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Helga ist ein Urgestein im Staudenhof, seit 20 Jahren wohnt sie dort.
© Andreas Klaer

PNN-Serie: Wir im Staudenhof: „Ich wollte ins Gewühle“

Über die Zukunft des Wohnblocks Staudenhof diskutiert Potsdam seit Jahren. Doch wer lebt dort eigentlich? Wir stellen zehn Bewohner vor. Heute: Zu Gast bei Helga (78).

Potsdam - Helga ist gekommen, um zu bleiben. Das Sofa und der Wandschrank in ihrem kleinen Wohn- und Schlafzimmer sind perfekt aufeinander abgestimmt und füllen den kleinen Raum ideal aus, das praktische Klappbett an der Wand ist tagsüber als Sideboard getarnt und dient als Abstellfläche für Nippes und Vasen. Die Küche hat sie sogar eigens anfertigen lassen – um keinen der wenigen ihrer 30,25 Quadratmeter zu verschenken.

Seit 20 Jahren wohnt sie in der Ein-Zimmer-Wohnung

Ziemlich genau 20 Jahre ist es jetzt her, dass Helga in den Staudenhof gezogen ist – in eine der vielen kleinen Ein-Zimmer-Wohnungen. Mit ihrem Mann hatte sie zuvor in Rehbrücke gewohnt, doch als er starb, wurde ihr die Wohnung zu groß. „Und ich wollte mehr ins Zentrum. Ins Gewühle.“

In der Nachbarschaft des Staudenhofs wurde die FH abgerissen. 
In der Nachbarschaft des Staudenhofs wurde die FH abgerissen. 
© PNN / Ottmar Winter

Dass Helga im „Gewühle“ bestens aufgehoben ist, merkt man bei einem Gespräch mit ihr schnell. Die 78-Jährige ist interessiert, aktiv, ein kontaktfreudiger Mensch. Auch im Staudenhof kennt sie viele und weiß, an wen sie sich wenden kann, wenn sie mal Hilfe braucht. Gerade zum Beispiel ist ein Nachbar bei ihr, um ihren Fernseher zu reparieren – die Sender waren plötzlich nicht mehr da. Während Helga sich auf dem Sofa unterhält, hat er den Sessel vor den Apparat geschoben und drückt auf der Fernbedienung herum. Mehrmals will er das Handtuch schmeißen, aber Helga lässt ihn nicht ziehen. „Das schaffen Sie doch!“, muntert sie den Mann Mitte 50 auf. Und er probiert weiter, bis endlich alles wieder funktioniert.

Gute Bekannte sind inzwischen ausgezogen

Die Seniorin lässt sich eben nicht so leicht abwimmeln. Auch als bekannt wurde, dass der Staudenhof womöglich abgerissen werden soll, dachte sie nicht daran, sofort das Handtuch zu werfen. Viele der anderen älteren Bewohner seien damals ausgezogen, als die Pläne bekannt wurden, erinnert sie sich. „Ins Altersheim oder in die Nähe der Kinder, je nachdem.“ Auch gute Bekannte waren darunter, für Helga ein Verlust. Doch sie wollte das nicht einfach so hinnehmen. „Die können uns ja nicht einfach so rausschmeißen“, findet sie. Immerhin habe sie einen unbefristeten Mietvertrag.

Bei der Unterschriftensammlung, die einst gegen den Abriss gestartet wurde, habe sie sofort mitgemacht. „Ich hab’ den jungen Leuten damals auch gesagt, dass sie gern ein Transparent an meinen Balkon hängen können.“ Zustande gekommen sei das dann aber nicht. „Ich finde, man muss sich wehren und den Mund aufmachen.“

