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Wachstum durch Klimaschutz: „Ich setze auf die Kraft der Vernunft“

Der Potsdamer Klimaökonom Ottmar Edenhofer über die Notwendigkeit eines gerechten CO2-Preises, den Kohleausstieg, effektive und faire Klimapolitik und die Aufgaben der UN-Klimakonferenz in Bonn „Ein Preis für Kohlendioxid wird Innovationen entfesseln“.

Herr Edenhofer, die Klimapolitik steht auf der UN-Klimakonferenz in Bonn einmal mehr am Scheideweg. Ist man dabei seit Paris überhaupt vorangekommen?

Es gibt Fortschritte, aber angesichts der Klimarisiken sind sie zu langsam. Nach dem von US-Präsident Trump angekündigten Austritt aus dem Pariser Abkommen hat es keine weiteren Nachahmer gegeben, sondern die Staatengemeinschaft hat weltweit die Reihen geschlossen. Nur müssen wir jetzt dringend von den hehren Klimazielen zu harten Emissionsreduktionen kommen. Der Bonner Gipfel soll hierfür ein Regelwerk entwickeln helfen. Aus meiner Sicht als Ökonom wäre ein CO2-Mindestpreis die effizienteste Maßnahme. Interessanterweise haben 81 Staaten irgendeine solche Bepreisung in ihren vorgelegten Plänen drin, allerdings in sehr unterschiedlicher Ausprägung. Der europäische Emissionshandel etwa ist zu schwach. Aber wenn Deutschland mit Frankreich, Schweden, den Niederlanden hier voran gehen würde, könnte das viel bewirken.

Die Menge an Kohlendioxid (CO2), die zur Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels bis 2100 noch in die Atmosphäre gelangen darf, soll nach neuen Erkenntnissen größer sein, als bislang angenommen. Haben wir also Zeit gewonnen?

Leider nein. Die betreffenden Forscher hatten zu der Studie die optimistischsten Einschätzungen zur Erhöhung der globalen Mitteltemperatur als Grundlage genommen. Wir sollten hier jedoch das Vorsichtsprinzip walten lassen: Wenn beispielsweise die Zwei-Grad-Grenze der globalen Erwärmung noch mit einer mittleren Wahrscheinlichkeit eingehalten werden soll, dürfen nur noch knapp 800 Gigatonnen CO2 in die Atmosphäre ablagert werden. Doch die Welt emittiert noch immer jedes Jahr aufs Neue rund 40 Gigatonnen CO2. Und so schrumpft das verbleibende Budget rapide. Die Krux des Klimaproblems ist, dass sich im Boden noch rund 15 000 Gigatonnen CO2 in Form von Kohle, Öl und Gas im Boden befinden. Nicht die fossilen Energieträger im 21. Jahrhundert sind knapp, sondern die Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre für die Treibhausgase. Das ist das Kernproblem der gesamten Klima- und Umweltpolitik.

Sie erwarten von einer neuen Bundesregierung einen sofortigen Kohleausstieg?

Wenn Deutschland seine selbst gesetzten Klimaziele ernst nimmt, um die größten Klimarisiken noch zu vermeiden, dann müssen wir noch in dieser Legislaturperiode den Einstieg in den Kohleausstieg schaffen. Ein Preis von 30 bis 40 Euro pro Tonne CO2 würde dazu führen, dass die Kohle kosteneffizient vom Netz gehen würde. Ein ordnungsrechtlicher Ausstieg aus der Kohle hingegen wäre teurer, weil die Kraftwerksbetreiber entschädigt werde müssten. Ob das verteilungspolitisch sinnvoll wäre, bezweifle ich.

Was passiert mit den Kohlearbeitsplätzen?

Man wird den Strukturwandel durch Sozialpläne und durch Regionalpolitik abfedern müssen. Dabei sollte man nicht vergessen, dass ein Strukturwandel in der Lausitz schon seit zwei Dekaden im vollen Gange ist. Deutschland kann von einem Kohleausstieg profitieren: Gerade die Digitalisierung bietet eine große Möglichkeit, den Stromsektor zu modernisieren. Vor allem aber sollte Deutschland die Chance der Elektromobilität nutzen, die jedoch nur dann sinnvoll ist, wenn der Stromsektor emissionsfrei wird.

Die Emissionen alleine zu senken, reicht nach Ihrer Auffassung aber nicht aus.

Für ehrgeizige Klimaschutzziele benötigen wir in der Tat zusätzlich negative Emissionen, weil sich zum Beispiel bestimmte industrielle Prozessemissionen kaum vermeiden lassen. Negative Emissionen entstehen, wenn der Atmosphäre etwa durch Aufforstung Kohlendioxid entzogen wird. Man könnte auch Pflanzen zur Erzeugung von Wärme oder Strom verwerten und das dabei freiwerdende CO2 unterirdisch speichern. Es gibt weitere Optionen, etwa durch Verwitterung von Mineralien der Luft CO2 zu entziehen. Auch werden chemische Verfahren diskutiert. Hier ist noch viel Forschung und Entwicklung nötig. Da niemand weiß, ob und in welchem Umfang diese Verfahren funktionieren, wäre es auf jeden Fall fahrlässig, die Verminderung von Emissionen weiter zu verzögern.

