicke legt man Wert auf musikalische Angebote
Rund 1500 Mal findet sich das Wort „Kinder“ in der Bibel. Längst nicht immer sind damit die lieben Kleinen gemeint. Bisweilen ist von den „Kindern Israels“ die Rede, also den Israeliten. Auch von den „Menschenkindern“ kann man in der Heiligen Schrift lesen. Und da, wo es um ganz verdorbenen Lebenswandel geht, haben gar die „Hurenkinder“ Eingang ins Alte Testament gefunden. Um kräftige Sprache war man schon früher nicht verlegen. Im Neuen Testament findet sich hingegen eines der bekanntesten Jesus-Worte, in dem ebenfalls die Kinder angesprochen sind: „Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes“, heißt es im Markusevangelium.
Und Kinder sind es auch, die in der Groß Glienicker Kirchengemeinde am nordöstlichen Rand Potsdams recht zahlreich sind. Unter den 860 Gemeindemitgliedern seien mehr als 100 Kinder im Alter bis 14 Jahren, berichtet Pfarrerin Gundula Zachow. Viele Familien mit kleinen Kindern seien in den letzten Jahren nach Groß Glienicke gezogen, sagt die Pastorin. Das wirkt sich nun auch in der demografischen Entwicklung innerhalb der Kirchengemeinde aus. Im vergangenen Jahr ließen sich sechs junge Menschen in der Dorfkirche konfirmieren, in diesem Jahr werden es voraussichtlich sieben sein. Und für 2018 rechnet Zachow mit einem steilen Anstieg dieser Zahl. 23 junge Leute wollen sich dann in Groß Glienicke konfirmieren lassen. Erklären kann sich Zachow diesen Zahlensprung selbst nicht so recht. Das Bild von vergreisenden Kirchengemeinden stimmt hier in Groß Glienicke jedenfalls nicht. „Im Vergleich zu anderen Gemeinden relativ jung“, sagt Zachow über die ihr anvertraute Schar der Gläubigen. Sonntags im Gottesdienst ist die Zahl der Gläubigen dennoch eher überschaubar: Etwa 30 Gottesdienstbesucher – vom Kleinkind bis zum Greis – kommen an normalen Sonntagen durchschnittlich in die Kirche, schätzt die Pfarrerin.
Für die Allerkleinsten gibt es eine Krabbelgruppe, die sich in der Regel jeden Donnerstagvormittag im evangelischen Gemeindehaus neben der alten Dorfkirche trifft. Regelmäßig mit dabei ist auch die Groß Glienickerin Nicole Natzke, die mit ihrer Tochter Charlotte hierher kommt. Die Kinder, die zumeist im Alter von vier bis 20 Monaten sind, können hier miteinander spielen, die Mütter tauschen nebenbei untereinander ihre Erfahrungen mit dem Nachwuchs aus. „Über alles eigentlich“ unterhalte man sich, sagt Natzke. Natürlich geht es dabei zuallererst ums Kind – um Fragen zum Kitaplatz, auch um Stillzeiten oder was zu tun ist, wenn das Kind unter Schmerzen die ersten Zähne bekommt. Auch über ökologische Kinderbekleidung habe man schon gesprochen, sagt Verena Schlegel, die mit ihrem Sohn Fritz von ihrem Wohnort Fahrland aus extra zur Krabbelgruppe nach Groß Glienicke fährt. „Es ist eigentlich mehr ein familiäres Zusammensein“, beschreibt Schlegel die Zusammenkünfte. Ungefähr fünf bis sechs Mütter mit ihren kleinen Kindern kämen an einem durchschnittlichen Donnerstag zur Krabbelgruppe ins Gemeindehaus.
Vorbereitet werden die wöchentlichen Treffen von Wilma Stuhr. Die 73-Jährige wohnt seit gut drei Jahren in Groß Glienicke, hat vorher im Westteil Berlins gelebt, davor in Westdeutschland. Mit ihrem Mann und ihrer Schwiegermutter hatte sie einst ein Fuhrunternehmen. So erzählt es Wilma Stuhr, wenn man sie danach fragt – doch an diesem Donnerstag im März im evangelischen Gemeindehaus von Groß Glienicke ist das nicht wichtig. Hier zählt jetzt nur das Wohl der Kinder und ihrer Mütter. Stuhr sorgt dafür, dass es allen möglichst gut geht. An diesem Donnerstag hat sie Obst und Gemüse mitgebracht – Gurke, Apfel, Möhre und Banane. Die Stücke liegen auf einem Teller.