Von den Flüchtlingen im Haus hat sie inzwischen ein anderes Bild

Das hat Helga auch, als einige Wohnungen im Staudenhof zu Flüchtlingsunterkünften wurden – der sogenannte Verbund aus mehreren Wohnungen in verschiedenen Etagen ging am 1. Juni 2014 an den Start. Bis heute werden Flüchtlinge hier statt in Gemeinschaftsunterkünften untergerbacht, in mittlerweile 30 Wohnungen im ganzen Block. Bei einer kurz vorher einberufenen Anwohnerversammlung hatten sich damals mehrere vor allem ältere Staudenhof-Bewohner sehr kritisch darüber geäußert. „Ich hab’ mich da auch gemeldet“, sagt Helga unumwunden. „Ich dachte, das wird viel zu laut, wenn die Ausländer hier wohnen.“ Heute hat sie ein anderes Bild von den neuen Nachbarn. „Die grüßen immer sehr freundlich und Probleme gibt es überhaupt keine. Das hätte ich nicht gedacht.“ Schade findet sie nur, dass man sich nicht unterhalten könne – wegen der Sprache.

Überhaupt, die Unterhaltungen seien ohnehin weniger geworden unter den Nachbarn im Staudenhof, sagt Helga. Früher habe sie öfter mit einer der anderen älteren Damen im Eingangsbereich auf der breiten Fensterbank gesessen und sich über das Neueste aus dem Haus ausgetauscht. „Oder einfach Leute beobachtet“, sagt sie grinsend. Das komme heute nicht mehr vor. Dafür ist Helga öfter mal im Quartierstreff, der im Erdgeschoss eingerichtet wurde, auch Chefin Tatjana kennt sie natürlich. „Wir erzählen ihr unsere Sorgen, und sie uns ihre“, sagt Helga.

Helga mag ihren Wohnblock

Auch der Abriss sei immer wieder Thema unter den Bewohnern, und Helga ist gut informiert: „In der Zeitung stand ja, dass wir in der Mitte bleiben können“, sagt sie. Tatsächlich hat die Eigentümerin des DDR-Wohnblocks, die kommunale Bauholding Pro Potsdam, in Aussicht gestellt, dass die Staudenhof-Bewohner im Falle eines Abrisses in einen der Neubauten ziehen dürfen, die auf der Fläche der bereits abgerissenen Fachhochschule entstehen sollen. „Ich nehm’ die beim Wort“, sagt Helga. „Wenn die uns hier raushaben wollen, müssen die uns was anbieten.“

Helga mag ihre Wohnung, sie ist günstig und die Lage ist aus ihrer Sicht perfekt. „Wir sind mitten in der Stadt, und trotzdem ist es ruhig.“ Außerdem ist der Wohnblock weitgehend barrierefrei, seit einer Verletzung ist sie auf einen Rollator angewiesen. Eine kleine Mieterhöhung im Falle eines Umzugs nach nebenan könne sie verkraften, aber sehr viel mehr auch nicht. „Dann müsste ich an den Schlaatz ziehen. Aber da will doch keiner hin.“

HINTERGRUND 

Der Wohnblock mit der Adresse Am Alten Markt 10 wurde 1971 bezogen. Benannt ist er nach der gleichnamigen, bereits abgerissenen Grünfläche.  

182 Wohnungen gibt es in dem Wohnblock, die meisten haben ein Zimmer und sind genau 30,25 Quadratmeter groß. Nur einige wenige an der nordwestlichen Gebäudeecke haben vier Zimmer und rund 100 Quadratmeter - wie jene von Ludmila und ihrer Familie. 30 Wohnungen werden außerdem als Flüchtlingsunterkunft genutzt, der sogenannte Wohnungsverbund wurde 2014 gestartet. 

Wie es mit dem lange unsaniertem Bau weitergeht, ist noch nicht entschieden. Die Eigentümerin, die kommunale Pro Potsdam, favorisiert einen Abriss. Auch viele Stadtpolitiker sind gegen Erhalt und Sanierung. 

Die nächste Folge der Serie erscheint am Donnerstag. Dann stellen wir den Bewohner Baghlani vor. Wenn Sie keine Folge verpassen wollen, lesen Sie bis zu 30 Tage gratis zur Probe.

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