Potsdam: „Ich gehe mit Vergnügen“
Nach 23 Jahren als Direktorin des Potsdamer Filmmuseums verabschiedet sich Bärbel Dalichow
Sie verabschiedet sich in aller Stille. Kein offizielles Dankeschön. Bärbel Dalichow will auch keine Interviews mehr geben, bevor sie am heutigen Donnerstag ihren letzten Arbeitstag als Direktorin des Filmmuseums hat. Sie wehrt rigoros ab, bleibt eigensinnig, so wie man sie kennt – und mag. Doch dann kommt doch noch eine Mail mit einem letzten Statement der couragierten Kulturstreiterin, von der man klare Worte erwartet. Diesmal verpackt sie sie in Ironie. „Ein schöner Zufall begleitet diesen Abschied: Weil das Museum für ein Jahr schließt, sind alle Mitarbeiter gemeinsam mit mir aus dem Marstall ausgezogen. Während sie andere Aufgaben übernehmen, werden sie auch Zeit finden, über die Zukunft ihres Hauses nachzudenken. Meine Nachfolgerin/mein Nachfolger kann 2014 unbeschwert beginnen – in einem frisch sanierten Haus und mit durch die unverhoffte Abwechslung erquickten Mitarbeitern.“
Der Unmut ist nicht zu überlesen. Denn natürlich war diese plötzliche Schließung aufgrund von Brandschutzmaßnahmen nicht im Sinne der Dauerausstellungs-Erfinder, die erst vor gut einem halben Jahr mit Riesenaufwand in der unteren Etage des Marstalls das Zusammengehen aller Gewerke des Films so sinnlich werden ließen. Und nun ist diese Ausstellung „Traumfabrik. 100 Jahre Film in Babelsberg“ für ein ganzes Jahr eingemottet. „Ich gehe mit Vergnügen“, schreibt Bärbel Dalichow in der Mail weiter. An den Ärger mit Behörden hat sich Dalichow nie gewöhnen können. In Rage gerät sie, wenn Bürokratie und Missmanagement die eigenen Pläne und den gesunden Menschenverstand durchkreuzen. „Als Museumsdirektorin habe ich in 23 Jahren getan, was ich tun konnte, und nun freue ich mich daran, endlich wieder einfach ein Mensch und keine ,öffentliche Person’ mehr zu sein. Und weil ich eben nicht mehr das Filmmuseum vertrete, möchte ich endlich auch keine Interviews mehr geben. Ich bin frei und fröhlich.“
Es sei ihr gegönnt: dieser Powerfrau, die, wie wenige in dieser Stadt, ihr Haus mehr als zwei Jahrzehnte nachhaltig im Gespräch hielt. Über die reiche widersprüchliche Welt des Films zettelte sie immer wieder gesellschaftliche Diskurse an. Anecken statt wegducken – das gehörte zu ihrem gelebten Alltag an dem schweren Holzschreibtisch unter der Dachschräge des Knobelsdorff-Baus in der Breiten Straße. Die selbstbewusst auftrumpfende Frau in ihren bequemen, weich fließenden schönen Gewändern erhob die Stimme: egal ob es um die eigenen Finanzierungslücken und damit um drohenden Mitarbeiterabbau und Ausstellungseinschnitte ging oder um die vertane Chance einer Kunsthalle in Potsdams Mitte.
Bärbel Dalichow, die mit offenem und kritischem Rundumblick jeden Morgen zur Arbeit durch die Innenstadt radelte – im Sommer nach einem morgendlichen Sprung in den Heiligen See – gab diesem Haus am Lustgarten an der Spitze einer frauenstarken Crew die Seele. Mit offenen Armen und freundschaftlichen Küsschen begrüßte sie die abgewickelten Defa-Filmemacher, um ihnen wenigstens hier an diesem unverschlossenen Gedächtnisort Gehör zu verschaffen.