Bei der Elektromobilität tritt man mehr oder weniger auf der Stelle.

Elektromobilität ist nur dann sinnvoll, wenn der gesamte Stromsektor auf erneuerbare Energien umgestellt wird. Da durch E-Mobilität die Stromnachfrage steigen wird, sind Effizienzsteigerungen unverzichtbar. Das Innovationspotenzial der Elektromobilität macht den Kohleausstieg so dringend.

Die Elektrifizierung des Transportsektors ist nicht unumstritten.

Weil sie zu lange dauert. In der OECD erneuert sich die Fahrzeugflotte alle 15 Jahre. Wenn also 2035 der letzte Verbrennungsmotor zugelassen würde, wäre der Individualverkehr 2050 CO2-frei. Allerdings muss der Staat helfen, dass ausreichend in die Infrastruktur investiert wird. Ohne genügend Ladestationen wird sich die Elektromobilität nicht durchsetzen.

Hat der Verbrennungsmotor nicht vielleicht doch eine Zukunft, mit CO2-neutralen Kraftstoffen?

Synthetische Kraftstoffe und Wasserstoff sind eine Option. Prognosen über den technischen Fortschritt sind aber meist falsch. Darum bin ich dafür, dass wir einen Mindestpreis auf CO2 einführen, um Innovationen zu entfesseln.

Sie fordern auch ein Ende der Diesel-Subventionen.

Ja, alleine das Streichen der Steuervorteile für Dieselmotoren würde die Emissionen in Europa um zehn Prozent senken. Bis 2020 würden damit die Ziele der EU-Kommission in Reichweite gelangen. Ein niedriger Ölpreis macht die Verminderung von Emissionen im Verkehrssektor sehr schwierig.

Was bedeutet?

Dass wir einen steigenden CO2-Preis brauchen, der diesen Effekt abfängt. Bei einem steigenden Ölpreis lohnt sich Elektromobilität; ist der Ölpreis niedrig, so machen Benziner und Diesel das Rennen. Auch wenn ein Enddatum für den Verbrennungsmotor festgelegt wird, können bis zu diesem Endzeitpunkt durch Steuerpolitik die Emissionen sehr stark beeinflusst werden. Eine ausschließliche Fixierung auf einen Endzeitpunkt ist da nicht hilfreich. Die niedrigen Preise für Gas und Kohle können auch Wind- und Solarenergie das Leben schwer machen. Wenn es zu steigenden Zinsen kommt, werden sie besonders davon betroffen, weil bei den erneuerbaren Energien der Anteil der Kapitalkosten höher ist als bei den fossilen Kraftwerken. In den Entwicklungsländern fordern Investoren hohe Risikoaufschläge, was den Ausbau der erneuerbaren Energien erschwert.

Das klingt wie ein Argument gegen die erneuerbaren Energien?

Nein, es ist nur ein Argument dafür, warum CO2-Preise wichtig sind. Niedrige Kohle-, Gas- und Ölpreise verbunden mit steigenden Zinsen verlangen steigende CO2-Preise, wenn die Emissionsreduktion gelingen soll. Ein Anstieg der Zinsen um wenige Prozentpunkte kann den technischen Fortschritt der letzten zehn Jahre bei den Erneuerbaren zunichtemachen.

Immerhin rudern die großen Kohlenutzer zurück.

Die aktuellen Daten zeigen tatsächlich, dass China und Indien im vergangenen Jahr die Ausbaupläne für Kohle zurückgefahren haben. Allerdings hat die Türkei die Ausbaupläne erhöht, ebenso Ägypten oder Indonesien. Die geplanten und bereits existierenden Kohlekraftwerke würden über ihre ökonomische Lebenszeit hinweg etwa 330 Gigatonnen verbrauchen – das ist ganz grob fast die Hälfte des verbleibenden Kohlenstoffbudgets der Menschheit. Die Kohlefrage ist für den internationalen Klimaschutz zentral. Darum ist ein Preis für Kohlendioxid so wichtig.

Das fordern Sie seit vielen Jahren – jedoch offenbar ohne viel Erfolg.

Das stimmt nicht. Es gibt heute ein internationales Bündnis von Zivilgesellschaft und Industrie, das einen Preis für Kohlenstoff unterstützt und die Abschaffung der Subventionen für fossile Energieträger fordert. Die Klimapolitik sollte nicht gegen die Marktkräfte segeln, sondern sollte die Marktkräfte im Rücken haben. Erst wenn es einen CO2-Preis gibt, wird der technische Fortschritt Energie-, Ressourcen- und Kohlenstoffeffizienz erhöhen. Ein CO2-Preis belastet zugleich die Nutzung der fossilen Energieträger und sorgt für zusätzliche Einnahmen.