Das Leben in der Kirchengemeinde könnte nach Ansicht von Wilma Stuhr lebendiger sein – jedenfalls was den sonntäglichen Gottesdienstbesuch anbelangt. Die Kirche sei sonntags oftmals fast leer. An ganz normalen Sonntagen säßen zuweilen keine 20 Besucher in den Bankreihen, schätzt Stuhr. Und sogleich kommt sie auf die kirchenfeindliche Staatspraxis der DDR zu sprechen. Schließlich war in sozialistischen Zeiten die Kirchenzugehörigkeit von Menschen, etwa in den Schulen, nicht gern gesehen. „Unser lieber Herr Honni wollte das nicht“, bringt die Ehrenamtlerin die Kirchenferne des DDR-Staats auf den Punkt.
Mit ihrer Tätigkeit in der Kirchengemeinde, so Stuhr, wolle sie dazu beitragen, „dass der Glaube weitergegeben wird“. Außer Pfarrerin Gundula Zachow soll sich eigentlich auch ein weiterer bezahlter Mitarbeiter der Kirchengemeinde um jene Weitergabe des Glaubens an die junge Generation kümmern. Eine halbe Diakonstelle für die Arbeit mit Kindern sei sogar im Stellenplan vorhanden, sagt Zachow. Doch es ist schwer, jemanden für diesen Job zu finden. Seit April letzten Jahres versuche man, die Stelle zu besetzen. Seit Kurzem liege wenigstens eine Bewerbung vor. Zachow, die in Groß Glienicke eine 60-prozentige Pfarrstelle innehat, erhält derzeit für die Arbeit mit Kindern eine vorübergehende Unterstützung durch eine bezahlte Teilzeitkraft – aber eben nur als Zwischenlösung.
Während das zeitliche Ende dieser Personal-Baustelle in der Groß Glienicker Kirchengemeinde noch nicht klar absehbar ist, geht es auf einer anderen Baustelle deutlich voran: Die Schwammsanierung an der Westwand der alten Dorfkirche hat bereits große Fortschritte gemacht. Mit einem Mikrowellenverfahren, bei dem die befallenen, aber noch zu rettenden Bauteile auf 80 Grad Celsius erhitzt wurden, sei man dem Echten Hausschwamm zu Leibe gerückt, erzählt der Gemeindekirchenratsvorsitzende Burkhard Radtke. Was gar nicht mehr zu retten war, wurde ausgetauscht. Ein großer Balken an der Empore zum Beispiel, der vom Kirchenschiff aus gut sichtbar ist, wurde komplett neu eingezogen. Denn nicht nur die Wand, sondern auch die Empore mit der darauf stehenden Schuke-Orgel von 1929 war vom Schwamm befallen. Allein die statische Sanierung von Wand und Empore habe 140 000 Euro gekostet, so Radtke. Der Restaurator Janko Barthold arbeitet derzeit an der Vervollkommnung des historischen Gemäuers und der Empore. Auch der Orgelprospekt muss noch restauriert werden. Radtke hofft, dass die Restaurierung von Westwand, Empore und Orgel bis zum September dieses Jahres abgeschlossen werden kann. Ob das wirklich zu schaffen ist, sei aber keineswegs sicher.
Verschiedene andere Ausstattungsgegenstände in der Kirche, wie die sehr farbig gestaltete Taufe von 1639 und die ebenfalls farbenfrohe Kanzel, die aus dem Jahre 1680 stammt, wurden in den zurückliegenden Jahren restauriert. Auffällig ist auch, dass es außer den zwei vorhandenen Orgeln ein weiteres Instrument, nämlich einen Flügel in der Kirche gibt. Die Musik bilde einen Schwerpunkt in der Gemeinde, sagt Radtke. Vom Flügel aus werden bisweilen Taizé-Gesänge begleitet. Auch Kosakenchorkonzerte finden in dem Gotteshaus statt. „Da ist die Kirche dann so was von voll“, sagt Radtke.
Text: Holger Catenhusen Fotos: Andreas Klaer
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