Und auch die von der restriktiven DDR-Obrigkeit in die Flucht getriebenen Schauspieler und Regisseure wie Hilmar Thate, Angelica Domröse, Egon Günther oder Armin Mueller-Stahl kamen gern nach der Wende in das lebendige Museum zurück, das auch an die verbotenen und ungedrehten Filmprojekte erinnerte. Sternstunden weltläufiger Dialoge brachten internationale Größen wie Ken Loach oder Roman Polanski ein. Selbst mit heftig umstrittenen, ja gesellschaftlich ausgemusterten Künstlern wie Leni Riefenstahl, die mit Hitler sympathisierte, setzte sich Bärbel Dalichow 1999 unvoreingenommen in einer Ausstellung auseinander. Die Museumsleiterin war auch dafür, Propagandafilme zu zeigen, „um uns unserer Geschichte auszusetzen. Bildverbote – auch pädagogisch verbrämte – sind undemokratisch. Ein erhöhter Geheimnisfaktor sorgt für Werbung, die gerade verhindert werden soll“, schrieb die Kunst- und Filmwissenschaftlerin im Vorwort zum Riefenstahl-Katalog. „Besonders in Ländern mit Diktaturgeschichte wirkt die Beschäftigung mit dem Phänomen Riefenstahl als Katalysator, um über eigene Missstände nachzudenken; man erinnert sich an den eigenen, alltäglichen Opportunismus gegenüber Wünschen von Mächtigen.“
Bärbel Dalichows Opportunismus hielt sich indes schon immer sehr in Grenzen. Sie ging vielmehr gegen diese Grenzen an und wollte 1980 die DDR verlassen, die von ihr viel zu viel Anpassung verlangte. Doch sie wurde in ihren Fluchtplänen in den Westen ausgebremst, von dem eigenen geschiedenen Mann bespitzelt und verraten. Ihr gemeinsam mit Uwe-Karsten Heye geschriebenes Buch „Wir wollten ein anderes Land“, in dem sie die eigene Familiengeschichte bis in die dunkelsten Ecken ausleuchtet, wäre Stoff für eine ganze Reihe von Filmen: über Liebe, Eifersucht, Sprachlosigkeit in der Familie, Verrat und Spionage. Doch trotz der großen Aktenberge, die die Stasi über die „Regimefeindin“ anhäufte, ist es Bärbel Dalichow leid, die DDR auf ein Stasiland zu reduzieren. Ebenso wie sie jede aufgehübschte Ostalgie ablehnt. Sie wollte mit unzähligen Veranstaltungen und Ausstellungen anregen, vor allem über das Hier und Heute nachzudenken, darüber, wie eine menschenfreundlichere Welt aussehen könnte – „weg von der sozialistischen und turbokapitalistischen Menschenfresserei“, wie sie es formulierte. „Über mich konnte der Kapitalismus sich jedenfalls freuen. Er hatte 1990 eine flexible, gelehrige, kampferprobte Arbeitsidiotin mit niedrigem Krankenstand bekommen, ganz ohne sie selbst ausbilden zu müssen.“ Am 1. Juli, dem Tag der Einführung der D-Mark in der DDR, wurde sie Direktorin an dem Haus, an dem sie bereits zuvor Mitte der 80er-Jahre Abteilungsleiterin war, dann aber doch lieber Verkäuferin in Teltow wurde, weil das, was sie ihrem Chef vorschlug, als zu teuer oder zu unbotmäßig abgetan wurde.
Mit gerade siebenunddreißig Jahren übernahm sie nun das Zepter: „Im rechten Alter für eine Teamleiterin. Aber viel älter hätte ich eigentlich niemals werden dürfen, denn ab vierzig konnte man unversehens aus der Kurve fliegen, im Handumdrehen eine ältere Arbeitslose werden.“ Sie musste sich also anstrengen, um standzuhalten. Und das tat sie, durchaus froh, „endlich ein Rechtssubjekt zu sein, das nicht mehr wehrlos ist“, wie sie in ihrem Buch betont.
Die querulantische Funktionärstochter der einstigen Oberbürgermeisterin Potsdams, Brunhilde Hanke, und von Kulturwissenschaftler Helmut Hanke ging auch nach der Wende in Opposition, wenn sie die Leere der neuen Schlagwörter spürte. Sie wollte nach dem Mauerfall die Welt neu erfinden, auf keinen Fall kopfüber in eine andere alte Welt mit ihrem Gehorsam. „Kein Sklave sein. Unter mir keine Sklaven sehen und über mir keine Herren.“ Doch nun musste sie sich den Gesetzen der Marktwirtschaft unterwerfen, Einschnitte hinnehmen. Trotz allem wucherte sie mit Pfunden: mit Ausstellungen über Derek Jarmen, Frederico Fellini, Marilyn Monroe und Romy Schneider, mit Szenenbildern von Alfred Hirschmeier oder Starfotos von Andy Gotts.
Schließlich bereitete sie die Fusion mit der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ (HFF) vor, auch weil sie die Kämpfe ums Geld satt hatte und befürchtete, dass das Filmmuseum allein irgendwann nicht überleben könnte. Die Einsicht einer Rebellin, die dafür in Kauf nahm, dass ein Teil der eigenen Mannschaft ihr dabei nicht folgen würde. Der Betriebsrat opponierte bis zuletzt aus Angst vor Arbeitsplatzverlust.
Seit 2011 ist das Filmmuseum ein Aninstitut der HFF und Bärbel Dalichows Nachfolger wird künftig laut abgeschlossener Stellenausschreibung gleichzeitig Professor beim HFF-Studiengang Medienwissenschaft sein. Die Einrichtungen sollen voneinander profitieren, sich zu einem Forschungszentrum entwickeln. Eine neue Ära. Ohne Bärbel Dalichow. Die sitzt künftig nur noch im Zuschauersaal bei ihrer Lieblingsbeschäftigung: Filme gucken.
Schon lange war die Gelöstheit zu spüren, wenn sie erzählte, dass sie mit 60 aus ihrem Amt, für das sie so viel in die Waagschale geworfen und Nerven gelassen hatte, aussteigen würde. Jetzt also ist sie „frei und fröhlich“. Dazu kann man ihr nur gratulieren. Und danken für so viele anregende und aufregende Stunden in ihrem Museum.
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