Sie widersprechen Ökonomen, die sagen, dass der CO2-Preis in erster Linie eine Frage der Effizienz ist.

Ich widerspreche nicht in erster Linie den Ökonomen, sondern vor allem Ingenieuren, die glauben, technische Durchbrüche allein werden das Klimaproblem lösen. Wenn die Kosten der erneuerbaren Energien wegen der technischen Durchbrüche sinken, werden erneuerbare Energien verstärkt genutzt. Da dann aber auch der Preis der fossilen Energieträger sinkt, steigt auch bei diesen die Nachfrage. Mit dem Ergebnis: Die Emissionen steigen trotz der technischen Durchbrüche. Dieser Effekt kann nur durch einen CO2-Preis unterbunden werden. In der Tat ist es aber so, dass hohe CO2-Preise vor allem die Haushalte mit geringem Einkommen überproportional belasten. Man kann die Haushalte durch Senkung der Einkommenssteuer oder durch Rückerstattung der Einnahmen entlasten. CO2-Preise können nur durchgesetzt werden, wenn sie sozial gerecht ausgestaltet werden.

Aber?

Es ist schwieriger zwischen armen und reichen Ländern einen Ausgleich herzustellen. Nigeria wird sich einen CO2-Preis von 50 Euro pro Tonne Kohlendioxid nicht leisten können. Aber wir werden hohe CO2-Preise benötigen, wenn wir die Klimaziele des Abkommens von Paris erreichen wollen. Das wird nur gehen, wenn sich die reichen Länder an den Umstellungskosten beteiligen. Das wäre aus meiner Sicht die entscheidende Aufgabe der internationalen Klimafinanzierung. Sie wird vor allem den Schwellenländern helfen müssen, bessere Steuer- und Transfersysteme aufzubauen, die vor allem die Ärmsten schützen.

Und wenn das nicht geschieht?

Daran müssen wir arbeiten. Wir müssen die Finanzminister davon überzeugen, dass durch CO2-Steuern nicht nur Emissionen reduziert werden, sondern auch Einnahmen geschaffen werden, die für notwendige Infrastrukturmaßnahmen verwendet werden können.

Ist ein globaler Preis für Kohlendioxid überhaupt möglich?

Nein. Aber wir brauchen auch keinen globalen CO2-Preis. Es geht vielmehr darum, dass die verschiedenen Nationen ihre eigenen CO2-Preise festlegen, die schrittweise erhöht werden. Diese Preise müssen einander näher kommen, sonst ist die Zwei-Grad-Grenze nicht zu halten.

Von welcher Höhe sprechen wir bei einem CO2-Preis?

Für den Weltbank-Bericht sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es sinnvoll wäre, wenn bis 2020 alle Länder die Tonne Kohlendioxid in einer Spanne von 40 bis 80 Dollar bepreisen. Das wäre dann mit der Zwei-Grad-Grenze kompatibel. Ein Ausstieg aus der Kohle wäre schon bei 30 bis 40 Euro pro Tonne Kohlendioxid möglich.

Ist ein solcher Preis nicht irreal?

Eine Umfrage in den USA hat ergeben, dass eine Mehrheit dort bereit wäre, jährlich eine CO2-Steuer von 177 Dollar pro Tonne zu akzeptieren. Angesichts des Wahlerfolges von Trump ist das recht erstaunlich. Die Bereitschaft, für etwas Sinnvolles zu zahlen, ist größer als angenommen. Und je größer das Vertrauen der Bürger in den jeweiligen Staat ist, je geringer die Korruption ist, umso mehr wird akzeptiert, so zeigen Studien, dass diese Kosten dann für die Infrastruktur der Länder ausgegeben werden können. Das ist der Vorteil eines CO2-Preises. Er kann auch dazu genutzt werden, ein gerechteres Steuersystem einzuführen.

Sie bleiben also optimistisch?

Ich setze auf die Kraft der Vernunft. Und zwar auch dann, wenn Ängste geschürt werden, die Klimapolitik könnte zum industriellen Selbstmord führen. In Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall: Wer Klimapolitik verschleppt, gefährdet den Wohlstand; kluge Klimapolitik sichert den Wohlstand. Ich fände es gut, wenn sich die möglichen Koalitionspartner in Berlin darauf besinnen könnten, dass ein Jamaika-Bündnis Deutschland modernisieren kann – durch eine innovative, effektive und faire Klimapolitik.

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Ottmar Edenhofer (56) ist stellvertretender Direktor und Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), leitet das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin und ist Professor für die Ökonomie des Klimawandels an der Technischen Universität Berlin. Er nimmt als Beobachter an der UN-Klimakonferenz in Bonn teil.

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